Freimaurerei und die Frauen

Die geschichtliche Entwicklung

Unser Thema ist in mancher Hinsicht verwoben mit der Emanzipation der Frau auf politischem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet. Sie hat ihre Wurzeln in den Jahren nach der französischen Revolution. Die Bemühungen der Frau um Gleichstellung mit dem Manne reichen aber bis in die neueste Zeit.

Knut Bannier, Zur Freundschaft und Beständigkeit, Basel (Schweizer Freimaurer-Rundschau: August/September 2005)

Nach der französischen Revolution mussten die Frauen erkennen, dass die neuen Menschrechte der europäischen Aufklärung und des freien, selbstbestimmten Individuums in erster Linie Männerrechte waren. Erst 120 Jahre später, nach teilweise harten und massiven öffentlichen Auseinandersetzungen der Suffragetten besonders in England und in den USA, erkämpften sich die Frauen um 1920 in Russland, USA, Deutschland und England die politische Gleichberechtigung, das heisst das Stimm- und Wahlrecht. Andernorts hat das noch länger gedauert (Frankreich 1944). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Frauen ihre volle Gleichberechtigung in der westlichen Welt rechtlich verankern. Wie wir alle wissen ist Gleichberechtigung nicht gleichbedeutend mit faktischer Gleichstellung.

Unsere Tradition

Die Werkmaurerei alter Zeiten soll ihre Zünfte Frauen streng verschlossen gehalten haben. Und diese Tradition, so wird gesagt, habe 1723 Anderson in unserer Konstitution fortgesetzt. Nun haben aber freimaurerische Forscher in England herausgefunden, dass zumindest zwischen 1696 und 1714, wenn auch vereinzelt, Frauen Mitglieder in Logen waren, meist Töchter von Meistern, und dass es im Lehrlings-Aufnahmeritual der ehrwürdigen Loge von York 1693 eindeutig hiess: «the or shee» soll bei der Aufnahme die Hand auf das Buch legen.

Anderson schrieb am Ende des Abschnitts 3 der «Alten Pflichten»: «The Persons admitted Members to a Lodge must be … Men … no Women …». Wir kennen nicht den Grund für diese dezidierte Anweisung. Sie wurde später vielfach interpretiert und von der englischen Grossloge1989 durch folgende für eine Anerkennung heute gültige Formulierung noch verschärft: «Freimaurer müssen Männer sein, und sie und ihre Logen dürfen keine maurerische Verbindung zu Logen haben, in denen Frauen Mitglieder sind». Eine solche Ausgrenzung haben Frauen, wie sich auf Grund der kurz dargestellten Entwicklung der Frauenbewegung denken lässt, nicht so einfach hingenommen.

Wie gross das Sehnen bei Frauen schon des 18. Jahrhunderts war, es den Männern gleich zu tun, zeigen eine ganze Reihe von Theaterstücken aus dieser Zeit, die dieses Thema behandeln; nicht zuletzt auch die «Zauberflöte». Mehr als einmal haben es Frauen damals geschafft, versteckt in Wandschränken Arbeiten zu belauschen, durchs Fenster zu spähen oder als Männer verkleidet, an Arbeiten teilzunehmen. Sogar von der Kaiserin Maria Theresia wird derartiges berichtet.

Um das Jahr 1710 soll die Tochter eines irischen Lords, Miss St. Leger, ertappt worden sein, als sie heimlich eine Logen-Arbeit ihres Vaters beobachtete. Obwohl die Tatsachen strittig sind, ist sie in unsere Geschichte eingegangen als die erste Frau, die in eine Loge aufgenommen wurde – um sie zum Schweigen zu verpflichten.

In diesem 18. Jahrhundert trat neben Staat und Kirche gegen die Freimaurerei noch eine dritte Macht an, die Frauen. In Frankreich, damals Zentrum Europas, beherrschten Frauen von Stand die Salons, wo sich das öffentliche und politische Leben abspielte. Die damals junge Freimaurerei wagte, diese Grossmacht von jeder Beteiligung in ihren Freimaurer-Tempeln auszuschliessen. Kaiserin Maria Theresia machte 1743 deshalb mit den Herren kurzen Prozess und liess 100 Soldaten in die Wiener Loge ihres Ehemannes Franz I. einrücken und jeden verhaften.

Berner Frauen schwärzten 1745 ihre Freimaurer-Ehemänner beim Magistrat an, worauf die Regierung bei strengen Strafen die Freimaurerei verbot. Vielleicht hatten die Schwestern schon Goethe im Sinn, der für die Schwestern seiner Loge später dichtete: «Sollen aber wir, die Frauen, dankbar solche Brüder preisen, die ins Innere zu schauen immer uns zur Seite weisen?»

Adoptionslogen

Die Freimaurerei musste an dieser dritten Front einen Abwehrkampf liefern. Ein Mediziner und Poet verfasste in Frankreich ein damals bekanntes und für die Tradition des «no women» vielsagendes Gedicht zur Verteidigung der Freimaurerei gegen Staat und Kirche. Am Schluss hiess es: «Bevor ich schliesse, muss ich uns noch vor den Schönen rechtfertigen, die meinen, wegen des Verbots sie aufzunehmen, uns strafen zu müssen. Schönes Geschlecht, wir haben für euch Verehrung und Achtung, aber wir fürchten euch auch, und unsere Furcht ist rechtmässig. Ach, wir lernen aus dem ersten Unterricht, den man uns erteilt, dass aus euren Händen Adam den Apfel empfangen hat, und dass ohne eure Reize vielleicht jeder Mensch Freimaurer wäre». Schon seit 1730 versuchte man in Frankreich sich nicht nur zu rechtfertigen, sondern auch den Frauen entgegen zu kommen. Es entstanden der Freimaurerei nahe stehende Gesellschaften für Männer und Frauen mit eigenen Ritualen, die so genannte Adoptionsmaurerei. Herzoginnen und Prinzessinnen waren ihre Grossmeisterinnen. Zu den prächtigen «Frauenlogen» drängten im alten Frankreich der hohe Adel, berühmte Künstler und gefeierte Gelehrte. Die Arbeiten wurden meist mit einem glänzenden Ball abgeschlossen. Die ganze Welt tut da mit, schrieb 1781 die französische Königin Marie Antoinette. Auf der weiblichen Seite sollen Neugier und Eitelkeit, auf der männlichen Galanterie und Vergnügungssucht Triebfedern gewesen sein. Neben der «Schottischen Adoptionsmutterloge» war ein bekannter und nobler Orden in Europa der «Mops-Orden» entstanden. Die Gesellschaft der Möpse scheint gegen die Bannbulle «In eminenti» (1738) gegründet worden zu sein. Alle Handlungen eines Mopses sollten aus einer Quelle kommen, nämlich aus der Liebe.

Der damalige Modehund Mops galt dem Orden als Symbol der Treue. Aus Porzellan gefertigt, stellte er das Bijou dar. Bei der Aufnahme trugen die Kandidatinnen und Kandidaten Hundehalsbänder, kratzten und bellten an der Logentür nach Hundeart. Nachdem sie Einlass in das Heiligtum erhalten hatten, wurden sie unter dem Geheul der anwesenden Möpse neunmal an Hundeleinen im Tempel herumgeführt und nach Leistung eines Mitglied-Eids über die geheimen und eher scherzhaften Bräuche belehrt.

Maskuline Dominanz

Das alles war vordergründig gesehen lustig. Bald kam die Französische Revolution, die Adoptionsmaurerei verschwand, in Europa etablierte sich eine neue Lebensauffassung. Die Frau wurde, wie angeblich in der «guten alten Zeit», stärker an den Herd zurückgebunden, und die von beiden Geschlechtern erkämpften Menschenrechte waren zunächst nur Männerrechte. Der Ursprung unserer Frauenkränzchen ist in dieser Zeit zu suchen.

Erst 1850 entstand in Amerika mit der aufkommenden Frauenbewegung eine der Adoptionsmaurerei verwandte Organisation, aber jetzt nur für Freimaurermeister und die Frauen ihrer Familie, der «Order of the Eastern Star» mit heute etwa einer Million Mitgliedern in vielen Ländern der Erde. Er ist auch in der Schweiz vertreten. In den Ritualen wird auf fünf tapfere Frauen des Alten Testaments Bezug genommen.

Zur Zeit Napoleons nahm eine Rittmeisterin an den Arbeiten einer Pariser Loge teil. In Ungarn wurde 1877 eine Gräfin, die zivilrechtlich als Mann galt, weil sie die letzte ihres Geschlechts war, unter Protest vorübergehend in den Orden aufgenommen.

Und erst 1882 war es so weit: Eine esoterisch interessierte französische Frauenrechtlerin, Maria Deraismes, wurde in Frankreich normales Mitglied einer Freimaurer-Loge.

Gemischte Logen

Im ausgehenden 19. Jahrhundert erlebten gemischte Gemeinschaften, wie die Rosenkreuzer, Martinisten und Theosophen, einen Aufschwung. Und unter dem Einfluss der erwähnten Frauenrechtlerin Maria Deraismes und mit ihr befreundeter Freimaurer wurde 1893 in Paris die erste Organisation auf freimaurerischer Basis gegründet, die Frauen und Männer aufnahm, die Grossloge «Le Droit Humain» mit zunächst nur einer Loge. Der Droit Humain setzt sich für die allgemeine Gleichberechtigung beider Geschlechter ein und bearbeitet die Grade des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat seine Mitgliederzahl stark zugenommen (über 40'000), zum überwiegenden Teil sind es Frauen. Der Droit Humain ist heute in Europa, Australien, Nord- und Südamerika in über 50 Ländern vertreten.

In den USA und England trägt diese gemischte Freimaurerei den Namen Co- Masonry. Die Co-Masonry kam 1902 zunächst nach London, nachdem eine Engländerin, die Theosophin und Politikerin Annie Besant, in Paris in einer Loge des Droit Humain die ersten drei Grade erhalten hatte. 1907 war die Organisation bereits in den USA vertreten. Es gibt in manchen Ländern gemischte Logen auch ausserhalb des Droit Humain, so in Deutschland (Grossloge Humanitas) und in der Schweiz (Gemischte Schweizerische Grossloge).

Frauenlogen

1935 ging es einen Schritt weiter: die reinen Frauenlogen auf freimaurerischer Basis formierten sich – wieder in Frankreich. Im Jahre 1952 wurde die Grand Loge Feminine de France (GLFF) ins Leben gerufen. Zu ihr gehören heute rund 30 Logen in Europa, Afrika, Nord- und Südamerika. Die Logen der GLFF arbeiten nach unterschiedlichen Riten. Wie alle Freimaurer streben auch sie nach Selbsterkenntnis und arbeiten am Tempel der Humanität.

Nach 1952 haben sich von der GLFF unabhängige Obödienzen der Frauenfreimaurerei in Belgien, Deutschland (Zur Humanität, 1982), Italien und der Schweiz etabliert. Sie kooperieren in einer 1982 gegründeten Dachorganisation CLIMAF mit rund 12'000 Mitgliedern. Eine weitere, eigenständige, eher verschwiegene Organisation, The Order of Women Freemasons, gibt es inzwischen in England.

Die erste schweizerische Frauenloge, Lutèce, erhielt 1964 in Genf noch von der GLFF das Licht. 1976 gründeten dann drei Schweizer Frauenlogen ihre Grand Loge Féminine de Suisse. Die Frauenlogen (zur Zeit sind es 17 davon je eine in Basel, Bern und Zürich und im Tessin) arbeiten wie die Logen des Droit Humain, also nicht nach einem französischen Ritus, sondern in den Graden (selbstverständlich auch den Hochgraden) des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus.