Die Bedeutung der Bibel für die Freimaurerei und die Freimaurer
Das Buch der heiligen Gesetze
Wir nennen die Bibel «das Buch der heiligen Gesetze» und legen sie auf
den Altar des Freimaurertempels. Wir nennen sie auch eines der drei grossen
Lichter. Die zwei andern grossen Lichter sind das Winkelmass und der Zirkel.
Aber welche Bedeutung hat die Bibel im Lehrgebäude der Freimaurerei?
VON EDWIN OEHRLI (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Dezember 2004)
Der Ausdruck «heilige Gesetze» verdient eine vertiefte Reflexion. Von
welchen heiligen Gesetzen ist da die Rede? Sind es die Gesetze der
christlichen Kirche?
Die Bibel, wie wir sie kennen, wurde von den Bischöfen und Kaisern um 325
in Nicäa selektioniert und formuliert. Sind es die Gesetze des Geistes?
Origenes beschrieb sie während der kulturellen Hochblüte Alexandrias und
legte sich mit den Kirchenfürsten an, weil er deren Ansichten als falsch und
konträr zu den Aussagen Christi bezeichnete.
Sind es die Gesetze der Physik? Im 2. Buch Mose Kapitel 37, 1-9 finden
wir die genauen Anweisungen, die zum Zusammenbau der Bundeslade vonnöten
sind und uns dadurch erstaunen, dass diese sich als sehr potente Batterie
zur Erzeugung elektrischer Energie entpuppt? Elektrizität, die nötig war zum
Betreiben der Manna-Maschine oder nur zum töten jener, die die Lade
unvorsichtig berührten?
Sind es die Gesetze der Logik? Die Logik, die einen Pfarrer der
evangelischen Landeskirche der Schweiz unbegreiflich heftig reagieren lässt,
wenn ein Schüler die Liste verlangt, aus der hervorgeht, welche Bibelstellen
denn wörtlich und welche nur symbolisch zu verstehen seien.
Sind es die Gesetze der Naturwissenschaften? Die darwinsche
Evolutionstheorie soll die Schöpfungsgeschichte längst widerlegt haben,
während uns uralte sumerische Schriften und Abbildungen vom Klonen von
Menschen (Hybriden) berichten. Empirisch arbeitende Archäologen finden
aufgrund von Angaben in der Bibel interessante Ausgrabungsstätten, oder
Ingenieure machen revolutionäre Erfindungen, zum Beispiel in der Luft- und
Raumfahrt, nur weil sie Angaben von Propheten minutiös nachempfinden und
technisch interpretieren.
Sind es die Gesetze der Mathematik? Die Euklidischen Gleichungen in der
Geometrie, oder der Satz des Pythagoras galten über 2000 Jahre lang als
unumstösslich. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie von Mathematikern wie
Gross und Riemann in Frage gestellt, die nachwiesen, dass diese Gleichungen
nur funktionieren, wenn sie auf einer Ebene angewendet werden. Wenn man nun
das Blatt zusammenschiebt und eine Wölbung erhält, oder es gar zerknittert,
dann erweisen sich diese Gleichungen als falsch, und wir müssen lernen, in
zusätzlichen Dimensionen zu rechnen und zu denken.
Sind es die Gesetze der n Dimensionen? 2000 Jahre lang genügte es den
Menschen, in drei Dimensionen zu denken: Länge, Breite, Höhe. Das kann sich
jeder vorstellen. Über 2000 Jahre lang galten die Euklidischen Gleichungen
in der Geometrie als unumstösslich. 2000 Jahre lang genügte es den Menschen,
in drei Dimensionen zu denken. Heute rechnen Mathematiker in n Dimensionen.
Albert Einstein hat im 19. Jahrhundert. die vierte Dimension, die
Dimension der Zeit, definiert. Das macht uns schon mehr Schwierigkeiten zum
Begreifen.
Mathematisch wird heute in der unbestimmten Anzahl n Dimensionen
gerechnet. Der Physikprofessor Michio Kaku spricht von zehn, oder auch 26
Dimensionen, die uns das Verstehen der Welt ermöglichen, aber er führt
ausdrücklich aus, dass es unmöglich ist festzustellen, wie viele Dimensionen
und wie viele Universen es gibt.
Das menschliche Gehirn ist nicht in der Lage, sich diese zusätzlichen
Dimensionen vorzustellen. Mathematisch soll es möglich sein, diese
nachzuweisen. In der bildenden Kunst sind es die Kubisten, allen voran Pablo
Picasso, und die Surrealisten wie Salvador Dali, die uns eine Art
Vorstellung dieser zusätzlichen Dimensionen ermöglichen.
Wenn wir uns die Beschränktheit des menschlichen Geistes vor Augen
halten, wird begreiflich, weshalb sich der Allmächtige Baumeister aller
Welten der Symbolsprache und der Vereinfachung komplexer, mehrdimensionaler
Zusammenhänge bediente, um den Menschen einen Teil seiner Weisheit
zugänglich zu machen. Mit der Geschichte des auserwählten Volkes (zum
Beispiel im Buch der Könige) wird den Menschen exemplarisch Ursache und
Wirkung menschlichen Tuns in der Politik demonstriert.
Das Mittel der Parabeln und Gleichnisse
Jesus konzentrierte sich auf die Menschwerdung des Individuums (oder
Annäherung des Menschen an das Göttliche). Er wollte uns das unvorstellbare
Potential des Menschen veranschaulichen, indem er sich des Mittels der
Parabeln und Gleichnisse bediente. Er setzte das gleiche Mittel aber auch
ein, um seinen eingeweihten Jüngern in aller Öffentlichkeit Wissen und
Informationen zu vermitteln, das es vor den Profanen zu verbergen galt. Das
machte ihn subversiv und politisch untragbar.
Wir Freimaurer wenden die Mathematik und die Geometrie an, indem wir
symbolisch an einem Tempel bauen. Der Salomonische Tempel ist unser Vorbild.
Wir gehen davon aus, dass Moses auf dem Berg Sinai von Gott die berühmten
Steintafeln mit den zehn Geboten in Empfang nahm und während 40 Tagen
unterrichtet wurde. Wir vergessen, dass diese Gesetze schon viel früher von
andern Zivilisationen angewandt wurden.
Neu ist die Erkenntnis, dass Moses auf dem Berg Horeb im Sinai eine neue
Schrift gelehrt erhielt und die alten Gesetze nur in einer neuen Schrift vom
Berg herunter brachte. Man kannte die Keilschrift der Mesopotamier
(Sumerer), die (Silben-) Schrift der Hethiter und die Hieroglyphen der
Ägypter. Die wirklich geniale Erfindung war, dass mit einem Alphabet (Aleph
– Beta) von 22 Buchstaben viel schneller und flüssiger geschrieben und auch
Abstraktes genauer beschrieben werden konnte und kann.
Moses erhielt auf dem Berg Sinai eine neue Schrift mit 22 Buchstaben
Stutzig werden wir spätestens dann, wenn wir lernen, dass es immer 22
Buchstaben im Alphabet sein müssen. Das hat Gott so gewollt.
22 ist genau die Zahl der Chromosomen die bei der Erschaffung Adams
benutzt wurde, bevor der zweite genetische Eingriff die
Geschlechtschromosomen X und Y hinzufügte, schreibt der wohl beste Kenner
alter Schriften, Zecharia Sitchin. «Offenbar benutzt der Allmächtige, der
Moses das Geheimnis des Alphabets offenbarte, auch den genetischen Code als
eigentlichen, aber geheimen Code des Alphabets».
Sitchin zitiert Jesaja 45, 11 wo wir lesen: «Ich war es, der die
Buchstaben erschuf (...). Ich habe die Erde gemacht und den Menschen (Adam)
auf ihr geschaffen», sagte Jahwe, der Heilige Israels. Und er hat Moses und
den Propheten aufgetragen, alles in ein Buch (!) zu schreiben und dafür zu
sorgen, dass kein Buchstabe und kein Tüpfelchen (Iota) geändert werden.
Der Gott der Wunder und der Gott der Ordnung
Der Physikprofessor Michio Kaku kommt in seinem Buch «Im Hyperraum – eine
Reise durch Zeittunnel und Paralleluniversen» im Kapitel «Wissenschaft und
Religion» auch auf Gott zu sprechen, mit dem sich so viele Menschen so
schwer tun. Er unterschied zwischen dem Gott der Wunder und dem Gott der
Ordnung.
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Gott der Wunder und dem Gott der
Ordnung.
Der Gott der Wunder greift in unsere Angelegenheiten ein, vollbringt
Mirakel, zerstört sündige Städte, vernichtet feindliche Heere, lässt die
Soldaten des Pharaos ertrinken und rächt den Reinen und Edlen. Dieser Gott
wird von vielen Wissenschaftlern abgelehnt, weil Wunder einmalig sind und im
Labor nicht reproduziert werden können.
Der Gott der Ordnung hingegen wird als Schöpfer der kosmischen Ordnung
von den meisten Wissenschaftlern vorausgesetzt. Wenn Einstein auf ein
unlösbares Problem stiess, pflegte er zu sagen: «Der Herrgott ist
raffiniert, aber nicht boshaft»
Die Bibel wurde über Jahrhunderte von sehr vielen verschiedenen Autoren
geschrieben und bildet trotzdem eine Einheit. Das ist eine Tatsache, die wir
uns heute nicht mehr vorstellen können. Heute wird ein Buch von einem
Autoren (-Team) in höchstens einem Menschenleben geschrieben. Die Bibel war
göttlich inspiriert.
Wenn wir einen Bezug der Bibel zur Freimaurerei erarbeiten wollen, müssen
wir uns vor Augen halten, dass das Winkelmass (auch) die Euklidischen
Gesetze der Geometrie symbolisiert, dass der Zirkel (auch) darauf aufmerksam
macht, dass wir es in Wirklichkeit fast immer mit einer gebogenen Linie, mit
einer Kugel- oder Sattelform im Raum zu tun haben, und dass die Inspiration
für die Bibel aus einer Welt mit vielen Dimensionen stammt, die das
Vorstellungsvermögen des menschlichen Geistes übersteigt, mathematisch aber
nachgewiesen werden kann.
Was ziehen wir für Schlüsse daraus, die für die Freimaurerei von
Bedeutung sind?
Der historische Wert der Bibel ist fragwürdig, weil sie die Geschichte
eines einzelnen, auserwählten Volkes widerspiegelt. Auserwählt ist eher als
«exemplarisch» denn als «bevorzugt» oder «privilegiert » zu verstehen. Die
Genesis und der Bericht über die Sintflut finden wir bereits in den um
mindestens 1000 Jahre älteren Schriften der Sumerer. Abraham war Chaldäer
aus Ur, Mesopotamien, war also auch Sumerer. Ihm wurde befohlen, nach
Nordwesten zu wandern und sich nach einem Besuch in Haran (Baalbek), und
später auch beim Pharao in Ägypten, im Raum zwischen Kanaan und dem Negev
niederzulassen.
Spätestens seit der Entdeckung der Schriftrollen in Qumran am Toten Meer
wissen wir mit Bestimmtheit, dass die Gesamtheit der Schriften, die die
Grundlage der Bibel bilden, viel grösser ist und auch die Apokryphen
Schriften und das Thomas Evangelium umfassen. Die Bibel, wie wir sie heute
kennen, ist eine Auswahl, die von politisch motivierten Kaisern und
Kirchenfürsten am II. Konzil in Nicäa im Jahre 325 vorgenommen wurde.
Zeugnisse uralter Kulturen – Stonehenge, die Monolithen in der Bretagne,
die Cheopspyramide in Aegypten, die Zeichen auf der Hochebene von Nazca,
ungezählte Bauwerke auf allen Kontinenten, das unbegreifliche astronomische
Wissen der Dogon in Mali oder einiger Indianerstämme in Nord- und
Mittelamerika – bilden den Hintergrund der Bibel. Die Bibel ist nur ein Buch
der heiligen Gesetze in einem Meer von heiligen Büchern.
Die Bibel ist eines der Bücher, die uns den Weg aufzeigen, wie wir
Wahrheit suchen sollen und finden können.
Der Inhalt der Bibel ist auch heute noch die Grundlage der westlichen
Kultur und soll es auch bleiben. Die Bibel ist das Buch, das uns den Weg
aufzeigt, wie wir Wahrheit suchen sollen und finden können.
Ist die Wirkung der Bibel auf das Weltgeschehen die Geschichte eines
Misserfolgs?
Hätten all die heiligen Kriege, die im Namen Gottes ausgefochten wurden,
vermieden werden können, hätte es die Bibel nicht gegeben? Kaum,
wahrscheinlich wäre es noch schlimmer herausgekommen.
Man kann von der Bibel auch als Gebrauchsanweisung für ein sehr
kompliziertes Wesen namens Mensch sprechen. Deren Wirkung ist genau zu
analysieren: Wenn zum Beispiel ein Auto über die Kurve hinaus fährt, was war
schuld? Ein technischer Defekt am Fahrzeug? War der Fahrer unfähig? Hat er
die Gebrauchsanweisung vorher nicht gelesen? War die Gebrauchsanweisung
falsch? Oder hat er auf den Fahrlehrer gehört? War also die Ausbildung
falsch? Oder hat er einfach falsch zugehört?
Die Bibel war zur Zeit der Gründung der modernen Freimaurerei zu Beginn
des 18. Jahrhunderts in Europa das einzige bekannte oder anerkannte
Regelwerk, das die Menschen das richtige Zusammenleben lehrte.
Heute liegt die Bibel (mindestens das neue Testament) fast in jedem
Hotelzimmer auf. Wenn ein Gast jedoch ein Problem hat, wird er trotzdem
zuerst die Minibar konsultieren. Ist die Bierdose einmal geöffnet, holt
manch einer seinen «Stein der Weisen» aus der Tasche und loggt sich im www
(World Wide Web) ein, wo er vielleicht eine Antwort auf seine Fragen findet.
Braucht es wirklich noch sehr viel Fantasie, sich vorzustellen, dass es
dereinst auch das uww (Universe Wide Web) sein könnte?
Gehört die Bibel wirklich als eines der drei grossen Lichter auf den
Altar des Freimaurertempels?
Solange die Freimaurerei eine abendländische Organisation bleiben will,
ist es in Ordnung, dass die Bibel als eines der drei grossen Lichter auf dem
Altar des Freimaurertempels aufliegt. Wenn aber die Freimaurerei wirklich
weltumspannend sein will, muss sie ein Symbol des gesamten göttlich
inspirierten Wissens auf den Altar legen. Das ist der Grund, weshalb auf dem
Altar ein weisser, matt schimmernder Kubus aufliegen sollte, als ein Symbol
für die Bücher der heiligen Gesetze, beziehungsweise für den Zugang zum
universellen Wissen, auch ein Symbol für die ersten drei Gebote der
mosaischen Tafeln, deren Bedeutung wahrhaft universell ist und die durch das
weisse Feld im musivischen Pflaster versinnbildlicht sind, und schliesslich
ein Symbol für das Universum, der alleinigen Quelle des Lichts.
Die Bibel ist ein Symbol unerschöpfter und unerschöpflicher Offenbarung
der Wahrheit.
Der Freimaurer aber, der einzelne Bruder, muss in diesem Symbol das für
ihn gültige, vom Allmächtigen Baumeister aller Welten inspirierte oder
diktierte Buch der heiligen Gesetze sehen: Die Bibel, die Tora, den Koran,
die Tripitaka, die Weden (Veda), archäologische Zeugnisse früher Kulturen,
neue Erkenntnisse aus dem Weltall. Mit dem weiss schimmernden Kubus als
Symbol für die Gesamtheit der Bücher der heiligen Gesetze würde die moderne
Freimaurerei wieder an ihre Wurzeln zurückkehren, an die Stätte der
Wahrheit, zur Bruderschaft der Baumeister, die im alten Ägypten die
Königsgräber bauten und den Stein des Lichts als Symbol der Maat, der reinen
Weisheit und Liebe, verehrten; der Bruderschaft von Baumeistern, die in den
allerfrühesten Anfängen der Geschichte der Menschheit ein Wissen über die
Baukunst und die Herstellung von Farben und Formen kannten, über die wir
heute nur rätseln können und die für die eindrücklichsten initiatischen
Erlebnisse der Pharaonen zuständig waren und ihnen den Weg vorbei an den
Klippen menschlicher Eitelkeit und Habgier wiesen.
Zwei Grundsätze
Zwei Grundsätze müssen für den Freimaurer Gültigkeit haben: Erstens sind
die Bücher der heiligen Gesetze die Grundlage für das friedliche
Zusammenleben der Menschen, das allein den Aufstieg der Menschheit in eine
höhere Stufe der Zivilisation ermöglicht. Und zweites ist der Inhalt der
Bücher der heiligen Gesetze, vor allem aber deren sprachlichen Übersetzung
und Auslegung des Inhalts, durch wen auch immer, laufend auf seinen
Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Ein Freimaurer wird dem Buch der für ihn heiligen, vom Allmächtigen
Baumeister aller Welten inspirierten, Gesetze stets den grössten Respekt
erweisen, dessen Inhalt aber laufend überprüfen und hinterfragen, und er
wird bereit sein zur Akzeptanz oder Toleranz anderer Interpretationen oder
neuer Erkenntnisse.