Altruismus ist eine Pflicht für jeden Freimaurer
Altruismus
HEINRICH ERNE-CHÂTEAU (Schweizer Freimaurer-Rundschau: März 2003)
Altruismus ist nach der Meinung des Verfassers grundsätzlich im
Einklang mit der Freimaurerei. Neben der Humanität bilden Toleranz, Geduld,
Nachsicht, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und Bruderliebe wesentliche
Bausteine des Altruismus, aber auch der Freimaurerei. Die vorliegende
Darstellung des Altruismus wurde wesentlich mitgeprägt durch eine rege
Diskussion in der Loge Osiris im Orient zu Basel.
Es gibt verschiedene Formen des Altruismus. Der Altruismus kann zunächst
einmal als prosoziales Verhalten wahrgenommen werden. Unter prosozialem
Verhalten versteht man positiv bewertetes Sozialverhalten. Helfen, trösten,
retten, jemanden vor etwas bewahren, auf andere Rücksicht nehmen, mit
anderen teilen, sich für jemanden einsetzen oder jemanden verteidigen sind
prosoziale Verhaltensweisen.
Auf der Gefühlsebene kommt der Altruismus als Mitgefühl zum Ausdruck.
Mitgefühl meint zu fühlen, als sei man selbst betroffen. Diesem
altruistischen Mitgefühl liegt die Empathie zugrunde, das heisst die
Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Beispielsweise ist die
Motivation eines Helfers dadurch gekennzeichnet, dass er die Perspektive des
Hilfeempfängers einnimmt und dadurch empathisch ist.
Der Altruismus kann auch als eine ethische Einstellung gegenüber den
Mitmenschen verstanden werden, die von Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit
geleitet und auf das allgemeine Wohl der Menschheit ausgerichtet ist. Diese
Auffassung von Altruismus konzentriert sich allein auf die
Reaktionsbereitschaft gegenüber anderen Menschen und vernachlässigt das
beobachtbare zwischenmenschliche Verhalten.
Weiter kann unterschieden werden zwischen echtem und unechtem oder leicht
variierend zwischen reinem und unreinem oder auch zwischen spontanem und
berechnendem Altruismus. Der echte, reine oder spontane Altruismus ist
uneigennützig und selbstlos. Der unechte, unreine und berechnende Altruismus
dagegen ist letztlich auf Eigennutz ausgerichtet und von Egoismus geprägt.
Nicht immer sind die konkreten Erscheinungsweisen der einen oder andern Form
des Altruismus eindeutig zuzuweisen. Eine Krankenschwester etwa praktiziert
in ihrem praktischen Alltag zweifelsohne Altruismus und bekommt dafür Lohn.
Jeden Tag tue man etwas Gutes, um in den Himmel zu kommen. Handelt es sich
da um echten Altruismus? Die Frage, ob die Bruderliebe der Freimaurer rein
altruistisch sei, kann wohl auch nicht zweifelsfrei bejaht werden.
Erklärungsansätze zum Altruismus
Ein Beispiel für eine gute Tat soll verdeutlichen, dass prosoziales
Verhalten nicht ohne persönlichen Gewinn bleiben muss. Es gibt Formen
prosozialen Verhaltens, die in der Öffentlichkeit stattfinden. Man denke
etwa an einen Popstar, der ein Entwicklungsprojekt sponsert. So kann dieser
einen Vorteil daraus ziehen, dass er Geld für Menschen in Not opfert und
gleichzeitig den Absatz seiner CDs zu fördern vermag. Hinzu kommt, dass er
von vielen Menschen wegen seiner Selbstlosigkeit bewundert wird und auf
diesem Weg Anerkennung und Wertschätzung erfährt. In vielen Fällen kann
altruistisches Verhalten auf einer Mischung aus egoistischen und
altruistischen Motiven beruhen.
Ein anderer Erklärungsansatz des altruistischen Verhaltens geht von der
Hypothese der Reziprozität (Wechselseitigkeit) aus. Prosoziale Reziprozität
tritt auf, wenn Menschen zum Ausgleich dafür, dass ihnen geholfen wurde,
selber helfen. Die Hypothese der Reziprozität besagt, dass wir anderen
gegenüber so handeln, wie sie sich uns gegenüber verhalten haben.
Reziprozität fordert positive Reaktionen auf gute Behandlung, aber auch
negative Reaktionen auf schlechte Behandlung.
Untersuchungen zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen prosozialem
Verhalten und Stimmungszuständen besteht. Eine positive Stimmung, die durch
Erfolg oder durch Erinnerungen an positive Erlebnisse hervorgerufen wird,
fördert hilfreiches Verhalten. Der interpersonale Ansatz konzentriert sich
auf gegenseitige Abhängigkeit von Menschen. Zum Beispiel: Zwei Studierende
wollen für die Prüfung zusammen lernen. Ihr Erfolg wird zumindest teilweise
von der Qualität ihrer Zusammenarbeit abhängen. Es wird angenommen, dass
Menschen danach streben, Belohnungen zu maximieren und die Kosten zu
minimieren. Nach dieser Auffassung sind die Menschen in sozialen Situationen
dadurch zu altruistischem Verhalten motiviert, dass sie die positiven
Konsequenzen für sich selbst maximieren wollen.
Abschliessend möchte ich über eine interessante Feststellung berichten.
Menschen arbeiten umso härter im Interesse ihrer Partner, je abhängiger
dieser Partner ist. Die wahrgenommene Abhängigkeit aktiviert die soziale
Verantwortung, die zu prosozialem Verhalten motiviert.
Die Ideale und Symbole der Freimaurerei
in ihrer Bedeutung für den Altruismus Von den drei grossen Lichtern sind
das Winkelmass als Symbol des Rechts, der Gerechtigkeit und der
Menschlichkeit sowie der Zirkel als Symbol der Menschen- und Bruderliebe für
den Altruismus fundamental. Schönheit – eines der drei kleinen Lichter –
bedeutet Harmonie, Einklang, Zufriedenheit, Friede und Eintracht. Toleranz,
Geduld, Nachsicht, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und Bruderliebe sind
Ausdrucksformen wahrer Schönheit.
Das Humanitätsprinzip verpflichtet gemäss Buch des Lehrlings zur
Schaffung menschenwürdiger Verhältnisse, zur Förderung humanitärer und
sozialer Bestrebungen und zur Weckung des Verantwortungsgefühls in Familie
und Öffentlichkeit.
Neben der Humanität bilden Toleranz, Geduld, Nachsicht,
Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und Bruderliebe wesentliche Bausteine des
Altruismus. Diese maurerischen Grundhaltungen stehen nach meiner Überzeugung
für die bedeutendsten menschlichen Werte überhaupt. Sie sind jene
imponierenden Persönlichkeitseigenschaften, die eine Person erst zu einem
Menschen machen.
Liberalismus und Altruismus in der Wirtschaft: Wie geht das zusammen?
Ich greife dieses Thema auf, weil es an Aktualität kaum zu überbieten
ist. Kein Tag vergeht, an dem die Medien in unserem neoliberalen Zeitalter
mit der schier grenzenlos erscheinenden Freiheit nicht die Frage nach der
Verantwortung der Wirtschaft stellen. Neben der nahezu grenzenlosen Freiheit
bedeutet der Neoliberalismus Triumph des Marktes, Rückzug des Staates aus
der Wirtschaft sowie Freiheit der Bewegung von Kapital und Arbeitskräften.
Für viele Mitarbeitende in Betrieben geht diese Freiheit mit nichts anderem
als Unfreiheit, Knechtung und Unterdrückung einher. So viel Freiheit ist zu
viel Freiheit! Verantwortung hat man nicht nur für sich selber, sondern auch
für andere zu tragen! Dass die liberale Marktwirtschaft soziale
Verantwortung übernehmen soll, ist ein Postulat, das auch schon viele
Politiker unterschiedlicher parteipolitischer Färbung geäussert haben.
Angesichts der aus sozialpolitischer und menschlicher Sicht doch eher als
desolat zu beurteilenden gegenwärtigen Wirtschaftslage interessiert die
Frage, ob da der Altruismus noch Platz hat, umso mehr.
Wegen ungebührlicher Ausnützung von ausländischen Arbeitskräften ins
Gerede der Öffentlichkeit zu geraten, kann wohl nicht im Interesse einer
Firma liegen, die am Verkauf der Produkte an ihrem Standort oder in der
weiteren Region interessiert ist. Grobes Fehlverhalten im Umgang mit den
Mitarbeitenden würde nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch staatliche
Instanzen auf den Plan rufen, und gesetzliche Regelungen könnten leicht zu
unliebsamen Einschränkungen der Freiheit führen. Grund genug also,
altruistisch zu handeln, auch wenn die Beweggründe hierzu nicht allzu edel
anmuten mögen.
Wie kann der Altruismus gefördert werden?
Wertschätzung, Achtung, Respekt, Zuneigung, Verständnis und Toleranz
führen bei Personen, denen all dies widerfährt, zur Erfahrung des
Geliebtwerdens, und diese Erfahrung löst wiederum Zuneigung aus. Damit ist
der Kreislauf von gegenseitiger Wertschätzung, Achtung, Respekt, Zuneigung,
Verständnis und Toleranz in Gang gesetzt. Mangelnde Wertschätzung dagegen
würde zu aggressivem, destruktivem Verhalten führen und damit altruistischem
Verhalten diametral gegenüberstehen. Wenn wir die maurerischen Ideale der
Humanität, Toleranz, Nachsicht, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe leben,
dann entsteht eine echte Chance, den oben skizzierten Kreislauf der
gegenseitigen Wertschätzung anzukurbeln.