Ist das Gelübde noch zeitgemäss? – 0der ist es dem
neuzeitlichen Empfinden anzupassen?
Zum Gelübde
Wie viele von der Freimaurerei vertretene Ideen blicken
auch deren Rituale auf eine lange Vergangenheit zurück. Das gilt nun ganz
besonders von dem von jedem Kandidaten abverlangten Gelübde (oder Eid)
Jacques Laager, Loge Modestia cum Libertate,
Zürich (Schweizer Freimaurer-Rundschau: März 2008)
Auf die Darstellung der Geschichte des Eides im privaten,
öffentlichen und zwischenstaatlichen Bereich soll hier nicht eingegangen
werden, wohl aber auf dessen Bedeutung als Schweigegebot in den frühen
Philosophenschulen und in den antiken Mysterienkulten. – Von der über
Jahrhunderte hinweg bestehenden Schule der Pythagoreer, aber auch von
jüngeren Schulen wie der Akademie Platons und des Peripatos von Aristoteles
wird immer wieder von deren äusserem und innerem Kreis gesprochen. Von
Platon wie von Aristoteles soll es exoterische und esoterische Schriften
gegeben haben – die Frage ist nur, ob die erhaltenen Texte nur als
exoterisch zu gelten haben, oder ob sie auch esoterische Elemente enthalten.
Den Übertretern des Schweigegebotes traf Ausschluss und
Verachtung von Seiten der Schule oder – nach der Überlieferung – gar ein von
der Gottheit verhängtes Unheil.
So wird vom Pythagoreer Hipparchos berichtet, er sei als
Verräter von Geheimnissen nicht nur aus der Schule verstossen worden,
sondern man habe ihm «gleichsam wie einem Toten» ein Grabmal errichtet, und
von Hippasos, der ein geometrisches Geheimnis verraten habe, heisst es, er
sei «gleich einem Religionsfrevler» im Meer umgekommen.
In den Mysterienweihen vermittelte man deren Inhalt selbst
Initianden gegenüber nicht in direkter Lehraussage, sondern durch
symbolische Handlungen und Gegenstände. Das Schweigegebot betraf nicht den
den Mysterien zugrunde liegenden Mythos (etwa den Raub der Persephone in den
Mysterien von Eleusis). Einzelne Mysterienhandlungen lassen sich
erschliessen aus archäologischen Ausgrabungen, aus indirekten Hinweisen auf
Vasenbildern oder Fresken oder geheimnisvollen Andeutungen bei Philosophen
(besonders bei Platon), aber Genaueres erfahren wir erst von
frühchristlichen Autoren, die – falls sie selbst initiiert worden waren –
sich nicht mehr an das Schweigegebot gebunden fühlten. Freilich heisst es
mit solchen Quellen vorsichtig umgehen, da ihnen in erster Linie an der
Diffamation heidnischer Kulte gelegen war. Auf Nichteinhaltung des
Schweigegebots oder gar auf Profanierung durch mutwillige Nachahmung konnte
Todesstrafe stehen. – Selbst vor einer Beschreibung von Mysterienbezirken
schreckte man zurück, wie dies etwa das Schweigen des Pausanias beweist, der
in seinem «Reiseführer» erklärt, die nicht in die Mysterien Eingeweihten
hätten keinen Anspruch darauf, irgendetwas – sogar Äusserliches – zu
erfahren.
Freimaurerei und «Geheimnisse»
Ganz im Gegensatz zu den antiken Weihekulten feiert die
Freimaurerei – entsprechend ihrem Grundsatz, weder eine Religion noch eine
Konfession zu sein – keine religiösen Mysterien, wenn auch deren Rituale,
vor allem den im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf dem Kontinent
entwickelten, ein weihevoller Charakter nicht abzusprechen ist.
Seit den «Verräterschriften» aus der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts, der «Masonry Dissected» (1730) von Samuel Prichard und der
anonymen Schrift «L Ordre des Francs Maçons trahi» (1745) und dem damit
verbundenen «verratenen» Text des Eides hat sich die Diskussion um den
Inhalt der maurerischen «Geheimnisse» nicht gelegt. Der bei Prichard
veröffentlichte, in der englischen Maurerei noch lange geltende und in der
kontinentalen Maurerei (z.B. in der Strikten Observanz) übernommene Eid
lautet nach dem englischen Text von 1730:
I hereby solemnly vow and swear, in the Presence of
Almighty God and this Right Worshipful Assembly, that I will hail and
conceal and never reveal the secrets or secrecy of Mason or Masonry, that
shall be revealed unto me, unless to a True and Worshipful Lodge of Brothers
and Fellows well met. – I furthermore promise and vow, that I will not write
them, print them, mark them, carve them or egrave them, or cause them to be
written, printed, marked, carved or engraved on wood or stone, so as the
visible character or impression of a letter may appear, whereby it may be
unlawfully ob – tained. – All this under no less penalty, than to have my
throat cut, my tongue taken from the roof of my mouth, my heart plucked from
under my left breast, then to be buried in the sand of the sea, the length
of a cable rope from shore, where the tide ebbs and flows twice in
twenty-four hours, my body to be burnt to ashes, my ashes to be scattered
upon the face of the earth, so that there shall be no more remembrance of me
among Masons .
Mögen auch später noch verwendete Ausdrücke wie «secrets»
und «mysteries» aus der Zeit der operativen Maurerei stammen, das
Berufsgeheimnis betreffen und mit Rituellem und Esoterischem kaum etwas zu
tun haben, so war vorauszusehen, dass solche Formulierungen, begleitet von
grausamer Selbstverfluchung, in profanen und vor allem obrigkeitlichen
Kreisen Misstrauen erregen mussten. Und trotz freimaurerischen Beteuerungen,
die Logen würden die öffentliche Ordnung in keiner Weise gefährden – ganz im
Gegenteil! – musste die immer wieder betonte Geheimhaltung zu
Verdächtigungen führen. – Aus der «Strikten Observanz» stammende
Formulierungen, die der Meister vom Stuhl kurz vor der Abnahme des Eides dem
Initianden gegenüber äusserte, führten, einmal in die Öffentlichkeit
durchgesickert, zu Missverständnissen. Worte wie: «Sie sind in diesem
Augenblick noch völlig frei, Sie sind es aber nicht mehr (!), sobald Sie das
Gelübde abgelegt haben» schienen auf ein absolutes Gehorsamsgelöbnis
hinzuweisen, und zumal absolutistischen Regimes des 18. Jahrhunderts, einer
ebenfalls absolutistisch geführten Kirche, sowie allen Diktaturen bis auf
unsere Zeit erschienen Zusammenschlüsse von Bürgern auf Grund eines solchen
vermuteten Gehorsamsgelöbnisses gefährlich.
Ein wie auch immer formuliertes Gehorsamsversprechen den
Lehren und Gesetzen des Bundes gegenüber sollte in freimaurerischen Gelübden
mit äusserster Sorgfalt gehandhabt werden, da ein solches immer wieder zu
Spekulationen und auch bewusst verdrehten Interpretationen geführt hat. Dies
gilt besonders auch für unsere Zeit, die jede Form von zwingendem
Gehorsamseid als verdächtig einstuft und als mit der Auffassung von
persönlicher Unabhängigkeit und Gewissensfreiheit unvereinbar betrachtet.
In diesem Zusammenhang ist der bereits in manchen Logen
geübte Brauch besonders empfehlenswert, dem Kandidaten noch vor dem
rituellen Akt im Tempel den Text des abverlangten Gelübdes vorzulegen. Damit
würden im Ritual vorgesehene und heutzutage eher etwas peinlich wirkende
Beteuerungen, der Inhalt des Gelübdes enthalte nichts der moralischen
Pflicht Widersprechendes, entfallen.
Welche «Geheimnisse» sind gemeint?
In den klassischen und allmählich nur historisch gewordenen
Formulierungen unseres Gelübdes wird vom Initianden das Versprechen
abverlangt, die Gebräuche und Rituale der Freimaurerei, die Verhandlungen
während der Logensitzungen und die Namen der Brüder geheim zu halten. Man
beruft sich dabei auf Bestimmungen, die bereits in den Konstitutionen von
1723 erscheinen und auf in der operativen Maurerei gebräuchliche Wendungen
zurückgehen.
Um es vorweg zu nehmen: Von einem Verrat des
freimaurerischen Geheimnisses schlechthin, das heisst des in der Seele eines
Bruders erfahrenen persönlichen Erlebnisses, kann es sich nicht handeln.
Schon Lessing hat in seinen «Gesprächen für Freimaurer» (1778 und 1782)
betont, Freimaurer könnten «das Geheimnis ihres Ordens» nicht wörtlich
mitteilen, es sei «etwas, das selbst die, die es wüssten, nicht sagen
könnten».
Geheim zu bleiben haben auch heutzutage – und in Zeiten des
Datenschutzes wohl noch mehr als früher – Einzelheiten aus dem
Logengeschehen und die Namen der Logenmitglieder (wobei sich ein Bruder
persönlich zu seiner Logenmitgliedschaft bekennen darf). Jede andere Art von
Geheimnishaltung, ja von Geheimniskrämerei, dürfte sich aber heutzutage als
kontraproduktiv erweisen. Die aus den englischen Ritualen stammenden und
auch auf dem Kontinent früher gebräuchlichen Texte mit ihren schauerlichen
Selbstverfluchungen erfuhren im Lauf der Aufklärung und der Ausbildung
persönlicher Freiheitsrechte recht bald Veränderungen. Schon Ende des 18.
Jahrhunderts, vor allem aber nach dem Wiedererwachen der Logen nach dem
Untergang der Mystifikationen einer «Strikten Observanz» und ähnlicher
Bestrebungen wird innerhalb der Logen Kritik laut, die sich bei der
Neugestaltung moderner Ritualtexte bemerkbar macht.
Als Beispiel für die Modernisierungsbestrebungen diene der
das maurerische Versprechen betreffende Text aus dem Ritual von Friedrich
Ludwig Schröder (1801), der sich bei der Abfassung der Texte mit namhaften
Vertretern der deutschen Klassik besprochen hat. Der Meister vom Stuhl
erwähnt nach diesem Ritual zwar den einst verlangten «schweren Eid», fährt
aber fort: «Zeit, Umstände, verbunden mit dem Vertrauen, das man auf jeden
rechtschaffenen Mann setzt, dem ein blosses Ja und Nein ebenso heilig als
ein Eid ist, hat in unseren Zeiten mehrere Logen veranlasst, jene grausame
Eidesformel nur historisch mitzuteilen. Versprechen Sie uns aber an ihrer
Statt jetzt auf Ihr Ehrenwort und nachher durch Ihre Unterschrift die
Beobachtung folgender Pflichten…»
Die Rituale unserer Zeit haben diesen Geist der Freiheit
beibehalten, einerseits, weil frühere Formeln sprachlich obsolet geworden
sind, andrerseits, um jede Möglichkeit zu Fehlinterpretationen oder gar
bewussten Verdrehungen zu vermeiden. Und so hat man vielerorts auf Ausdrücke
wie «Eid», «schwören» und «Gehorsam» verzichtet.
Wie steht es aber mit der Mitteilbarkeit von Einzelheiten
aus Ritualen und von Worten, Zeichen, Griffen?
Heute, mehr als 250 Jahren nach den ersten
«Verräterschriften»? Im Zeitalter der allen zugänglichen Veröffentlichungen
der «masonischen Wissenschaft» und der Möglichkeit, sich über das Internet
über alle nur wünschenswerten Einzelheiten in Wort und Bild Auskunft zu
verschaffen? In einer Zeit, da sich Logen für Öffentlichkeitsarbeit
engagieren, Ausstellungen organisieren, Vorlesungszyklen an Volkshochschulen
veranstalten und gar «Tage der offenen Türe» durchführen?
Das Fazit: Vieles, was lange als tiefes Geheimnis gehütet
wurde (was in Zeiten von Diktaturen wohl auch einer notwendigen Vorsicht
entsprach), ist längst kein Mysterium mehr. Bereits vor 30 Jahren hat Alec
Mellor in seinem weit verbreiteten Buch «Logen, Rituale, Hochgrade» (deutsch
l967) von einem «Geheimnis» gesprochen, «welches es nicht gibt» und vom
«sinnentleerten Gelöbnis, Riten geheim zu halten, die alle Welt kennt».
Diese heute nicht mehr bestreitbare Tatsache bedeutet aber
keineswegs, dass wir Freimaurer jederzeit und jedermann gegenüber unsere
Bräuche und Rituale detailliert mitteilen sollen. Die Aufgabe, eine gewisse
Intimität zu wahren, bleibt nach wie vor bestehen. Unsere dem Bund gegenüber
eingegangene Verpflichtung beinhaltet weit Wichtigeres: Das Bekenntnis zu
Toleranz, Menschlichkeit und Freiheit, die Liebe und Treue den Brüdern
gegenüber. Was uns zu einer Gemeinschaft verbindet, sind nicht
«Geheimnisse», die gar keine (mehr) sind. Vielen mag heutzutage genügen, für
die Bekräftigung, diese Werte einhalten zu wollen, die Bezeichnung
«feierliches Versprechen» zu gebrauchen. Aber manche werden mit Recht
einwenden, der traditionelle Ausdruck «maurerisches Gelübde» solle weiterhin
zur Verwendung gelangen.
Der weihevolle Rahmen beim Sprechen dieses Gelübdes bringt
uns den Gebräuchen bei der Ablegung der «ewigen Gelübde» in religiösen Orden
nahe. Auch wir geloben, unseren Verpflichtungen zu den erwähnten Idealen
«ein Leben lang» nachzukommen.