Freimaurerei ist modern, wenn sie zeitgemäss gelebt wird
Freimaurerei - eine moderne Idee?
So wie ich’s lebe, das ist modern. Modern heisst auf der Höhe der
Zeit, dem Zeitgeschmack entsprechend, zeitgemäss, modisch. Freimaurerei wäre
dann modern, wenn sie zeitgemäss gelebt würde, wenn sie für
gesellschaftliche Probleme Lösungsansätze bieten könnte. Kann sie das?
Eric Ambühl, Redner der Loge Prometheus Solothurn (Schweizer
Freimaurer-Rundschau: Dezember 2005)
Diese Frage muss auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation und
in Kenntnis freimaurerischer Prinzipien beantwortet werden. Darum skizzieren
wir zuerst die gesellschaftliche Situation und anschliessend legen wir dar,
was Freimaurerei ist und will, wie sie arbeitet, und woran man ihr Wirken
erkennt.
Die gesellschaftliche Situation
Die Zukunft wächst aus dem Boden der Gegenwart; in der heutigen
Ausgangslage wirken bereits diejenigen Kräfte, die sich künftig durchsetzen
werden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es den Freimaurern der
Aufklärung gelungen ist, ihre Vorstellungen, wie die Gesellschaft sein
sollte, in die Verfassungen des 19. Jahrhunderts einfliessen zu lassen. –
Welche Entwicklungslinien zeichnen sich aber seit dem Zweiten Weltkrieg ab?
Offensichtlich haben sich die Rahmenbedingungen des Alltagslebens während
der letzten Dezennien bedeutend verändert. Mit der Globalisierung ist die
Erde nicht nur zum überseh- und überhörbaren Dorf zusammengewachsen, unter
dem Druck der Entwicklung von Technologie,Wirtschaft und Informatik hat sich
auch das individuelle Zeitgefühl vollständig verändert. Die Zeit für sich
selber, für Familie und Freunde wird vielerorts von andern Prioritäten
aufgefressen; die Zeit für die Formung des eigenen Charakters und für die
Pflege der Freundschaft fehlt.
Der Siegeszug von Marktwirtschaft und Ökonomie, die Konzentration von
Kapitalien und die damit verbundene Spekulation bewirken eine Dynamik, die
sich in der Unplanbarkeit der Zukunft auswirkt. Im Vergleich mit
ökonomischen und finanziellen Prioritäten erscheinen humanitäre, soziale und
ökologische Aspekte im Grossen wie im Kleinen als vernachlässigbar.
Nationalstaatliche Organisationen erweisen sich gegenüber transnationaler
Wirtschaftsmacht als wenig wirksam, die traditionellen Parteien ringen um
eine neue Identität und um der veränderten Situation angepasste
Zielsetzungen. Wie die Staaten haben auch die offiziellen Religionen an
Autorität eingebüsst.
In der multiethnisch, multikulturell und multireligiös gewordenen
Informationsgesellschaft kommen viele Menschen trotz aller technischen
Fortschritte moralisch nicht weiter. Vergeblich suchen sie nach innerem
Glück, nach Ruhe und Frieden. Viele versuchen, sich neu zu orientieren, sie
fragen nach der eigenen Identität. Angesichts der neuen Ausgangslage stellen
sich die Lebensfragen anders als früher.
Was ist und was will die Freimaurerei?
Freimaurerei ist ein eigenartiges Lehrgebäude der Sittlichkeit, in
Gleichnisse gehüllt und durch Sinnbilder erklärt. Sie ist eine Lebensschule,
die das einzelne Mitglied durch Arbeit an seinem Innersten ermächtigen will,
seinen Beitrag zur Schaffung einer humanen Gesellschaft zu leisten. Die
Freimaurerei orientiert sich an den Idealen der Humanität, der Toleranz und
des Kosmopolitismus. Die angestrebten Ziele will der Freimaurer dadurch
erreichen, dass er seine Vorhaben mit Weisheit und Umsicht plant, dass er
sie konsequent und mit Stärke durchführt, und dass er insgesamt nach
Schönheit und Eleganz strebt.
Was die Freimaurerei will? Sie will ihre Mitglieder zu wahrem Menschentum
erziehen, so dass sie als Familienglied, als Bürger und als Menschen ihre
Pflichten gegenüber sich selbst und gegenüber Mitmenschen und Mitwelt
wahrnehmen und erfüllen. Sie will sie zu wertvollen Gliedern der
Gesellschaft machen, ohne sie in ihrer persönlichen Entfaltung zu hemmen.
Wie arbeiten die Freimaurer?
Jeder Freimaurer arbeitet an sich selbst, am eigenen rauen Stein. Er tut
dies auf seine eigene Weise. Entscheidend dabei ist die richtige Anwendung
der symbolischen Werkzeuge, Winkelmass, Zirkel, Spitzhammer, Meissel,
Setzwaage, Senkblei und Massstab. Der richtige Einsatz dieser Werkzeuge im
täglichen Leben macht die königliche Kunst aus.Weil die Entwicklung eines
tragenden Wertesystems einen wesentlichen Teil der Entfaltung der
Persönlichkeit des Freimaurers ausmacht, kann er diese Werte auch im
gesellschaftlichen Leben – in Familie, Betrieb, Freundeskreis,
Dorfgemeinschaft – zum Tragen bringen. Entscheidend dabei ist, dass die Loge
ein Milieu schafft, in dem der einzelne Freimaurer in brüderlicher
Auseinandersetzung seine Ideen entwickeln kann. Die Loge selber handelt
nicht, sie unternimmt nichts. Es ist immer der einzelne Freimaurer, der
handelt.
Bei seiner Arbeit am rauen Stein wird der Freimaurer unterstützt durch
Rituale, Instruktionen, brüderliche Zusammenarbeit und durch die Forderung,
persönliche Beiträge zum Logenleben zu leisten.
Woran erkennt man freimaurerisches Leben und Wirken?
Ein Freimaurer hat diese Frage wie folgt beantwortet:
- Daheim ist die Freimaurerei Güte,
- Im Geschäft ist sie Ehrenhaftigkeit,
- In Gesellschaft ist sie Höflichkeit,
- In der Arbeit ist sie Anständigkeit,
- Für den Unglücklichen ist sie Mitleid,
- Gegen Unrecht ist sie Widerstand,
- Für den Schwachen ist sie Hilfe,
- Dem Gesetz gegenüber ist sie Treue,
- Für den Glücklichen ist sie Mitfreude,
- Vor Gott ist sie Ehrfurcht und Liebe.
Der Nerv eines nach den Regeln der königlichen Kunst geführten Lebens und
Wirkens ist das Streben nach Wahrheit und nach Selbstveredelung.
Schlussfolgerung
Sicherlich kann die Freimaurerei zeitgemäss gelebt werden, Lösungsansätze
für gesellschaftliche Probleme kann sie aber nicht bieten. Das kann nur der
einzelne Freimaurer.
Dank intensiver Arbeit an seinem Innern verinnerlicht er die universelle
Ethik und die nicht trennende, sondern integrierende Denk- und
Handlungsweise der Freimaurerei, dank der Beherrschung der königlichen Kunst
setzt er sich mit den Problemen seiner Mitmenschen und seiner Mitwelt
auseinander, dank Unterstützung und Anregung aus dem Logenleben führt ihn
sein Streben nach Wahrheit zu archetypischen Strukturen und zu einer darauf
beruhenden Spiritualität. Aufgrund der aus dieser Arbeit resultierenden
Geisteshaltung kann der einzelne Freimaurer nicht nur zu sich selber finden,
aus ihr können auch Ideen für eine bessere Gestaltung des gesellschaftlichen
Zusammenlebens hervorgehen. In brüderlichem Miteinander kann er darauf
hinarbeiten, praktische Umsetzungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Nicht die Freimaurerei also, sondern die einzelnen Freimaurer sind dazu
bestimmt, einzeln oder gemeinsam mögliche Auswege aus der heutigen
weltweiten gesellschaftlichen Krise zu weisen oder ihren Beitrag zur
Schaffung eines ethischen und geistigen Fundaments für die Zukunft zu
leisten. Natürlich kann dieser Beitrag durch brüderliche Zusammenarbeit
potenziert werden. Kreativität auf der ganzen Linie ist gefragt. Liebe,
Licht und Leben könnte die Devise lauten.
Freimaurerei ist modern, wenn sie zeitgemäss gelebt wird. Dank ihrer
toleranten, humanen und kosmopolitischen Grundlage kann sie unserem Leben
und dem Leben kommender Generationen Sinn geben. Die Freimaurerei ist und
bleibt eine moderne Idee. Sie wird immer – den Forderungen der Zeit
angepasst – gelebt werden. Freimaurerei war immer!
(Diese Arbeit ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe der Loge Prometheus im
Orient von Solothurn, unter der Leitung ihres Redners, Eric Ambühl.)