Vorurteile gegen die Freimaurer
Es ist leichter, ein Atom zu zertrümmern, als Vorurteile abzubauen
Jugendliche, Alte, Frauen, Männer, Türken, Schweizer, Deutsche,
Prostituierte, Homosexuelle, Christen, Juden, Mohammedaner und Freimaurer:
Es existiert keine Gruppe von Menschen, keine Nationalität, keine Religion,
gegen die es nicht Vorurteile gibt und denen nicht bestimmte Eigenschaften
zugeschrieben werden.
Heinrich Erne-Château, Loge Osiris, Basel (Schweizer
Freimaurer-Rundschau: Februar 2006)
Im Besondern haben mich natürlich Vorurteile gegen die Freimaurer
interessiert. Ich bin auf die Suche gegangen und ziemlich rasch fündig
geworden. Einige Beispiele sollen zur Illustration aufgelistet werden:
Die Freimaurerei ist eine mächtige Geheimorganisation. Die Freimaurerei
bekämpft die römisch-katholische Kirche. Freimaurern wird von Brüdern
dreimal geholfen, dann müssen sie Suizid begehen. In Freimaurerlogen sind
die Juden dieser Welt organisiert. Bei der Freimaurerei handelt es sich um
eine Sekte. Freimaurer sind an internationalen Konspirationen beteiligt.
Freimaurer streben die Weltherrschaft an.
Es geht da um eine satte Liste von Vorurteilen, die man nicht einfach nur
gelassen zur Kenntnis nehmen kann. Dessen ungeachtet soll jetzt kein
Plädoyer für die Wahrheit folgen. Es würde ja ohnehin nicht viel nützen,
denn schon viele haben versucht, gegen diese ungerechten Vorurteile
anzukämpfen. Und das Fazit? Die Vorurteile sind quick lebendig geblieben.
Mit meiner Beurteilung finde ich mich in guter Gesellschaft. Albert Einstein
gelangte nämlich zur selben Schlussfolgerung: «Es ist leichter ein Atom zu
zertrümmern, als Vorurteile abzubauen». Vorurteile sind Einstellungen und
Überzeugungen, die kaum auf eigener Erfahrung und Sachkenntnis beruhen,
sondern sich viel mehr auf vorgefasste, ungeprüfte Meinungen stützen. Die
krasseste Form von Vorurteilen gegenüber andern Menschen sind die
Feindbilder. Ob ich als Feind abgestempelt werde und damit auf mein Umfeld
Angst erregend wirke, kann ich nicht beeinflussen.
Wie entstehen Vorurteile?
Viele Vorurteile und Feindbilder werden im familiären Umfeld von
Generation zu Generation überliefert. Andere Vorurteile werden von Lehrern
oder Idolen übernommen. Damit ist zugleich angedeutet, dass man sich
Vorurteile durch Lernen aneignen kann. Demgegenüber ist es aber ebenso sehr
denkbar, dass ein Mangel an Lernprozessen die Entstehung von Vorurteilen
begünstigt. Je begrenzter nämlich unser Wissenshorizont ist, je fremder
bestimmte Menschen auf uns wirken, je weniger persönliche Erfahrungen wir
mit ihnen machen, desto grösser ist die Gefahr, Vorurteile zu entwickeln.
Wir haben bereits in der frühen Kindheit die Tendenz, die Wirklichkeit zu
kategorisieren. Das, was wir wahrnehmen, teilen wir auf in gut und böse, in
richtig und falsch. Damit geben wir unserem eigenen Bild von der Welt eine
Struktur. Wir brauchen diese und andere, vielleicht auch ein bisschen
weniger simple Strukturen, um die Welt besser verstehen zu können, um uns in
unserem Leben leichter zu Recht zu finden, um mehr Sicherheit zu gewinnen
und um Ordnung ins Chaos zu bringen. Auf jeden Fall neigen wir dazu, die
Informationsfülle der komplexen Wirklichkeit zu reduzieren und zu
vereinfachen. Aus Sicht der Evolution ist dies höchst sinnvoll, denn in
Notsituationen können wir so wesentlich schneller Entscheidungen treffen,
die unser Überleben sichern. Allerdings blenden wir auch wichtige
Informationen aus, die sonst ein vollständigeres Bild der Wirklichkeit
ergeben würden. Unsere Tendenz zur Vereinfachung ist ein guter Nährboden für
Vorurteile, denn Vorurteile sind dank ihrer Klarheit und Eindeutigkeit so
überzeugend, dass sie niemals nach einer Überprüfung rufen und deshalb einer
Korrektur nur schwer zugänglich sind.
Auch die Tiefenpsychologie hält einen passenden Erklärungsansatz zur
Entstehung von Vorurteilen bereit. Vorurteile und Feindbilder zielen auf
Personen, Gruppen und Nationalitäten, die mit den inneren Bildern eine
gewisse Ähnlichkeit haben oder in irgendeiner Weise übereinstimmen. Die
Tiefenpsychologie bezeichnet das Hinausverlagern von inneren Vorgängen als
Projektion. Wir projizieren auf andere Menschen gewissermassen unsere
Schattenseite. Die Schattenseite ist das, was wir an uns selbst nicht leiden
und nicht akzeptieren können, was wir nicht wahrhaben wollen und verdrängen,
beispielsweise abscheuliche Gedanken und niederträchtige Gefühle. Die mit
Feindbildern gepaarten ablehnenden Gefühle können in Hasstiraden ausufern
und sogar in destruktives Verhalten übergehen. In letzter Konsequenz kann
dadurch der Drang entstehen, den Feind zu vernichten.
Vorurteile sind nicht rational, sondern emotional geprägt
Der tiefenpsychologische Erklärungsansatz soll nachfolgend durch
entwicklungspsychologische Erkenntnisse erweitert werden. Vorurteile sind
nicht rational, sondern vielmehr emotional geprägt und gehen insbesondere
mit Antipathien einher. Die inneren Bilder, die wir in uns tragen, und dazu
zählen ja die Vorurteile, beeinflussen in erheblichem Masse unsere
Entwicklung. Vorurteile haben ihren Ursprung sehr häufig in frühkindlichen
Erlebnissen und Erfahrungen. In der Entwicklungsphase, in der ein Kind sein
Über-Ich bildet, verinnerlicht bzw. übernimmt es mittels Identifikation von
den Bezugspersonen deren Grundhaltungen,Werte und Normen, Einstellungen und
Vorurteile.Wenn bereits die Eltern durch starke Vorurteile und Feindbilder
geprägt sind, dann ist es für ein Kind schwer, sich nicht beeinflussen zu
lassen. Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl und starken
Minderwertigkeitsgefühlen, Menschen, die in ihrer frühen Kindheit zu wenig
Liebe und positive Zuwendung erfahren haben oder die aus einem sehr strengen
und autoritären Elternhaus stammen, tendieren in der Regel stärker dazu, die
aufgestaute Wut und den aufgestauten Hass später in Vorurteilen zu entladen.
In Krisenzeiten, in Zeiten von Bedrohung, Sinnkrisen und Stress, in Phasen
des Umbruchs, in denen viele Menschen verängstigt sind, hat die Entwicklung
von Vorurteilen und Feindbildern ein leichtes Spiel, weil die Menschen dann
ein besonderes Bedürfnis nach Sicherheit, Orientierung und Ausgrenzung
haben. Verena Kast (2000) meint, dass wir aus Angst um unsere Existenz immer
wieder Feindbilder entwerfen.
Während Wirtschaftskrisen, in denen viele Menschen um ihre Existenz
bangen, hat auch in den Medien die Produktion von Vorurteilen und
Feindbildern Hochkonjunktur. Der Einfluss der Medien ist bei der Entstehung
von Vorurteilen nicht zu unterschätzen. Die öffentliche Meinung wird
bisweilen durch gezielte einseitige Informationen manipuliert.Wer die
Schuldigen sind, wer versagt hat, wer Recht hat, wer gut ist, wer dazu
gehört und wer nicht, das geht manchmal mit unverhohlener Deutlichkeit aus
den Medien hervor. Nach Wolfgang Benz (1996, S. 13 ff.) wird der Fremde als
böswilliger Verursacher eines konkreten Übelstandes denunziert, dann
generell als Feind markiert und der Kampf gegen ihn als sinnvoll propagiert.
So kann, wie es im Nationalsozialismus geschah, die Feindschaft gegen
Minderheiten zum zentralen Aspekt einer Ideologie werden. Auf diese
Minderheiten werden alle Unzulänglichkeiten und Schwächen projiziert und
durch gezielte Propaganda Angst erzeugende Feindbilder geschaffen.
Beispielsweise waren Marxisten, Freimaurer und Juden zu unterschiedlichen
Zeiten davon betroffen. Juden wie auch Freimaurer wurden als Verschwörer
diffamiert und als Personen verschrien, die den Staat und die Gesellschaft
unterwühlen und die Sitte und Ordnung zersetzen.
Die Freimaurer, die im Stillen in ihren abgeschotteten Bauhütten arbeiten
und für Aussenstehende unergründliche Rituale pflegen, über die sie nichts
preisgeben, bilden eine bestens geeignete Zielscheibe für Vorurteile.
Die Folgen der Vorurteile
Feindbilder und Vorurteile bleiben nicht ohne Folgen. Mit Feinden will
man nichts zu tun haben. Feindbilder schaffen deshalb in ihrer Konsequenz
Ungerechtigkeit, Unmenschlichkeit und Voraussetzungen für Aggressionen, für
gewaltsame Konfliktlösung und für Krieg. Die Kommunikation mit Menschen,
gegen die wir Vorurteile hegen, wird reduziert und der Kontakt mit ihnen
gemieden. Die Vorurteile können zu diskriminierendem Verhalten führen.
Diskriminierendes Verhalten als Folge von Vorurteilen ist in unserem Alltag
sehr häufig zu beobachten, z. B. auf Spielplätzen, wenn Eltern bewusst ihre
Kinder von bestimmten Ausländergruppen fernhalten, oder bei der
Wohnungssuche, wo Wohnungen keinesfalls an Personengruppen bestimmter
Nationalitäten vermietet werden.
Was zu tun wäre
Dass Menschen mit einem klaren Verstand, mit reinem Fühlen und edlem
Wollen Vorurteile mit all ihren bedrohlichen und belastenden Folgen
möglichst aus der Welt zu schaffen trachten, vermag wohl kaum jemanden in
Erstaunen zu versetzen. Ob sie es auch schaffen, das steht auf einem andern
Blatt geschrieben, ist es doch bekanntermassen ein äusserst schwieriges
Unterfangen. Wenn die Erfolgsaussichten auch gering sein mögen, so bin ich
dennoch überzeugt, dass sich ein Versuch lohnt. Bedenken wir, dass wir schon
lange am Tempel der Humanität bauen und noch sehr, sehr weit von der
Vollendung dieses Werks entfernt sind. Packen wir es an! – Aber wie? Was
können wir tun? Damit die Verlegenheit nicht allzu gross und beschämend für
mich wird, möchte ich wenigstens auf zwei Wege aufmerksam machen, die mir
geeignet erscheinen, den Abbau von Vorurteilen anzubahnen. Zunächst kann die
offene Information der Öffentlichkeit helfen, Vorurteile abzubauen.
Ausserdem können persönliche Kontakte zwischen Menschen mit Vorurteilen und
von Vorurteilen Betroffenen durchaus hilfreich sein beim Versuch, die
Vorurteile zu eliminieren. Beide angedeuteten Wege halte ich für durchaus
zweckmässig, wenn es darum geht, auch gegen uns Freimaurer gerichtete
Vorurteile zu verringern.
Abschliessen möchte ich mit einem Hinweis, der sich bei persönlichen
Begegnungen als nutzbringend erweisen könnte.Wenn wir Menschen begegnen, die
mit Vorurteilen uns gegenüber behaftet sind, dann kann eine bestimmte innere
Haltung durchaus zu einer Einstellungsänderung und damit zu einer Reduktion
der Vorurteile bei den Gesprächspartnern führen. Ich meine die Demut. Demut
heisst nicht, sich klein machen und sich selbst erniedrigen, sonst wäre sie
schlichte Selbstverachtung. Das Gegenteil der Demut ist der Hochmut. Demut
verträgt sich weder mit Selbsterniedrigung noch mit Hochmut. Die Demut
fordert uns zur Selbsterkenntnis heraus. Demut bedeutet nicht, dass man
verkennt, was man ist, sondern erkennt, was man alles nicht ist. Damit bin
ich beim Philosophen André Comte-Sponville (1996) angekommen. Demütig sein
heisst, die Wahrheit mehr lieben als sich selbst. Die unerbittliche,
unbestechliche und illusionslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist eine
beispiellose Lektion in Demut. Die Demut ist das Bemühen des Ichs, sich von
den Illusionen über sich selbst zu befreien. Mit Demut kann die
Nächstenliebe zusammen mit Wertschätzung,Achtung und Respekt anderen
gegenüber gedeihen. Die Erfahrung zeigt, dass bei jemandem, der geliebt
wird, der Zuneigung, Wertschätzung, Achtung und Respekt erfährt, fast
durchwegs dieselbe innere Haltung ausgelöst wird. Eine Erfolgsgarantie kann
ich allerdings nicht abgeben. Deshalb ist einmal mehr das Prinzip Hoffnung
angesagt, und sollte es nichts taugen, so ist das Prinzip Geduld gefordert.