Zum Studienthema des Monats Januar:
Das musivische Pflaster zeigt die Welt, wie sie ist
Der Salomonische Tempel war mit schwarzen und weissen Steinen
gepflastert. Dieses musivische Pflaster erscheint auf den meisten
Arbeitsteppichen der Freimaurer. Wie steht es um die symbolische Bedeutung
dieses Pflasters? Es wird symbolisch für das Schlechte und das Gute im
menschlichen Leben angesehen.
Alfred Messerli, Loge Catena Humanitatis, Zürich (Schweizer
Freimaurer-Rundschau: Januar 2005)
Nach einer alten, auf ihren Ursprung kaum überprüfbaren maurerischen
Tradition war der Salomonische Tempel mit schwarzen und weissen Steinen
gepflastert. Dieses musivische Pflaster wird auf den meisten
Arbeitsteppichen der Freimaurerei verwendet. Die wenigsten Maurer haben sich
Gedanken um die symbolische Bedeutung dieses Pflasters gemacht.
So wie im Mosaik die hellen und dunklen Vierecke abwechseln, so ist auch
in der Natur und im Menschenleben ein steter Wechsel von Licht und
Finsternis, von Entstehen und Vergehen, von Freude und Schmerz, von Glück
und Unglück, von Leben und Tod zu konstatieren. Dadurch aber, dass dieses
Mosaik eine vollkommene Regelmässigkeit in ihrer Abwechslung von hellen und
dunkeln Quadraten oder Dreiecken zeigt, soll der Lehrling sich gewöhnen, das
irdische Dasein nicht als ein Spiel des blind wütenden Zufalls, sondern als
etwas von ewigen Gesetzen in die Bahnen zum Vollkommenen hin Geleitetes zu
betrachten. A. Hieber hat dies in seinem Leitfaden durch die Ordenslehre
1922 festgehalten. August Horneffer hat sich ähnlich ausgedrückt: «Das
musivische Pflaster zeigt die Welt wie sie ist, als eine ursächliche
Verkettung von Gut und Böse».
Claus C. F. Feddersen hat sich in seinem zweibändigen grundlegenden Buch
über die Arbeitstafeln in der Freimaurerei intensiv mit dem musivischen
Pflaster befasst. Und er hat neue Erkenntnisse zusammengetragen. Der
musivische Fussboden wird auch musivisches Pflaster oder Estrich genannt,
englisch «mosaic pavement» und französisch «pavé mosaique». Dieses Pflaster
gehört zu den ältesten der freimaurerischen Symbole und findet sich auf fast
allen Arbeitstafeln der Welt.
Wir kennen dieses Symbol schon aus sehr alten Ritualen und Akten, wo es
fast stets mit dem Vereinigungsband und dem flammenden Stern zusammen
erwähnt wird. Er wird symbolisch für das Schlechte und das Gute im
menschlichen Leben angesehen.
Die Meister der Bauhütten in England – und natürlich auch auf dem
Festlande – haben ihre Entwürfe und auch den Unterricht für die Lehrlinge
auf Platten oder Pergamenten gemacht, auf welchen sie Pläne entwickelten,
die sie auf diesem geometrischen System aufbauen konnten. Dieses wurde als
eines der Geheimnisse gehütet und auf den ältesten uns bekannten
Arbeitstafeln und deren Vorgänger als ein massgebliches Symbol der
Freimaurerei aufgezeichnet. Um es etwas verständlicher auszudrücken: Die
Meister der Bauhütten haben ein Grundmuster mit Quadraten verwendet, auf dem
sie alle ihre Konstruktionen für den Kathedralenbau aufbauten. Und aus
diesem Grundmuster hat sich dann das musivische Pflaster entwickelt.
Wir finden auf den frühesten Arbeitstafeln vielfach die Betonung des
Eigenwertes des musivischen Fussboden, wobei dieser nur partienweise
vorhanden ist, oft gesondert umrandet wird wie ein Schachbrett, welches
gerade dann auch vor dem Tempel auf der Tafel, oder wo kein Tempel vorhanden
ist, vor der mittleren Kammer als musivischer Fussboden aufgezeichnet war.
Georg Baller hat sich gründlich mit diesem Thema befasst. Wir lesen bei
ihm: Der Steinmetzgrund besteht aus einem endlosen Netz aus einem Rasterwerk
von Quadraten, welche auf der Ecke stehen. Die ideale Figur der Erde ist in
diesem Netz symbolhaft abgegrenzt durch das Winkelmass am oberen, den Zirkel
am unteren Pol. Der Kreuzbalken teilt das Weltquadrat in zwei rechtwinklige
Dreiecke, die Waagerechte ebenso. Das Dreieck also ist die Urfigur, das
Element, welches das Quadrat zusammenfügt. Legt man nun die im Rastergrund
des gerechten Steinmetzgrundes stehenden Halbquadrate mit ihrer Hypotenusen
in einer ununterbrochenen Linie zusammen, so bekommt man eine Rahmenlinie.
Dieser Rahmen kann nur rechtwinklig abgegrenzte Figuren umgrenzen. Aus den
Rahmenlinien kann man im Rastersystem neue Quadrate bilden.
Wenn man diese Quadrate als Bausteine auffasst, so bilden immer 3 x 3 = 9
Quadrate einen zusammen gesetzten grösseren Baustein, der nun nicht mehr auf
der Ecke, sondern auf der Grundlinie steht. So ist der Steinmetzgrund ein
ideales System, einen Entwurf in gesetzesmässiger Weise vorzuzeichnen.
Ein weiterer Gesichtspunkt des musivischen Fussbodens ist die Deutung als
Mosaik. Das Wort musivisch wird auch in der profanen Literatur für Mosaik
angewandt. Auch diese Kunst ist eine sehr alte und geht bis in das Altertum
zurück. Mosaike waren kostbare Ausschmückungen von Fussböden und Wänden, die
in der Spätantike ein hohes künstlerisches Niveau erreichten. Besonders in
Tempeln waren die Fussböden vielfach mit solchen Mosaiken ausgelegt, und wir
hören das auch vom Tempel Salomos, obgleich da in der freimaurerischen
Tradition Unwahrscheinlichkeiten auftreten. In jedem Fall ist hier sicher
nicht die historische Tatsache gemeint, denn der Tempel Salomos war nach dem
biblischen Bericht nicht mit Mosaiken ausgelegt. Es gab einen Teil des
Tempels, welcher mit Mosaikfussboden ausgelegt war. Der Talmud informiert
uns, dass ein solcher Fussboden im Konklave bestanden hatte, in welchem der
grosse Sanhedrin seine Versammlungen durchführte.
Im Talmud heisst es, dass dieser Fussboden die «Grundfeste des Tempels
deckt». An dieser Formulierung haben sich schon manche Forscher den Kopf
zerbrochen, da mit der Grundfeste der alte Tempel gemeint ist, der hier mit
dem musivischen Fussboden bedeckt ist.
Jesus, wie es beispielsweise im 1. Korintherbrief 2,10 und 11, heisst:
«Nach der mir von Gott verliehenen Gnade habe ich das Fundament wie ein
verständiger Architekt gelegt, ein anderer aber baut darauf; ein jeder sehe
jedoch, wie er darauf baue. Denn ein anderes Fundament wie das, welches
gelegt ist, kann niemand legen, welches Jesus Christus ist». Interessant ist
auch ein anderer Hinweis im Neuen Testament (Markus 14,15 und Lukas 22,12).
Es geht um die Vorbereitung des Passahmahles: «Und jener wird euch ein
grosses Obergemach zeigen, das mit Pflaster belegt ist, dort bereitet das
Passahmahl». Jesus verlangte also gerade für dieses Mahl, welches das Symbol
für seinen Opfertod wird, einen mit Pflaster belegten Saal. Zweifellos ist
eben dieser gepflasterte Saal von Bedeutung, und das umso mehr, je mehr die
Bedeutung des Abendmahles in der christlichen Tradition wuchs.
Dieser Saal ist also mit einem solchen Fussboden geschmückt, was auch mit
der Gruppenbezeichnung dieses Symbols in der Freimaurerei zusammenpasst.
A.G. Mackey ist der Meinung, dass der Gedanke dieses Fussbodens auf
Johannes 19, 13 zurückgeht. «Von dem an trachtete Pilatus, wie er ihn
losliesse. Die Juden aber schrieen und sprachen: Lässt du diesen los, so
bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum König macht, der ist
wider den Kaiser. Da Pilatus das Wort hörte, führte er Jesum heraus und
setzte sich auf den Richtstuhl an der Stätte, die da heisst Hochpflaster».
Auf Hebräisch heisst das Gabbatha. Dieses Wort heisst im griechischen Urtext
Lithostratos, ein Wort, das auch im lateinischen für einen Mosaik-Fussboden
benutzt wurde, der aus Schmucksteinen verschiedener Farben bestand, genau
das, was der «musivische Fussboden» meint.
Es gibt in der Bibel noch verschiedene andere Stellen, die auf das
musivische Pflaster Bezug nehmen.
Wir können also erkennen, dass das Symbol des musivischen Fussbodens
hintergründig einen ungemeinen Gedanken- und Inhaltsreichtum offenbart. Er
wurde als ein Messgrund in der Baukunst angesehen, schmückte als Mosaik
Tempel und Kirchen und wurde vertieft in der Symbolik des Göttlichen. Diese
Inhalte bestanden nicht nacheinander, sondern schon seit ältester Zeit
miteinander.
Unsere Gründerväter haben bewusst dieses Symbol in die Freimaurerei
eingeführt und auch neu gedeutet.
Freimaurerische Deutungen des musivischen Pflasters
Die Deutung des musivischen Pflasters in freimaurerischer Sicht ist
keineswegs einheitlich. Im nachfolgenden versuche ich einige dieser
Deutungen zusammen zu stellen. In der Erklärung der Gebräuche bei der
Aufnahme eines Lehrlings heisst es bei der Grossen Landesloge der Freimaurer
von Deutschland: «Ausser diesem Seil ist noch der musivische Fussboden ein
aus Salomos Tempel hergenommenes Sinnbild. Es deutet auf die Abwechslungen,
denen der Mensch und die ganze Natur unterworfen sind. Der Freimaurer soll
diese Abwechslungen mit Ergebung, Demut und Stärke ertragen und jenes
höchste Gut suchen, bei welchem kein Wechsel des Lichts und der Finsternis
ist».
In der Fassung Nettelbladts von 1823 heisst es: «Die Franzen und der
Mosaische Fussboden sind Bilder aus Salomos Tempel hergenommen. Auch war
daselbst ein schöner Mosaischer Fussboden. Ein wohlgeordneter Verstand und
schöne Grundsätze zieren ebenfalls den lebendigen Tempel, den Menschen, und
die allerheiligste Stelle, die da ist – das menschliche Herz».
Im VIII. Fragebuch von Nettelbladt heisst es: «Welches Sinnbild schliesst
der weisse und schwarze Fussboden in sich?» Die Antwort lautet: «Er stellt
des Ordens wechselnde Schicksale in Glück und Unglück, Freude und Leid,
Reichtum und Armut, Zunahme, Abnahme und Glanz, die seine jetzige Gestaltung
veranlassten und förderten, vor».
In der neunten Frage heisst es: «Was bedeutet der Fussboden aus Mosaik
mit seinen viereckigen schwarzen und weissen Seiten?»
Die Antwort lautet: «Die beständig erfolgende Umwechslung von Tod und
Leben, von Licht und Finsternis, vom Bösen und Guten, die in den vier
Bestandteilen der Materie oder in der so genannten elementarischen Welt
stattfindet». Im Ritual der Grossen National-Mutterloge Zu den drei
Weltkugeln heisst es nur: «Das ist das musivische Pflaster, welches der
Grund war, auf dem sowohl die zwei Säulen, die Sie sehen, als auch die zum
Innern des Tempels führenden Stufen ruhen».
Nur die neue Ritualkunde der alten Freien und Angenommenen Maurer bringt
einige Erläuterungen: «Das musivischer Pflaster, der alte Messgrund der
Steinmetzen, leitet sich vom Lambdoma der Pythagoräer her. In der
maurerischen Symbolik weisen seine wechselnden weissen und schwarzen Felder
auf den ständigen Wechsel von Licht und Schatten, Freude und Schmerz, Kommen
und Vergehen hin, der das Leben auf der Erde kennzeichnet. Die
Regelmässigkeit der Anordnung zeigt indessen an, dass dieser Wechsel nicht
ein Spiel des blinden Zufalls, sondern die Wirkung ewiger Gesetze ist, die
uns die Bahnen der Entwicklung zur Vollendung hin geleiten wollen».
Widmann weist darauf hin, dass die Steinmetzen das geometrische Gerüst
des Fussbodens mit seinen Quadraten benutzt haben, um alle ihre Steinmetzund
Architektenzeichen aus diesen zu entwickeln. «Es gibt kein einziges der
vielen, seither ganz unerklärten Steinmetzzeichen, welches nicht mit
äusserster mathematischer Präzision aus diesem rautischen Fussboden zu
erklären wäre.
Diese Steinmetzzeichen gibt es seit ältesten Zeiten bei allen Völkern im
Mittelmeerraum und bei den Kathedralen der Romanik und der Gotik.