Steht der Öffnung nach aussen das Gelübde entgegen?
Öffentlichkeitsarbeit und Gelübde - ein Widerspruch?
Es gibt Brüder, die die Auffassung vertreten, dass der
Internetauftritt der Freimaurer, ja die ganze Öffentlichkeitsarbeit im
Widerspruch stehen zum abgegebenen Gelübde bei der Aufnahme. Der Webmaster
der Schweizerischen Grossloge Alpina nimmt in der nachstehenden Betrachtung
zu diesem Vorwurf Stellung.
Hans-Ulrich Helfer, Loge Catena Humanitatis in Zürich, Webmaster der
Schweizerischen Grossloge Alpina (Schweizer Freimaurer-Rundschau:
November 2005)
Ein Bruder Freimaurer legte vor einiger Zeit eine Arbeit vor, in welcher
er die profane Öffentlichkeit mit freimaurerischem Gehalt konfrontierte. Das
Einweihungsritual der Freimaurer wurde nicht genau wiedergegeben, aber doch
alle wesentlichen Elemente. Diese öffentliche Darlegung führte in den
verschiedenen Logen zu heftigen Diskussionen und schliesslich im
Zusammenhang mit Anfeindungen aus der profanen Welt auch zu Austritten. Ich
frage mich in diesem Zusammenhang ob unser Bruder Wolfgang Amadeus Mozart
mit seiner «Öffentlichkeitsarbeit», nämlich der Oper «Die Zauberflöte», das
Gelübde verletzt hat, wie viele seiner Brüder damals dachten? Lassen wir die
Frage vorerst offen.
Welches Gelübde und welche Aussagen stehen hier zur Diskussion? Es kann
nur das Gelübde der Tempelarbeit im 1. Grad bei der Aufnahme sein und
zusätzlich vielleicht noch das Gelübde aus der Werklehre. Aus dem
fünfteiligen Gelübde ist nur der erste Satz für dieses Thema von
Wichtigkeit:
Der Wortlaut des Gelübdes
«Ich gelobe, die Sinnbilder und Gebräuche der Freimaurerei getreu in
meinem Herzen zu bewahren und nie einem Uneingeweihten zu entdecken. Ich
gelobe, ein treues und eifriges Glied des Bundes zu sein, seine Ehre zu
wahren und sein Wirken zu fördern. Ich gelobe, meinen Brüdern ein treuer
Bruder zu sein, in Freud und Leid, mit Rat und Tat. Ich gelobe, meinen
Pflichten in Haus und Beruf gewissenhaft nachzukommen, mein Vaterland von
ganzem Herzen zu lieben und ihm zu dienen als treuer Bürger nach besten
Kräften. Ich gelobe ein guter Mensch zu sein, wahr und treu, Duldsamkeit zu
üben gegenüber der ehrlichen Überzeugung Andersdenkender, meine Mitmenschen
zu lieben als Brüder und ihrem Wohle mich zu weihen, mein Leben lang».
Im Gelübde aus der Werklehre ist es der dritte Absatz: «Ich gelobe,
fortan meine Pflichten als Familienmitglied, als Bürger und als Mensch mit
erhöhtem Eifer und Opfersinn zu erfüllen, jede ehrliche, die Moral und die
Nächstenliebe nicht verletzende Überzeugung meiner Mitmenschen zu achten und
im Streben nach Wahrheit und Selbstveredelung nie zu erlahmen. Ich gelobe,
die Gesetze des Freimaurerbundes gewissenhaft zu befolgen, für das Gedeihen
meiner Loge zu wirken, meine Brüder zu lieben und ihnen mit Rat und Tat
beizustehen, soweit es meine Ehre und meine Pflichten gegenüber Gott,
Vaterland und Familie gestatten. Ich gelobe, die Erkennungszeichen der Loge
sowie die Gebräuche der Freimaurerei streng geheim zu halten, über die
Arbeiten und Verhandlungen der Loge die nötige eines Ehrenmannes würdige
Verschwiegenheit zu bewahren und meine Aussagen «Auf Maurerwort» stets als
Versicherung an Eidesstatt zu betrachten».
«Zeiget als Maurer im Gewühle des Lebens die Tugenden, die ihr hier
bekanntet»
Im Hinblick auf eine allgemeine Öffentlichkeitsarbeit sind aber auch
andere Aussagen im Ritual von Bedeutung. Beispielsweise: Im Gebet der
Tempelarbeit I: «Gib, dass unsere Versammlungen dazu beitragen, uns in der
Liebe zu unseren Pflichten zu festigen und durch vereinte Kraft und durch
die Macht des Beispiels alles Gute und Wahre immer weiter zu verbreiten».
Und am Schluss der Arbeit sagt der Meister vom Stuhl: «Meine lieben Brüder,
so gehet hin in Frieden und zeiget als Maurer im Gewühle des Lebens die
Tugenden, die ihr hier bekanntet».
Geheimgehalten werden sollen also einerseits die Sinnbilder, die
Gebräuche, die Erkennungszeichen sowie die Arbeiten und Verhandlungen.
Anderseits sollen wir aber «im Gewühle des Lebens» das «Gute und Wahre»
sowie die Freimaurerischen-Tugenden immer weiter verbreiten. Was ist mit den
Verboten und Aufforderungen ganz genau gemeint? Einiges ist klar, aber nicht
alles. Darüber könnten wir nun lange sinnieren und diskutieren.
Freimaurer und Öffentlichkeitsarbeit
Zur Definition: «Öffentlichkeitsarbeit» bedeutet, eine vorteilhafte
Darstellung der erbrachten Leistungen zu geben, um so ein
Vertrauensverhältnis zu schaffen». Wir Schweizer Freimaurer tun dies seit
über 150 Jahre in unterschiedlichem Masse. Erstens durch jeden einzelnen
Bruder selber ausserhalb der Loge. Zu erwähnen wären die Brüder im 19.
Jahrhundert wie etwa Bundesrat Jonas Furrer und die vielen anderen namhaften
Brüder der Vergangenheit und Gegenwart. Die Schweizer Freimaurer-Rundschau,
die Zeitschrift «Alpina» erscheint bereits im 131. Jahrgang. Sie ist seit
1928 öffentlich zugänglich und kann von Profanen abonniert werden. Seit bald
fünf Jahren wird jede Ausgabe dieser Zeitschrift für zwei Monate als
pdf-Datei sowie zusätzlich alle Editorials und einige ausgewählte Artikel
auf dem Internet aufgeschaltet.
Seit Jahren verfügt die Schweizerische Grossloge Alpina (SGLA) über einen
eigenen Internetauftritt. In den letzten zwei Jahren wurde dieser
Internetauftritt von über 175'000 unterschiedlichen User besucht. Dazu ist
zu bedenken, dass von den 79 lokalen Logen über fünfzig ein eigene Homepage
betreiben. Dies zeigt uns einerseits, dass die Schweizer Freimaurer eine
Öffentlichkeitsarbeit wollen und die Öffentlichkeit suchen, aber anderseits
auch, dass ein sehr grosses Bedürfnis nach Informationen über die
Freimaurerei in der profanen Welt vorhanden ist.
Die Frage nach der zeitgemässen und richtigen Öffentlichkeitsarbeit
Was Öffentlichkeitsarbeit negativ oder positiv verursachen kann, zeigt
das Beispiel der Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit der Fonjallaz-
Initiative: 1919 erschien erstmals das Buch von Wichtl «Weltfreimaurerei,
Weltrevolution, Weltrepublik». In Italien erklärte 1923 der Grosse
Faschistenrat die Freimaurerei als unvereinbar mit der faschistischen Idee.
1925 wurde die Freimaurerei (so genannte Geheimgesellschaften) in Italien
vom Parlament verboten. Hitler spricht sich in seinem Buch «Mein Kampf»
ebenfalls 1925 gegen die Juden und Freimaurerer aus. Schon 1921 schoss sich
das katholisch konservative Bündner Tagblatt auf die Freimaurerei ein. Im
Jahre 1924 wurden in der Schweiz rund 470 Presseartikel gegen die
Freimaurerei registriert. Die 1925 gegründete Schweizer Heimatwehr
veröffentlichte ab 1927 in ihrem Blatt «Schweizerbanner» auch
Mitgliederlisten von Logen. Einer ihrer Sprecher war Gregor
Schwarz-Bostunitsch, der spätere Leiter des SSFreimaurermuseums in München.
Namhafte Freimaurer, wie etwa Alt- Grossmeister und Zürcher Stadtrat Hermann
Häberlin zum Beispiel, mussten sich schwere Diffamierungen und Nachteile
gefallen lassen, die bis zur Nicht-Wiederwahl führten (1929).
Die Schweizerische Grossloge Alpina schwieg
Wie reagierte die Leitung der Grossloge auf all die Anfeindungen?
Kurzsichtig, nämlich durch Nichtbeachtung. Im Rückblick wird diese
Untätigkeit heute als der maurerischer Tradition entsprechend beschrieben,
was eindeutig nicht stimmt. Einzig Bruder Keller-Bucher erkannte die
Tragweite und richtete bereits 1921 eine Abwehrstelle ein, die aber nach
seinem unerwarteten Tod von der Grossloge wieder aufgelöst wurde. Erst 1928,
fast zehn Jahre zu spät, reagierten die Verantwortlichen dann endlich
öffentlich, indem sie die Allgemeinen maurerischen Grundsätze der
Schweizerischen Grossloge dem Bundesrat, der Bundesversammlung, den
Kantonsregierungen und den kantonalen Parlamenten zustellten. Die
Zeitschrift Alpina wurde umgestaltet und der Öffentlichkeit halbherzig
zugänglich gemacht.
Die Schweizerische Grossloge Alpina im Abwehrkampf gegen die Frontisten
Der Basler Arzt, Kurt von Sury, wurde als 53jähriger im Bewusstsein, den
Kampf gegen die Fonjallaz-Initiative führen zu müssen, zum 19. Grossmeister
gewählt. Sein in die Wege geleitetes Abstimmungskonzept könnte noch heute
vielen politischen Organisationen zur Ehre gereichen. Zuerst gründete er ein
überparteiliches Komitee, das vom Nichtfreimaurer Luzerner Stadtpräsidenten
und Nationalrat Wey, der zugleich Vizepräsident der Freisinnigen Partei der
Schweiz war, präsidiert wurde und rege Aktivitäten entwickelte. Alle Logen
mussten einen Bruder ernennen, der an öffentlichen Veranstaltungen auftreten
konnte. An die Grosslogentagung 1936 wurde erstmals in der Geschichte der
Alpina die Presse eingeladen. Auch in den einzelnen Logen ging man in die
Offensive. Die Zürcher Loge In Labore Virtus veröffentlichte ihre
Mitgliederliste, wer nicht einverstanden war, dem stand die Deckung frei.
Harte und unerfreuliche politische Auseinandersetzungen
Es folgten fast unerträgliche Jahre der politischen Auseinandersetzung.
Die Schweizer Frontisten wurden aus Hitler-Deutschland mit
Propagandaschriften unterstützt. Viele Freimaurer hatten Angst um ihre
Existenz und reichten die Deckung ein. Die Mitgliederzahlen schwanden bis
zur Abstimmung um 27 Prozent und bis zum Kriegsende sogar um 46 Prozent.
Endlich nach fast drei Jahren kam das erste positive Signal in der
Sommersession 1937, als der Nationalrat mit 107 zu 2 Stimmen die Initiative
zur Ablehnung empfahl. Das Schweizer Volk erteilte am 28. November 1937 der
Initiative mit 69,3 % Nein eine Abfuhr. Damit war die Schweiz das einzige
Land, in dem die Freimaurerei durch das Volk legitimiert wurde. Grossmeister
von Sury erkannte sofort die wahre Bedeutung, als er sagte, das
Schweizervolk habe nicht aus Sympathie für die Freimaurer so entschieden,
sondern für das Vereinsrecht und gegen die Frontisten. «Den Freimaurern
bleibt viel zu tun», meinte er hinsichtlich Öffentlichkeitsarbeit.
Neue Anfeindungen von der Rechtsextremen Seite
Einige könnten nun einwenden, dass dies schon bald siebzig Jahre her sei.
Diese Brüder möchte ich fragen ob sie die neu aufstrebende «Partei National
Orientierter Schweizer (PNOS)» kennen, die bereits über Parlamentssitze in
Gemeinden verfügt. In ihrem 20-Punkte Programm heisst es nämlich unter Punkt
9: «Auflösung aller Logen und Geheimbünde, die den Interessen von Volk und
Staat schaden. Es darf für einen Schweizer kein höheres politisches
Treueverhältnis geben als das gegenüber seinem Land und Volk. Gegen diesen
Grundsatz verstossen all jene Politiker, Redaktoren, Kirchen- und
Wirtschaftsführer, die irgendwelchen internationalistischen Logen, Orden und
Absprachegremien angehören. Dazu gehören zum Beispiel die Freimaurer, die
Jesuiten, die Zionisten und die Teilnehmer an den so genannten
Bilderberger-Treffen und privaten «Weltwirtschaftsgipfeln». Sie alle stellen
die Loyalität zu den Zielen ihrer Vereinigung über die Treue zur
Eidgenossenschaft. Solche Vereinigungen müssen deshalb aufgelöst werden.» In
der Ausgabe Nr. 11 des Jahres 2003 fordert die PNOS in ihrem Organ
«Zeitgeist» ein Verbot der Logen. Für die Freimaurer stellt sich die Frage:
Wann sollen wir solchen Anfeindungen entgegentreten? Früh oder zu spät? Ich
möchte nur darauf hinweisen, dass wir uns ja bekanntlich – wie jeder Bruder
Meister weiss – mit den Argumenten unserer Gegner befassen sollten und wo
nötig, eine angebrachte Öffentlichkeitsarbeit leisten müssen.
Steht das Gelübde der Öffentlichkeitsarbeit im Wege?
Die Frage nach der richtigen Öffentlichkeitsarbeit der Freimaurer ist
sicher legitim. Zudem müssen aber auch Fragen erlaubt sein, inwieweit müsste
ein Gelübde überarbeitet und der Zeit angepasst werden. Oder es ist zu
hinterfragen: Was wäre wenn wir alle Mitgliederlisten oder «Zeichen, Wort
und Griff» öffentlich bekannt geben würden? Was würde es für die
Freimaurerei bedeuten? Was würde dies für mich persönlich bedeuten?
Persönlich hätte ich damit absolut keine Probleme. Es würde mich als
Freimaurer nicht verändern, aber vielleicht im positiven Sinn das Verhältnis
der Profanen zur Freimaurerei.
Ich vertrete aber in solchen Fragen ja nicht nur mich, sondern auch meine
Mitbrüder. Wichtig ist der Respekt vor Brüdern, die sich durch zu weit
gehende Öffentlichkeitsarbeit in ihren Gefühlen verletzt fühlen. Die
Anliegen dieser Brüder sind ernst zu nehmen und zu berücksichtigen. Es gibt
Dinge, die wir nicht sagen können, beispielsweise unser Erlebnis bei der
Aufnahme, und es gibt Dinge, die wir nicht sagen sollten, weil wir nicht
damit rechnen dürfen, dass sie überhaupt verstanden werden können.
Die Grenzlinie an der Tempeltüre ziehen
Wir sollten auf jeden Fall an der Tempeltüre, wie wir dies an der
privaten Wohnungstüre tun, eine Grenzlinie ziehen. Die so genannt besonderen
Umstände, «Zeichen, Wort und Griff» sowie die Mitgliedschaft beispielsweise
sind Tabus, die gegenwärtig nicht zur Diskussion stehen. Wir sollten der
Öffentlichkeit über die Medien klar machen, dass auch wir Anspruch auf die
Wahrung einer Intimsphäre haben.
Ich sehe aber weder zu Mozarts noch zu unseren Zeiten einen Widerspruch
zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Gelübde. Der Grad der
Öffentlichkeitsarbeit muss jedoch der Zeit entsprechen. Jede Zeit verlangt
eine andere Öffentlichkeitsarbeit, aber vielleicht – wage ich anzumerken –
auch ein zeitgerechtes Gelübde.