Weisheit, Stärke und Schönheit – die drei kleinen Lichter der
Freimaurerei
Die drei Säulen, die den Tempel tragen
Weisheit, Stärke und Schönheit sind die drei Ideale, welche die Arbeit
des Freimaurers leiten sollen. Nach ihnen werden die drei Pfeiler oder
Säulen benannt, auf denen der symbolische Bau der Freimaurerei ruht und die
als die drei kleinen Lichter der Freimaurerei genannt werden
Alfred Messerli, Chefredaktor (Schweizer Freimaurer-Rundschau:
Juni/Juli 2006)
Weisheit ist die intellektuelle Tugend, die den Bau fördert. Stärke die
willenhafte und Schönheit die gestaltende Tugend. So umfassen die drei
Pfeiler (in manchen Systemen auch Flammen genannt) das Ganze der
Freimaurerei; sie symbolisieren die Harmonie der Kräfte. Verstand, Wille und
Gemüt sind zum Bauen vereint. Die Weisheit leitet den Bau; sie steht im
Osten wie die Sonne. Dort ist auch der Sitz des Meisters, der die Loge mit
Weisheit zu leiten hat. Sie hat den Lebensweg des Freimaurers zu begleiten,
der sie (im griechischen Sinne) mit Besonnenheit zu verbinden weiss und
dadurch die schwere Kunst bemeistert, sich selbst zu erkennen, in dem er den
sittlichen Willen in sich stärkt und auf diese Weise sein eigenes Leben in
Schönheit führt.
Weisheit leite den Bau
Die Weisheit wird in der sinnbildlichen Sprache der Freimaurerei als der
erste Pfeiler der Loge und somit jedes Bauwerkes bezeichnet. Der Weisheit
wird die Leitung des Baues anvertraut. Das Ziel der Weisheit ist die
Wahrheit oder das Licht. Nie regierten grössere Verlogenheit und
grauenhafteres Dunkel die Menschheit als unter den Diktaturen des 20.
Jahrhunderts. Aber auch im neuen Jahrhundert sind wir von einem Frieden und
einem Ende der Diktaturen und der Gewaltherrschaft noch weit entfernt. Nun
muss die Säule der Weisheit wieder aufgerichtet werden. Sie steht im Osten,
woher das Licht kommt und gleicht der Sonne, die im Osten aufgeht und den
Tag regiert. Ohne Wahrheitsliebe keine Weisheit.
«Weisheit ist gar kein Zustand» Franz Carl Endres hat dies in seinem Werk
über «Das Geheimnis des Freimaurers» festgehalten. Weisheit ist für ihn eine
Tätigkeit. «Jene ewig arbeitende, bessernde, kontrollierende Tätigkeit an
sich selbst und an seinem Bau, die ihren Ursprung hat in der grossen
Bescheidenheit und ihr Ziel in der grossen Liebe». Und deshalb darf die
Freimaurerei dem Meister als Ziel die Weisheit geben. Und Weisheit heisst
nicht, keine Fehler zu machen. Dann gäbe es keinen weisen Menschen und hätte
nie einen gegeben.Weisheit bedeutet: Seine Fehler erkennen und an ihrer
Beseitigung zu arbeiten. Und daraus folgert: Meister sein, heisst nicht,
weise sein, sondern den Weg zur Weisheit mit Eifer wandeln. Meister sein
heisst nicht weise sein, sondern weise werden wollen. Und diesen Willen
durch die Tat äussern. Es ist sehr schwer, weise sein zu wollen! So, wie wir
heute «weise» und «wollen» auffassen.
Und hier eine Zwischenbemerkung: Was ist Weisheit im Verkehr mit andern
Menschen? Es ist sehr leicht, die Fehler anderer zu erkennen. Unsere Augen
sind fremden Fehlern gegenüber scharf, den eigenen gegenüber aber sehr
schwach. (Endres) Fehler bei andern erkennen, macht Vergnügen, weil es
scheinbar unseren eigenen Wert erhöht, indem es den fremden erniedrigt.
Eigene Fehler zu erkennen macht hingegen kein Vergnügen und wird daher sehr
wenig geübt.
In der Regel gelten jedoch die für weise, die Fehler der anderen erkennen
und Unzulänglichkeiten der anderen mit klugen Worten geisseln. Wer aber so
weise ist, seine eigenen Unzulänglichkeiten zu erkennen und keinen Hehl aus
ihnen zu machen, keinen Komödiantenmantel über sie zu decken, den halten die
Menschen nicht für klug.
Und das ist die zweite Zwischenbemerkung: Was ist der Unterschied
zwischen Weisheit und Klugheit? «Wer klug sein will im Leben, wird sich mit
allen Menschen gut stellen. Und je mehr Macht sie haben, umso mehr bemühst
Du Dich, mit ihnen auf einer Stufe zu stehen. Ist der Mächtige Dein Freund,
dann verdirbst du es nicht mit der Masse. Klug sein heisst mit dem Strome zu
schwimmen, mit den Wölfen zu heulen, mit den Lachenden zu lachen und mit den
Weinenden zu weinen. Dann ist Dir das Urteil Deiner Nachbarn über Dich
wichtiger, als Dein Gewissen. Wenn du aber weise sein willst, dann musst du
den Mut haben, allein zu sein, Niederlagen zu erleiden, verhöhnt und
verspottet, ja gemieden und beschimpft zu werden. Die Armen und Machtlosen
sind dann deine Freunde. Du bist allein Richter über dich, du hast als
Gesetz nur dein Gewissen, du lachst und weinst, wenn deine Seele lacht und
weint. Der Tadel und der Beifall der Menge reichen nicht an dich heran und
materieller Gewinn oder Versprechen auf das Jenseits können dich nicht
beeinflussen» (Franz Carl Endres).
Es ist meistens nicht klug, weise zu sein. Es bringt Leid, Not und
Entbehrung, Verlassensein und Alleinstehen – aber innerlich bringt es das
Licht, das kostbarer ist als alle Schätze dieser Welt, mächtiger als alle
Macht, schöner als alles Schöne. Weise zu sein bringt dich in Widerspruch
zur Masse der Menschen, aber es bringt dich in Übereinstimmung mit der
Natur. Weise sein erspart dir nicht den Tod, aber es nimmt ihm seine
Schrecken. Du wirst in den Söhnen deiner Weisheit weiterleben – in deinen
Werken.
Wir müssen, wenn wir weise werden wollen, in allen Berufen und in
jeglicher Betätigung mehr vom biologischen Standpunkt aus uns bewegen. Wir
Freimaurer stehen im Leben, rings umgibt uns Leben.
Die Gesetze des Lebens (so wie sie uns eben erscheinen) sind massgebend.
Sie durch liebevollste Beobachtungen der Lebenserscheinungen zu fassen, sie
zu Gesetzen des eigenen Lebens zu machen, den weisen Ausgleich des Ichs mit
der Umwelt zu finden…das sind auch die grossen praktischen Aufgaben der
Freimaurerei.
Der Gegensatz der freimaurerischen Weisheit zur Weisheit der Kirche
beruht nicht in der philosophischen Begründung des Glaubens. Auch der
Atheismus ist ein Glaube. Der Gegensatz besteht darin, dass die Freimaurerei
grundsätzlich die Freiheit des Glaubens lehrt, während die Kirche
grundsätzlich die Gebundenheit des Glaubens verlangt. Ausserdem stösst der
Jenseitsglaube der Kirche, also die spezielle Glaubensfrage, alles Irdische
und damit alles Leben in die Hölle. Die Erde ist nach dieser Ansicht ein
Jammertal, Eros ein sündhafter Gott, der freie Gedanke ein Verbrechen, die
Askese ein gutes Werk.
Die Menschen jedoch sind erdgebunden, solange sie erdbewohnend sind. Was
später wird, weiss niemand. Nicht mit Rücksicht auf dieses «Später» wollen
wir unsere Ethik aufbauen, sondern mit Rücksicht auf unsere Aufgabe im
heutigen Leben. Mag es tausendmal eine höhere Individuationsstufe später
geben! Als Menschen erwerben wir die beste Anwartschaft auch auf diese, wenn
wir die gegenwärtige, die irdische Stufe voll erfüllen. Der Versuch, mit der
Natur in Harmonie zu leben, ist eine der wichtigsten Aufgaben eines
Freimaurers: «Lasst uns menschliche Vollkommenheit erstreben, lasst uns das
Leben achten und dem Nebenmenschen helfen. Lasst uns Freude haben an den
Schönheiten des Lebens, lasst uns geniessen, ohne andern zu schaden! Lasst
uns den Tod als das Ende eines erfüllten Lebens nicht fürchten. Alles ist
nur Wandlung und Veränderung. Lasst uns das ganz sein, was wir sind. Dann
sind wir weise!»
Stärke führe ihn aus
Weisheit offenbart sich in weiser Mässigung und Beherrschung menschlicher
Triebe und Schwächen, in der Leidenschaft nur für Wahrheit und Recht, in
charaktervollem Einhalten dessen, was man als billig erkannt hat, in
menschlichem Verstehen – in grosszügiger Haltung.Was die Weisheit erkannt,
soll die Stärke am Bau des Tempels der Humanität ausführen. Wir dürfen aber
nicht nur von andern Stärke und Konsequenz fordern. Jeder lege vorerst
selbst die Hand an den Pflug an und nehme die Unannehmlichkeiten einer
mutigen, straffen Lebensführung auf sich, einer Lebensführung, die nicht mit
bequemen Kompromissen sich begnügt, sondern wenn es sein muss, hart und fest
bleibt. Im Kampfe mit den Hindernissen bewährt sich die mannhafte Stärke.
Kraft – ein oft missverstandenes Wort. Kraft hat durchaus zwei Seiten,
sobald es auf menschliche Verhältnisse angewendet wird. Kraft birgt auch das
Zerstörerische in sich. Kraft liegt auch im Verbrechen, in Mord und in
Krieg. Neben der Richtung in das Negative hat das Wort aber auch eine
positive Seite. Es zeigt in die positiv menschlichsoziale Ethik. Von Kraft
kann man schlechtweg nicht sprechen, wenn man menschliches bewerten will.
Wir wollen davon sprechen, wie freimaurerische Kraft wirkt. Das kann nur
eine Kraft sein, die auf Weisheit und Schönheit gerichtet ist. Deshalb
stehen die drei Säulen unseres Tempels: Weisheit, Kraft und Schönheit,
stehen in einem innerlichen Zusammenhang. Die Weisheit ist die Grundlage der
Kraft, von der sie ihren Ausgang nimmt. Von hier aus läuft die Kraftwirkung
in der Richtung auf Schönheit, das heisst auf die Harmonie.
Eine Brücke also mit zwei Uferpfeilern. Zwischen dem Uferpfeiler der
Weisheit und dem der Schönheit liegt die Strasse der Kraft, die den Abgrund
zwischen dem nur Weisen und dem nur Schönen überwindet. Für was braucht der
Freimaurer Kraft und Ausdauer? Um am grossen Werk zu arbeiten, das wir
symbolisch den Tempel der Humanität nennen. Und dazu gehört es auch, den
eigenen rauen Stein zu bearbeiten, an sich selbst zu arbeiten, damit
dereinst der behauene Stein in das grosse Werk eingefügt werden kann. Es
geht nicht darum, von dieser Arbeit nach aussen zu sprechen, sie zu
erläutern oder sich ihrer gar zu rühmen. Erziehen wir unsere Freimaurer
zunächst einmal zu Muster-Freimaurern. Damit meine ich die harte Arbeit an
sich selbst. Und dann erst können wir vor den Türen der andern Menschen
kehren. Die Arbeit an sich selbst ist die erste und härteste Arbeit. Erst
aus der Überfülle der ihr innewohnenden Kraft soll die Loge an die
Öffentlichkeit treten, soll erzieherische Aufgaben übernehmen, die
ausserhalb ihres Heimes liegen.
Diese Arbeit gegen aussen kann nur im Interesse der übrigen Bevölkerung
liegen. Das heisst, sie wird primär auf den Völkerfrieden ausgerichtet sein.
Diese Arbeit nach aussen wird sich für die Menschenrechte, gegen Hass und
Rassismus richten und mithelfen, allein Menschen ein menschenwürdiges Dasein
zu verschaffen. Das heisst auch, die nationalen Gegensätze zu verringern. Um
es mit Franz Carl Endres etwas pathetisch auszudrücken: «Nicht Aufgabe des
Freimaurers ist es, die Flammen des Hasses zu schüren, die politischen
Gegensätze innerhalb des Volkes zu vergrössern, durch Rassenhass die
Königliche Kunst von ihrem Thron der Gerechtigkeit in den Schmutz der
Strasse zu ziehen».
Mensch sein, heisst das Höchste wollen in Kraft, Weisheit und Schönheit.
Und wollen heisst tun, nicht nur davon reden. Der Wille, der nur redet, ist
kein Wille. Der Wille ohne die Tat ist die Lüge vor sich selbst.
Kraft wollen, heisst kräftig wirken! Weisheit wollen, heisst weise leben!
Schönheit wollen, heisst harmonisch fühlen und lieben. Auf diesen drei
Fundamenten steht nicht nur der helle Tempel der Freimaurer. Auf diesem
Fundament steht auch der Tempel deines menschlichen Wesens.
Schönheit ziere ihn
Die Schönheit ist die dritte Säule unseres freimaurerischen Tempels.
«Schönheit ziere ihn» sagt der zweite Vorsteher beim Entzünden des dritten
kleinen Lichtes. Weisheit ohne Kraft ist für die Menschheit wertlos.
Weisheit und Kraft ohne Schönheit nimmt dem Leben die Sonne, die Freude. Wir
Freimaurer wollen keine Asketen sein, keine Lebensverneiner, keine
selbstquälerischen Mönche. Unser Gott will keine krummen Rücken und freut
sich nicht über leidensvolle Mienen und hängenden Köpfen. Alles Muckerische
und Kopfhängerische, alles Sündenschnüffeln und alle Verachtung des
Irdischen sind uns fremd. Denn zu unserer Weisheit und zu unserer Kraft
tritt als dritte Aufgabe: die Liebe zum Schönen und die Pflege des Schönen.
Wir Freimaurer sind nicht Lebensgrübler und nicht Lebensathleten, sondern
Lebenskünstler. Das ist der grosse Unterschied zu einer Reihe von anderen
Gemeinschaften. Was aber heisst, ein Lebenskünstler sein? Viele Menschen
meinen, dazu gehören das schrankenlose Geniessen und der rücksichtslose
Egoismus. Wir aber wissen, dass es kein Glück gibt auf Kosten eines andern
Menschen. Wir wissen, dass Freiheit nicht Willkür ist. Wir wissen, dass die
Menschen zumeist Genuss das nennen, was Betäubung ist. Geniessen kann in
freimaurerischem Sinne niemals ein Aufgeben ethischer Prinzipien, niemals
eine Schädigung anderer Menschen bedeuten. Uns ist der Genuss
persönlichkeitshebend und nicht verflachend oder verderbend.
Dazwischen sei die Frage erlaubt, was ist Schönheit? Darüber gehen die
Meinungen weit auseinander. Die einflussreichste philosophische Definition
von Schönheit in der Neuzeit stammt wohl von Immanuel Kant. Das massgebliche
Werk ist seine Kritik der Urteilskraft. Hier definiert Kant Schönheit als
Gegenstand einer bestimmten Tätigkeit der Urteilskraft: das ästhetische
Urteil oder Geschmacksurteil.
Ästhetische Urteile basierend nach Kant auf privaten, subjektiven
Empfindungen des Gefallens oder der Abneigung, der Lust oder der Unlust.
Insofern könnte man meinen, schön sei einfach, was uns persönlich angenehm
sei. Kant stellt jedoch einen Unterschied fest: Über das Angenehme lässt
sich nicht streiten, denn jeder empfindet etwas anderes als angenehm und
wird dies auch zugeben. Ästhetische Urteile dagegen sind zwar subjektiven
Ursprungs, sie haben jedoch Anspruch auf Allgemeingültigkeit – wer über die
Schönheit eines Gegenstandes urteilt, behauptet zugleich, ein Urteil zu
fällen, dem auch andere zustimmen müssten. Schönheit hat daher den Anspruch
subjektiver Allgemeinheit. Anders als über das Angenehme lässt sich über
Schönheit und Geschmack durchaus sinnvoll streiten, da jedes
Geschmacksurteil sich anmasst, über die Empfindungen anderer mit zu
urteilen.
Aber wir wollen hier nicht darüber streiten, was schön ist. Die
Schönheit, die wir anstreben, ist nicht rein ästhetisch. Sie beinhaltet auch
die Harmonie. Darum sollte die dritte Säule, die der Schönheit, eigentlich
die Säule des Meisters heissen. Harmonie im Denken,Wollen und Tun, das ist
das Letzte und Höchste, was die Königliche Kunst uns lehren kann.