«Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin – und niemand
ginge, um einmal zu sehen, wohin man käme, wenn man ginge»
Ohne das Ende verlöre das Leben seinen Sinn
Die Evolution umfasst die Entwicklung vom Urknall über die kosmische,
biologische, mentale und kulturelle Evolution bis hin zur Welt von heute.
Was sind die wichtigsten Ereignisse der Evolution? Es sind dies die
neuartigen Auftritte. Diese springen nicht ins Auge, ganz im Gegenteil. In
der biologischen Evolution brauchte es einen Charles Darwin, der diese
Sachverhalte überhaupt sichtbar machte.
KARL MÜHLEBACH (Schweizer Freimaurer-Rundschau: November 2003)
Diese wichtigsten Evolutions-Ereignisse sind Wunder im Sinne von
grossartig; Staunen hervorrufend, für uns Menschen nicht greifbar noch
begreifbar und daher auch nicht erklärlich.
Und da wir Erdenbürger mehrheitlich nicht an Wunder glauben, sondern
wunderbare Ereignisse bestenfalls dem Zufall zuschreiben, erlaube ich mir zu
sagen, dass wir Menschen niedrig leben, nämlich mit nichts anderem im Kopf
als Begreiflichem. Es gibt aber Ereignisse und Sachverhalte, an die man
glauben muss, da sie mit dem Verstand nicht erfasst werden können. Der
Glaube ist nicht etwa der Anfang, sondern das Ende allen Wissens! Die
hervorragendsten Ereignisse der Evolution sind das Auftreten des Kosmos; das
Entstehen von Lebewesen mit der Fähigkeit zielgerichtet zu funktionieren und
das Werden der Menschheit, die befähigt ist, Ziele zu setzen, diese zu
erreichen, Handlungen zu planen und sie auszuführen.
Ziele haben etwas mit der Zukunft zu tun. Erwähnt man aber die Zukunft,
dann muss es zwangsläufig eine Vergangenheit gegeben haben. Lasst uns also
zusammen gehen, um zu sehen, wohin man kommt, wenn man geht!
Akzeptieren wir, dass mit dem Urknall der Auftritt des Kosmos seinen
Anfang genommen hat, dann akzeptieren wir auch die Komponenten des Kosmos,
nämlich Energie, Ordnung, Raum und Zeit. Am Anfang war absolute Ordnung und
absolute Energie. Beide waren da, ganz einfach da. Ist die absolute Ordnung,
die absolute Energie eins mit dem Allmächtigen Baumeister aller Welten, mit
Gott? Ich bin mir sicher, dass dem so ist. Ich bin mir deshalb sicher, weil
ich hieran glaube. Im ersten Buch Mose steht: «Am Anfang schuf Gott Himmel
und Erde. Und Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht». Und weil Gott
die absolute Energie ist, konnte er es Licht werden lassen.
Mit dem Urknall hat alles begonnen. Mit dem Urknall hat sich die absolute
Energie, die absolute Ordnung bemerkbar gemacht. Oder anders gesagt: Der
Allmächtige Baumeister aller Welten hat sich zu erkennen gegeben!
Ich höre Euch fragen, wieso er dies überhaupt getan hat. Und wenn, warum
hat er es nicht Jahrmillionen-Zeiteinheiten früher getan? Meine Antwort ist
schlicht: Gottes Wille kennt kein warum! Was wäre das für ein Gott, dessen
Pläne von uns eingesehen und gar überprüft werden könnten? Schon im Buch der
Bücher ist niedergeschrieben: «Meine Gedanken sind nicht Eure Gedanken und
Meine Wege sind nicht Eure Wege».
Unser ist nicht das letzte Verstehen, unser ist das Vertrauen in die
unendliche Weisheit des Allmächtigen Baumeisters aller Welten. Und daran
wird auch die Synthese zwischen Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie
(der theoretische Rahmen zum Verständnis des extrem grossräumigen Universums
wie Sterne, Galaxien etc.) und der Quantenmechanik (der theoretische Rahmen
zum Verständnis der kleinsten Grössenverhältnisse wie Moleküle, Atome,
Elektronen, Quarks = Sammelbegriff für Elementarteilchen), auftretend in der
Superstringtheorie nichts ändern. Die Superstringtheorie versucht
aufzuzeigen, dass sich in all den wundersamen Vorgängen des Universums, vom
hektischen Tanz der subatomaren Quarks bis hin zum Walzer der Doppelsterne,
vom Feuerball des Urknalls bis zum majestätischen Wirbel der kosmischen
Galaxien, ein einziges, alles beherrschendes physikalisches Prinzip
manifestiert, quasi die Mutter aller Gleichungen. Und wenn die Physiker
einmal die Gleichung aller Gleichungen gefunden haben werden, wird sich noch
immer die Frage stellen, wer der Urheber der Mutter aller Gleichungen ist.
Und so es richtig ist, dass im Augenblick des Urknalls das Universum aus
einem mikroskopisch kleinen Kügelchen, neben dem ein Sandkorn gigantisch
gewirkt hätte, ausgebrochen ist, bleibt zu fragen, wie viele solcher
Kügelchen es gibt und wieso es zu diesem einen Urknall gekommen ist. Wird es
weitere solche Urexplosionen geben oder hat es möglicherweise vor dem
Urknall andere gegeben?
Akzeptiert man, dass der Allmächtige Baumeister aller Welten eins ist mit
absoluter Ordnung und der absoluten Energie, so fällt es leicht zu
verstehen, dass Werden und Vergehen unabdingbar miteinander verknüpft sind
und dass es Ihm anheim gestellt ist, über Werden und Vergehen, über das
Leben und den Tod zu bestimmen. Planeten, Galaxien, Kosmen entstehen und
verlieren sich letztendlich wieder in der absoluten Energie. Und was ist
folgerichtiger, als dass in Unordnung geratene Gegebenheiten in die absolute
Ordnung zurückgebracht werden müssen! Im Moment des Ursprungs muss der Plan
des Allmächtigen Baumeisters aller Welten liegen, der Plan des Todes, der
Plan des Lebens, der Plan des Vergehens und Entstehens, denn
Ohne das Ende verlöre das Leben seinen Sinn
Der zweite hervorragende Sachverhalt der Evolution ist das Entstehen von
Lebewesen, d.h. Pflanzen und Tieren. Der zweite Sachverhalt steht mit dem
dritten, dem Werden des Menschen in direktem Zusammenhang – zumindest wenn
wir die Darwin’schen Theorien als gültig und verbindlich annehmen. Darwin
vertrat bekanntermassen die Idee, dass der Mensch nicht durch den
Allmächtigen Baumeister aller Welten nach seinem Ebenbilde erschaffen wurde,
sondern dass unsere Gattung lediglich eine Mutation aus einer langen
genetischen Kette menschenähnlicher Säugetiere entstanden ist. Auch wenn die
Kontinuität zwischen dem Tierischen und dem Menschlichen unbestritten zu
sein scheint (jedenfalls nach heutigen Kenntnissen und Begreiflichkeiten
unbestritten ist), sind dadurch die wesentlichen Unterschiede zwischen
Mensch und Tier in keiner Art und Weise geringer. Gerade sie, diese
Unterschiede rechtfertigen jenes Staunen vor dem Menschen, das der Chor von
Sophokles zum Ausdruck bringt. Es ist eine Sache zu sagen, dass ein
Lebewesen aus einem anderen entstanden ist und eine ganz andere Sache ist es
dagegen, zu behaupten, das Erste sei nicht mehr als das Zweite!
Da Menschen keine Tiere sind, soll der zweite hervorragende Sachverhalt
der Evolution hier nicht weiter vertieft werden. Wichtig indessen ist, dass
der Qualitätssprung zwischen Tier und Mensch unendlich gross und somit ein
weiteres Wunder darstellt. Ich nenne ihn den Schöpfungsakt des Allmächtigen
Baumeisters aller Welten. Auch das dritte grosse Evolutionsereignis, das
Werden des Menschen soll nur hinsichtlich dessen Negation weiter
ausgeleuchtet werden.
Das Werden des Menschen
Dem Menschen reicht es nicht, Teil der Realität zu sein. Er muss darüber
hinaus wissen, dass er sich in einer Welt befindet. Er fragt denn auch, wie
diese seine Welt beschaffen ist. Diese seine Welt ist vielschichtig und hat
verschiedene Ebenen. Eine dieser Ebenen ist die Familie, der Freundeskreis,
der Arbeitsplatz, das Zuhause. Eine nächst höhere ist unser soziales und
kulturelles Umfeld.
Noch eine Stufe höher treffen wir auf unser Land, auf die internationale
Gemeinschaft usw. Lassen wir unsere Welt hinter uns, so treffen wir auf
unser Sonnensystem. Danach gleiten wir ins Gigantische, ins Entfernte und
Unbekannte, den Kosmos und gelangen schlussendlich an den Ort, an dem sich
alle Orte befinden, den Ort der absoluten Ordnung.
Das Bemerkenswerte an dieser Abfolge von Welten ist, dass die engste und
reduzierteste jene ist, die für unser Leben am wichtigsten erscheint. So
sorgen wir uns weit mehr um eine Feuersbrunst in unserer Wohngemeinde als um
eine gewaltige Sternenexplosion, die uns möglicherweise nie erreicht.
In der Welt zu leben heisst, in ihr zu handeln, nicht nur in ihr zu sein.
Die Maus oder jedes andere Tier reagiert auf dieWelt in Übereinstimmung mit
seinem genetischen Programm. Menschen aber reagieren nicht auf die Welt,
sondern erfinden und verwandeln ausserhalb jeder genetischen Festlegung.
Dieses Handeln wiederum erfolgt im Rahmen unserer Freiheit und ohne Ursache.
Die Ursache bin ich und das in meiner Eigenschaft als Subjekt. Freiheit ist
unter anderem die Fähigkeit, gemäss eigenen Plänen und Wünschen zu handeln.
Diese Freiheit ist wiederum unverzichtbar, um die Verantwortlichkeit
festzulegen. Ohne zuschreibbare Verantwortlichkeit ist in keiner
Gesellschaftsform das Zusammenleben möglich. Freiheit ist daher nicht eine
Art Belohnung, sondern eine Last. Ich erinnere an «was man sein muss, um
Freimaurer werden zu können»? Ein freier Mann von gutem Ruf und edlem
Streben. Menschen bzw. Männer die nicht ganz oder hinlänglich reif sind,
d.h. solche, denen es an Selbständigkeit und Selbstbewusstsein fehlt, ziehen
es vor, auf diese Last zu verzichten bzw. eignen sich für unseren Bund
nicht, da sie nicht gewillt sind, Entscheidungen zu treffen und die Last der
Verantwortung und damit der Schuld auf sich zu nehmen.
Niemand wird Mensch, wenn er alleine ist Wir werden Menschen nur
füreinander, in der Gesellschaft. Auf den ersten Blick erscheint es
überraschend, dass uns das Leben in der Gesellschaft so viel Unbehagen und
Mühe bereitet. Wir wären nicht, was wir sind, ohne die Mitmenschen. Es
kostet uns Anstrengung, mit den anderen zu sein. Das soziale Zusammenleben
ist nicht schmerzlos und dies, weil wir erkennen müssen, dass die
Abhängigkeit dieses sozialen Zusammenlebens uns auch einschränkt und uns
Grenzen setzt. Zu Recht sagte Platon, dass der Mensch zwangsläufig in die
Schule zweier Lehrmeister geht, in die Schule der Lust und in die Schule des
Schmerzes. Genuss und Schmerz lehren uns zu leben und zu überleben. Genuss
ist all das, was beim Menschen freudige Zustimmung findet, wie z.B. gutes
Essen oder ein warmes Bad. Genuss besteht indessen nicht nur in
körperlich-sinnlicher Befriedigung. Es gibt Genüsse der Vernunft. Genuss ist
auch Befriedigung, die man bei einer mutigen oder grosszügigen Tat
empfindet. Listet man auf, wie unser alltägliches Leben verläuft, so kann
festgestellt werden, dass alle Tätigkeiten zu jeder Zeit einem der beiden
Lehrmeister zugeordnet werden können.
Was aber ist nun Zeit?
Ist sie Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft? Die Zeit lässt sich nicht
fixieren, nicht fassen, sie ist unfassbar, ergo wiederum etwas, das Staunen
auslöst. Ist es die Zeit die vergeht oder sind es nicht vielmehr wir
Menschen in ihr? Die Zeit bleibt in der Zeit, den Augenblick in seiner
Endlichkeit narrend. Was uns an die Zeit bindet und daher an die
Sterblichkeit ist unser Körper. In seinen Zellen verbirgt sich das Gift, das
nach und nach unser Uhrwerk zersetzt. Als materielles Produkt trägt ein
jeder von uns sein Verfalldatum unauslöschbar in seinen Genen eingemeisselt.
Schicksalhaft zwangsläufig stets drohend, nicht übertragbar, einsam – das
ist der Tod. Und was wir über ihn wissen, ist absolut gewiss! Wieso fürchten
wir ihn, diesen Tod? Letztlich wohl nur, weil er uns dem angenehmeren
Lehrmeister, der Lust, entzieht. Manchmal verwandelt sich der Lehrmeister
des Schmerzes in den Lehrmeister der Lust, dann nämlich, wenn der Schmerz so
übergross wird, dass der Erlöser Tod uns von diesem Schmerz befreit. Ich
frage: Kann wirklich Leben, was nicht Sterben muss? Geburt und Tod sind
möglicherweise nicht nur Anfang und Ende unseres Schicksals, sondern das
Merkmal unseres Lebens. Ob gefürchtet oder herbeigesehnt, der Tod ist in
sich selbst eine Negation des Lebens, die uns stets und immer wieder auf das
Leben zurückverweist. So veranlasst der Tod den freien Menschen zum
Nachdenken, jedoch nicht über den Tod, sondern über das Leben.
Der Sinn des Lebens
So lasst uns denn eine kurze Weile über unsere Geburt, unser Leben
sinnieren. Wenn der Tod gleichbedeutend mit Nichtsein ist, dann haben wir
ihn mit dem Tag unserer Geburt besiegt. Wir sind dem Nichtsein oder dem
ewigen Tod, nämlich dem was nie war und nie sein wird, mindestens einmal und
auf Zeit entronnen. Ich mache hier eine Klammer auf und frage mich, ob es so
schrecklich wäre, nicht zu sein? Immerhin gab es uns sehr lange Zeit nicht
und wir haben darunter nicht gelitten! So werden wir nach dem Tod zum selben
Ort, dem Ort aller Orte, zur absoluten Ordnung und zur absoluten Energie
zurückkehren. Wir werden das grosse runde Silbertor, durch das wir einst
hereingekommen sind, erneut durchwandern, dorthin wo die Musik herkommt.
Wenn wir aber dort angelangt sind, wo die Musik herkommt, dann sind wir ein
Takt dieser Musik, vor der sich niemand nie zu fürchten braucht. Was aber
ist nun der Sinn des Lebens? Sinn hat etwas dann, wenn es mit Hilfe von
etwas anderem etwas bedeutet oder einen bestimmten Zweck erfüllt. Um den
Sinn des Lebens zu finden, müssen wir etwas anderes suchen, etwas das weder
das Leben selbst ist, etwas jenseits des Lebens. Die Suche nach dem Sinn des
Lebens befasst sich nicht mit dem Leben im Allgemeinen sondern mit etwas
Greifbarem, dem einzelnen menschlichen Leben und der realen Welt, in der er
lebt. Wir wollen wissen, ob sich die moralische Anstrengung lohnt, ob es der
Mühe wert ist, ein Mann von gutem Ruf zu sein, ehrlich zu arbeiten oder ob
es auf das Gleiche hinausliefe, wenn wir uns dem Laster überliessen. Oder
anders gefragt, ob uns etwas jenseits des Lebens erwartet oder nur das Grab.
Das Nicht-Körperliche, das Nicht-Zeitliche, das gegen das
tödlich-biologische Immune, der reine Geist oder die Seele ist die Antwort,
die den Menschen nicht einfach verschwinden lässt im unendlichen Tod. Die
Seele als Teil der absoluten Energie ist es, die dem Leben Sinn gibt – nicht
der Körper, welcher zerfällt. Die Seele als Teil der absoluten Ordnung soll
als in Ordnung gehaltene Teilordnung in die absolute Ordnung zurückfinden
können. Der Freimaurer soll sich von dem Nichteingeweihten durch seine
Denkart auszeichnen. Er verfolgt das eine Ziel, sich der Wahrheit, der
absoluten Wahrheit zu nähern. Veredelung und Vervollkommnung ist meines
Erachtens nichts anderes, als das soziale Zusammenleben so einträchtig wie
möglich zu gestalten, dienend, helfend, verzeihend. Sich dabei
vervollkommnend, um eines Tages dem Allmächtigen Baumeister aller Welten
seine Seele, seine Teilenergie zurückgeben zu können ohne dass sie der
Umordnung ausgesetzt werden muss. Dem rechtschaffenen Menschen bleibt, um
seine Rechtschaffenheit zu bewahren und sie als sinnvolles Unterfangen zu
betreiben: Die Existenz des Allmächtigen Baumeisters aller Welten
anzuerkennen.
Und deshalb rufen von drüben «die Stimmen der Geister, die Stimmen der
Meister. Versäumt nicht zu üben die Kräfte des Guten.» Und deshalb bin ich
Freimaurer. Wissen wir nun, wohin wir kämen, nachdem wir zusammen gegangen
sind, um zu sehen, wohin man kommt wenn man nur geht... ?