Gelebte Freimaurerei muss sowohl nach innen, wie nach aussen wirken
Gelebte Freimaurerei
Loge Zur Brudertreue, Aarau (Schweizer Freimaurer-Rundschau: März
2007)
Die Loge Brudertreue setzte sich zu Beginn des Maurerjahres im Rahmen
einer Konferenz I mit dem Studienthema «gelebte Freimaurerei» auseinander.
Nach einführenden Überlegungen von drei Brüdern wurde eine engagierte
Diskussion geführt. Nachfolgend sollen die Überlegungen dieser Arbeit
unseren Mitbrüdern dargelegt werden.
Wenn man der Frage nachgeht, für was «gelebte Freimaurerei» steht, findet
man keine einfachen eindimensionalen Antworten. Wie das Wort «gelebte» zum
Ausdruck bringt, ist die gelebte Freimaurerei direkt mit den Aktivitäten,
dem Engagement der Mitbrüder verbunden. Obwohl unsere Bruderkette ein durch
die Initiation verbundenes Kollektiv bildet, ist jede Bauhütte auch eine
Ansammlung einzelner Individuen, die ihren Weg durchs Leben gehen. Der mit
der heutigen Welt verbundene Individualismus macht auch den allernächsten
Bruder bis zu einem gewissen Grad zu einem unbekannten Wesen, das es immer
wieder aufs Neue kennen zu lernen gilt.
Die Freimaurerei kommt im Alltag individuell – in Abhängigkeit von den
Aktivitäten eines jeden Bruders – zum Ausdruck. Und trotzdem muss es eine
Gemeinsamkeit geben, wenn gelebte Freimaurerei erkennbar sein will. Am
offensichtlichsten wird die gelebte Freimaurerei in der Gesellschaft
sichtbar, wenn sich der einzelne Bruder gegenüber Profanen zu erkennen gibt,
was gemäss verbreiteter Auffassung die beste Imagepflege ist. Daran knüpft
auch das Anliegen des Grossmeisters an, dass jeder Bruder bereit sein
sollte, sich in seiner Umgebung zum Bunde zu bekennen, insbesondere
diejenigen, welche in ihrer Loge oder in der Schweizerischen Grossloge
Alpina eine Beamtung anstreben oder bereits bekleiden (vgl. Alpina Nr.
8-9/2006, 210).
Die Erkennbarkeit des einzelnen Freimaurers als Ausdruck der gelebten
Freimaurerei führt letztlich zur Frage einer angemessenen
Öffentlichkeitsarbeit und den zu transportierenden Kernbotschaften.
Ob das Gedankengut unseres Bundes in der heutigen Welt noch aktuell ist,
wird vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Konsumgesellschaft im Allgemeinen
nicht in Frage gestellt. Trotzdem sind die sichtbaren Spuren der Maurerei in
der Gesellschaft weniger geworden. Der letzte Bundesrat, der Mitglied einer
Loge war, verstarb 1912. Auch finden sich seit Jahren in unserer Kette keine
Bundesparlamentarier mehr. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, wenn
dazu aufgefordert wird, sich nicht an den Glanz vergangener Tage zu
klammern. Ob dem «Glanz» von nationalen Politikern für unseren Bund
allerdings die gleiche Bedeutung zukommt wie in früheren Jahrhunderten und
weiterhin als erstrebenswert zu betrachten ist, wäre vertieft zu
diskutieren.
Neben der gelebten Freimaurerei, die in der Öffentlichkeit sichtbar wird
(nachfolgend «Freimaurerei im äusseren Kreis»), steht die gelebte
Freimaurerei, die sich gegen innen richtet (nachfolgend «Freimaurerei im
inneren Kreis»).
Gelebte Freimaurerei im inneren Kreis
Der institutionelle Rahmen einer gelebten Freimaurerei wird in der
Brudertreue durch das Gelübde, das Leitbild sowie die Logenkultur gebildet.
Das Gelübde führt einerseits eine Reihe von Pflichten an und andererseits
hält es den Bruder an, die Lebenseinstellungen seiner Mitmenschen zu achten.
Zudem motiviert es, im Streben nach Wahrheit nicht zu erlahmen. Daraus
folgen zwei wichtige Elemente und Bestandteile jeder Logenkultur: Die
Achtung seiner Brüder und die fortdauernde Suche nach Erkenntnissen. Damit
die beiden Aspekte zum Tragen kommen, ist die Pflege der Logengemeinschaft
unerlässlich. Denn ohne gemeinsam verbrachte Stunden besteht keine
Möglichkeit, den unbekannten Mitbruder näher kennen zu lernen. Es ist somit
von grosser Wichtigkeit, dass dem Zusammensein im brüderlichen Gespräch der
notwendige Raum gegeben wird. In dieselbe Richtung zielt das Gebot, an den
Arbeiten mitzuwirken. Diese Partizipationspflicht kann man einerseits mit
der physischen Anwesenheit bei den Logenkonferenzen verknüpfen. Andererseits
kann man darunter auch die geistige Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber
verstehen. Als weiteres Element einer gelebten Freimaurerei ist die
Bruderliebe zu betrachten. Letztlich können alle aufgezählten Facetten der
Logenkultur nur gedeihen, wenn über die Angelegenheiten und das innere Leben
der Loge die notwendige Verschwiegenheit gewahrt wird.
Das Leitbild der Brudertreue konkretisiert weiter, dass unser Bund der
persönlichen Weiterentwicklung und dem gemeinsamen Erleben verpflichtet ist.
Das Logenleben soll dabei auf gegenseitiger Toleranz und Achtung beruhen in
der ideellen Tradition mittelalterlicher Bauhütten, wie sie in den «Alten
Pflichten» verankert ist.
Letztlich wird eine Logenkultur angestrebt, die von Brüderlichkeit
getragen ist. Jeder Bruder leistet einen entsprechenden Beitrag zu einem
offenen und vertrauensvollen Klima. Die Mitbrüder sollten sich dem
freimaurerischen Gedankengut widmen, dieses leben und nach aussen tragen.
Dabei sollen sie sich zur Freimaurerei bekennen und ihr öffentliches
Verhalten soll so überzeugend sein, dass der Freimaurerei ein hoher
ethischer und sozialer Wert zugeordnet wird, der eine Mitgliedschaft im Bund
erstrebenswert macht.
Umsetzung gelebter Freimaurerei im inneren Kreise
Nach Auffassung der Brudertreue konkretisiert sich die gelebte
Freimaurerei im inneren Kreise in drei Gebieten:
- Dem freimaurerischen Wissen
- In der Logenarbeit
- In der Bruderarbeit
Das freimaurerische Wissen ist die Grundlage jeder freimaurerischen
Tätigkeit. Es kommt letztlich speziell in der Logenarbeit zum Ausdruck: In
der Durchführung und der Symbolik der Rituale, aber auch den Instruktionen
(planmässige Durchführung zur Sicherstellung der Vermittlung eines
definierten Wissensgrundstocks). Dazu gehört auch die Literatur (Bibliothek
und dem damit verbundenen Studium). Ein wichtiger Punkt sind die Baurisse,
weil die periodische Erarbeitung von Baurissen und der damit verbundenen
Beschäftigung mit maurerischen Themen weiterführt. Nicht zu unterschätzen
sind die Diskussionen in der Loge.
Die gelebte Freimaurerei zwischen den einzelnen Brüdern mündet
schliesslich in der so genannten Bruderarbeit. Das heisst die gegenseitige
Begegnung, das Gespräch, die Geselligkeit, der Besuch und auch die
Begleitung und Betreuung von alternden und betagten Brüdern. Die erwähnten
Aspekte des Freimaurerwissens, der Logenarbeit sowie der Bruderarbeit können
jedoch nur mit Leben gefüllt werden, wenn jeder einzelne Bruder immer wieder
die Bereitschaft zur individuellen Tat zeigt.
Gelebte Freimaurerei im äusseren Kreis
Die gelebte Freimaurerei im inneren Kreis beschäftigt sich insbesondere
mit dem Logenleben und der Behauung des individuellen rauen Steins. Sie
stellt jedoch nicht direkt die Frage nach der nachhaltigen Wirkung unseres
Bundes als Gemeinschaft auf die Gesellschaft in der heutigen Zeit.
Logenaktivitäten wie öffentliche Vorträge mögen zwar die Aufmerksamkeit für
einen Moment auf eine Bauhütte lenken, allenfalls das Interesse von Profanen
an unserem Gedankengut wecken, was durchaus lobenswert ist, sie können
jedoch gelebte Freimaurerei nur äusserst beschränkt sichtbar machen. Aus dem
Kreise der Brudertreue wurde daher angeregt, dass sich die Freimaurerei in
der Öffentlichkeit mit fokussierten Werken gelebter Humanität nachhaltig
erkennbar machen sollte. Dadurch könnte tatkräftiges humanitäres Handeln
unter Beweis gestellt werden. Die profane Aussenwelt würde ein solches
allenfalls wahrnehmen und mit unserem Bunde identifizieren. Entsprechende
leuchtende Beispiele in der ganzen Welt gibt es zuhauf.
Fragt man sich, wieso solche Werke in jüngerer Zeit ausbleiben, stösst
man sehr rasch auf die Feststellung, dass mit dem ungebremsten Ausbau
unserer staatlichen Sozialnetze, entsprechende private Initiativen
zurückgingen. Ob und in welchen Bereichen weiterhin private Initiativen
benötigt werden und in welchem Ausmass ist eine Diskussion wert. Hinzu
kommt, dass ein fokussiertes Werk neben der materiellen Unterstützung auch
ein persönliches aktives Engagement einzelner Brüder, falls erwünscht,
ermöglichen würde. Eine Gruppe von Brüdern wird sich dieser Thematik
vertieft annehmen.
Gedanken des Berichterstatters
Die Diskussion in unserer Bauhütte zeigte auf, dass die gelebte
Freimaurerei im inneren und äusseren Kreis sich einerseits ergänzen und
andererseits einander auch konkurrenzieren. Beide Aspekte der Freimaurerei
benötigen und binden personelle, zeitliche und materielle Ressourcen, die
nur beschränkt zur Verfügung stehen. Die Ressourcen sind auf die jeweiligen
Kreise so aufzuteilen, dass eine sinnvolle Balance entsteht, die von der
Bruderschaft als Gesamtheit getragen wird.
Sicher ist auch dem Aspekt gebührend Rechnung zu tragen, dass letztlich
jeder einzelne Bruder sein Schwergewicht in der Freimaurerei unterschiedlich
legt. Für den einen steht die individuelle Arbeit am rauen Stein sowie die
vertiefte Beschäftigung mit der Symbolik im Vordergrund, während bei einem
anderen Bruder die gelebte Humanität in der Gesellschaft von herausragender
Bedeutung ist. Beide Anliegen haben ihre Berechtigung und sind
dementsprechend in der Bruderschaft zu gewichten. Dabei ist nach meiner
Auffassung zu berücksichtigen, dass die Identität der Freimaurerei ihre
Grundkraft aus dem freimaurerischen Wissen, dem Logenleben und der
Bruderarbeit schöpft. Ohne diese nach innen gerichteten Aktivitäten –
gelebte Freimaurerei im inneren Kreis – kann es keine Aussenwirkung der
Freimaurerei geben.
In unserem Bunde wird im Zusammenhang mit der gelebten Freimaurerei immer
wieder die Auffassung vertreten, dass die heutige Freimaurerei zu stark
rückwärts gerichtet sei. Der Vorwurf ist in dieser Absolutheit nach meiner
Auffassung nicht zutreffend. Die Beschäftigung mit unseren überlieferten
Traditionen und Symbolen führt uns zu den zugrunde liegenden Werten, für
welche unsere Brüder – sowie vorangegangene und erloschene Bünde und
Vereinigungen – kämpften. Dabei wird erkennbar, dass die von einer gelebten
Freimaurerei vertretenen Werte Konstanten sind, für welche es sich lohnt,
sich einzusetzen. Erst die Beschäftigung mit Traditionen, Werten und
Symbolen macht deren Bedeutung – auch für die heutige Gesellschaft –
erkennbar. Dies sollten wir uns vor Augen führen, leben wir doch in einer
Zeitperiode in der individuelle Freiheiten reduziert werden und die
staatliche Bevormundung des Menschen um sich greift.