Thema
Glück gehabt – und haben
Glücklich sein ist nicht zu verwechseln
mit Glück haben – und das sinnliche
Glück ist nicht vom geistigen Glück zu
trennen. Man sollte unter Glück etwas
Ganzheitliches verstehen, das uns
durchdringt und vollständig erfasst.
Peter Loew – Zum Fels am Rhein, Basel
(Schweizer Freimaurer-Rundschau: Januar 2009)
Glück ist zunächst einmal einer jener
ganz wenigen Begriffe, welche durch
und durch positiv besetzt sind und keinen
Raum für negative Assoziationen lassen.
Im Gegensatz z.B. zum an sich positiven
Begriff "Karriere", welcher sofort auch mit
mindestens potentiellen Nachteilen verbunden
wird. Wenn hingegen Menschen
von ihrem Glück sprechen oder einfach
wirklich glücklich sind, dann leuchten
ihre Augen ohne Hintergedanken.
Glück ist zweitens ein geläufiger Begriff
und wird auch sehr häufig verwendet. Im
alltäglichen Sprachgebrauch ist der wohl
am häufigsten gebrauchte mündliche
Ausdruck das "na, Glück gehabt!". Im
schriftlichen Verkehr dürfte eher das
"Glück wünschen" dominieren. Wenn
immer möglich versuche ich, diese – ich
sage mal – Floskel zu vermeiden, weil mir
nie ganz klar ist, was ich darunter eigentlich
verstehen soll, resp. was der Adressat
wohl darunter verstehen könnte oder
möchte. Ist damit der Gewinn des grossen
Loses gemeint, ist es das Glück in der
Liebe oder im Beruf, ist es Zufriedenheit
oder ist es einfach nur das Glück, von
Unglück verschont zu bleiben? Nur eines
ist sicher: Alle Menschen wollen glücklich
sein, denn ein Leben ohne Glück ist
nicht auszuhalten.
Um begrifflich etwas Struktur ins Phänomen
Glück zu bringen, möchte ich mit
einigen Ausführungen beginnen, wie sie
im wohl bekannten Buch "Glückssache"
von Annemarie Pieper zu finden sind. Im
Anschluss daran versuche ich, einen
Bogen zur Freimaurerei zu schlagen und
ein paar Schlussfolgerungen für mich
selber zu ziehen.
Da sind also zunächst die bereits
erwähnten geläufigen Redensarten wie
"Glück gehabt" oder "Glück wünschen".
Das erste bezieht sich auf die Vergangenheit
und stellt fest, dass ein Glücksfall
tatsächlich eingetreten ist. Das zweite,
das Glück wünschen, projiziert in die
Zukunft, als Hoffnung auf Glück haben
werden. Interessanterweise fällt auf,
dass auf der Zeitachse gesehen eine Formulierung
für die Gegenwart fehlt. Die
Aussage "ich habe Glück" ist eher selten.
Sie ist auch nicht zu verwechseln mit der
Formulierung "ich bin glücklich". Inhaltlich
bedeutet dies nämlich etwas anderes.
Es ist wichtig, sich diesen Unterschied
bewusst zu machen. Er ist analogerweise
auch bei anderen Begriffen zu
beachten, z.B. bei Geld oder Gesundheit.
Geld haben und reich sein, ist nicht dasselbe,
genauso wie Gesundheit haben
und gesund sein inhaltlich nicht die gleiche
Aussage macht. Das eine hängt zwar
mit dem anderen zusammen, muss aber
nicht. Es gibt Leute, die haben Geld, sind
aber nicht reich und es gibt andere, die
sind reich, haben aber nie Geld.
Hat also jemand, der sich glücklich fühlt,
auch Glück? Oder sind alle, die Glück
haben, auch glücklich?
Noch wurde ja nicht festgelegt, von welchem
Glück überhaupt die Rede ist. Das
überrascht kaum, denn es gibt unendlich
viele Beschreibungen resp. Arten von
Glück und Glücksempfindungen. Dazu
werden von Annemarie Pieper unter
anderem die folgenden "Glücksexperten"
aufgeführt: Philosophen und Theologen
sind vor allem für das Glück des Kopfes
zuständig.
Die Dichter und Schriftsteller sind dem
Glück des Herzens zugetan.
Mit dem Glück für die Region des Unterleibs,
der Lust, befassen sich nicht nur die
Kochkünstler und Gourmets als Sachverständige,
sondern auch die Erotiker und
Pornografen.
Die Psychologen siedeln das Glück
irgendwo zwischen Kopf und Herz an, je
nachdem, wo sie den Sitz der Seele vermuten.
Ob man Astrologen, Wahrsagerinnen,
Kartenlegerinnen, Spielbankmanager,
Lotterieveranstalter und alle übrigen, die
mit dem Glück ein Geschäft machen, als
Glücksexperten bezeichnen kann, ist
zweifelhaft, da sie die Sucht nach der
Droge Glück fördern, anstatt sie als Sucht
zu problematisieren.
Zu beachten ist auch, dass in unserer
abendländischen Tradition die Glücksempfindungen
von Theologen und Philosophen
in zwei Kategorien eingeteilt
wurden: In die geistigen einerseits, die
sinnlichen andererseits. Während die
«Idealisten» allein auf das geistige Glück
setzten und das sinnliche rigoros als tierische
Lust abwerteten, priesen die
«Materialisten» das sinnliche Glück und
verhöhnten das geistige als Wahngebilde.
Beide Positionen sind letztlich ein
Missverständnis; denn Idealismus wie
Materialismus fragmentieren den Körper,
spalten den Menschen dualistisch in
zwei Teile, von denen jeweils einer für
minderwertig erklärt und damit seines
Glücks beraubt wird. Man sollte unter
Glück etwas Ganzheitliches verstehen,
das uns durchdringt und vollständig
erfasst.
Offenbar ist das Glück selber nicht einfach,
geschweige denn allgemein gültig
definierbar. Aus diesem Grunde empfiehlt
Frau Pieper, nicht vom Glück, sondern
über das Glück zu reden. Es geht
dabei darum, sich mehr Klarheit zu
schaffen über die eigene Situation, über
das eigene Glücksstreben und über das
Stolpern auf möglichen Holzwegen bei
der Suche nach dem Glück. Beim Reden
über das Glück gilt es, sich zunächst die
Bedeutungen der verschiedenen lateinischen
Ausdrücke für das deutsche Wort
"Glück" bewusst zu machen, nämlich
Fortuna, Felicitas und Beatitudo. Ich
zitiere Annemarie Pieper:
«Mit Fortuna ist jenes Glück gemeint, das
sich dem puren Zufall verdankt und
jemandem ohne eigenes Zutun unverdient
in den Schoss fällt, wie ein Lotteriegewinn
oder das Überleben eines
schweren Unfalls ohne gravierende Verletzungen.
In solchen Fällen pflegen wir
umgangssprachlich zu sagen, wir hätten
Glück gehabt, und freuen uns darüber
wie über ein unerwartetes Geschenk.
Dieses Glück kann man nicht erzwingen;
es lässt sich in keiner Weise manipulieren.
Das Wort Felicitas hingegen verweist
auf jenes Glück, an dessen Zustandekommen
wir entscheidend mitbeteiligt sind.
Wer es vom Tellerwäscher zum Millionär
gebracht hat, hat durch seinen persönlichen
Einsatz Leistungen erbracht, durch
welche er seine Lebensumstände kontinuierlich
verbessern konnte. In manchem
mag er Glück im Sinne von Fortuna
gehabt haben, etwa durch glückliche
Umstände, doch im Wesentlichen hat er
sein Glück selbst gemacht und sich
sprichwörtlich als seines Glückes
Schmied erwiesen.
Von diesem machbaren Glück unterscheidet
sich das als Beatitudo bezeichnete
Glück dadurch, dass es sich auf ein
als Ganzes geglücktes Leben bezieht. Ein
durch und durch gelungenes Leben verdankt
sich ebenso sehr eigener Anstrengung
wie auch höheren, z.B. göttlichem
Beistand. Daher wird dieses Glück
zumeist als Glückseligkeit charakterisiert.
Das Glück in der Bedeutung von Fortuna
kann man zwar begehren, aber nicht
erstreben. Man kann nur hoffen, wenigstens
hin und wieder Glück im Leben zu
haben. Will man aber so glücklich werden,
überlässt man sich dem blinden
Schicksal und macht nichts aus seinem
Leben.
Das Glück von Felicitas hingegen kann
man begehren und erstreben, wobei
allerdings offen bleibt, ob das Begehrte
auch erstrebenswert ist. Der Mafiaboss,
der seinen Weg zum Status des Paten mit
zahllosen Leichen gepflastert hat, kann
über seine gelungene Karriere ebenso
glücklich sein wie die Hausfrau und Mutter,
die trotz ständig knapper Mittel ihre
Kinder zu anständigen Menschen erzogen
hat.
Das Glück in der Bedeutung von Beatitudo
behebt diese Ambivalenz der Felicitas,
indem es dem Streben nach Glück
Kriterien des Erstrebenswerten zu
Grunde legt. Dabei muss nicht ein Gott
als Urheber des Erstrebenswerten angenommen
werden. Auch durch die Vernunft
oder durch demokratische Vereinbarungen
können Regeln der Verbindlichkeit
festgelegt werden, die den Einzelnen
verpflichten, sein Glück innerhalb
eines bestimmten Normenkatalogs zu
erstreben. Zusammengefasst können wir
Fortuna übersetzen mit blindem Zufall,
Felicitas mit dem Glück des Tüchtigen
und Beatitudo mit glücklicher Zufriedenheit
im Einklang mit einem übergeordneten
Sinn. Was diese unterschiedlichen
Kategorien von Glück miteinander verbindet,
ist das Problem der Vergänglichkeit.
Das Glück bleibt nicht, wenn man es
festhalten will. Auch das Glücksgefühl,
das in seiner Intensität unermesslich sein
mag, ist zeitlich nicht beständig. Eine
weitere, unabdingbare Gegebenheit aller
Glückskategorien besteht darin, dass
zum Erleben von Glück ein Auf und Ab
gehört. Als Gegenstück zum Glück wird
normalerweise das Leid, der Schmerz
aufgeführt. Glück und Schmerz bilden
einen Spannungsbogen, ohne den das
Leben nicht auskommt. Alles und jedes
Glück ist immer gefährdet. Zu Bedenken
ist auch, dass ein immerwährendes Glück
die Fähigkeit, Glück zu empfinden,
abstumpft. Ohne Glück also kein
Schmerz, aber ohne Schmerz auch kein
Glück.
Für diejenigen, welche den Schmerz vermeiden
und dennoch glücklich sein wollen,
hat sich eine ganze Industrie auf die
Produktion von Stimulantien und
Glücksgütern verlegt. Das Begehren nach
Glück wird ersetzt durch eine Spassgesellschaft,
in der alle high and happy sind.
Wer allerdings sein Glück verwechselt
mit der Abwesenheit von Unglück und
Schmerz oder gar gleich setzt mit der
Abwesenheit von Unlust, der bewegt sich
auf der Suche nach einem glücklichen
Leben auf dem Holzweg. Frustrierend ist
es natürlich, ständig nur auf das Glück zu
warten; denn wer das Warten zu seiner
Grundhaltung gemacht hat, lebt nicht
wirklich und muss am Ende feststellen,
dass nichts von dem eingetroffen ist, was
er sich als sein Glück erhofft hat. Aber
auch auf das Glück hin zu arbeiten, ohne
sicher zu sein, es wirklich zu erreichen, ist
unbefriedigend.
Das Fazit: Auf das Glück zu warten, bringt
nichts. Auch immer Wagnisse oder gar
Risiken eingehen zu müssen, um eventuell
Glücksmomente zu erleben, überzeugt
unsere Absicherungsmentalität
nicht. Und obendrüber steht dann noch
immer die Gewissheit, dass alle Glücksmomente
ohnehin vergänglich
sind. Was nur
könnte das Unberechenbare
und das Vergängliche
des Glücks auffangen? Der
Schlüssel zur Stabilisierung
liegt in der Sinngebung,
welche wie ein Bogen die
Vergangenheit, die Gegenwart
und die Zukunft übergreift.
Dies bettet das
menschliche Suchen und
Streben in einen umfassenden
Zusammenhang, der es
auch erlaubt, die nicht
geglückten Augenblicke, ja
selbst das Unglück zu tragen.
Der feste Rahmen
einer Sinngebung ermöglicht
jenen Halt, der die
Flüchtigkeit des Glücks
erträglich macht.
Mit diesen Überlegungen
sind wir direkt bei der Beatitudo
angelangt. Beatitudo
unterscheidet sich wie
gesagt von der Fortuna -
dem glücklichen Zufall -
und von der Felicitas - dem
Glück des Tüchtigen -
dadurch, dass sich dieses
Streben und Finden des
Glücks an einem selbstgewählten
Katalog von Werten
orientiert. Dieser Katalog
von Werten ist ein
anderes Wort für Sinngebung. Daraus
entwickelt sich eine individuelle Vorstellung,
was eine gute Lebensform ist. Mit
Hilfe von gemachten Erfahrungen wird
die ursprüngliche Vorstellung ständig
ausgebaut oder revidiert und verfestigt
sich schliesslich zu einer Grundhaltung,
welche Charakter und Identität einer Person
und damit das dazugehörende
Glücksstreben begründet. Die zugrunde
liegenden Werte hängen dabei natürlich
immer davon ab, was für ein Mensch man
ist. So wird ein Genussmensch stets die
Befriedigung seiner sinnlichen Bedürfnisse
im Auge haben. Der altruistisch Veranlagte
wird im Dienst am Mitmenschen
seine Erfüllung finden, usw. Die natürlichen
Unterschiede zwischen den Individuen
sind mit unterschiedlichen Präferenzen
verbunden, die man verstärken
oder auch abschwächen kann. Voraussetzung
dafür ist allerdings, dass man sich
der Zusammenhänge zwischen Lebensform,
Lebenssinn und Befriedigung
bewusst ist oder sie sich bewusst macht».
Soweit ein paar Überlegungen zum
Thema "Glück", basierend auf den Ausführungen
von Annemarie Pieper.
Was hat das nun alles mit der Freimaurerei,
resp. mit uns Brüdern zu tun?
Betrachten wir dazu nochmals das Glück
im Sinne von Beatitudo.
Wie oben ausgeführt,
ergänzt Beatitudo das
Glück des Tüchtigen - die
Felicitas - mit übergeordneten
Werten, welche
dem Glücksstreben Sinn
und der Lebensform Sinnerfüllung
geben. Diese
Konstellation ist - nach
Pieper - die Basis für ein
ganzheitliches, glückliches
Leben. Bekanntlich
vertritt nun die Freimaurerei
erstens klare Werte
und zweitens besteht ein
Kernstück der Freimaurerei
aus der Aufforderung
an ihre Mitglieder, sich
anhand von Fragen, z.B.
woher komme ich, wer bin
ich, wohin gehe ich,
Gedanken über den Sinn
des Lebens zu machen.
Auch setzen wir voraus,
dass potentielle Mitglieder
diesbezüglich echte
Suchende sind. Die Aufgenommenen
verpflichten
wir, sich mit den inneren
Werten der Freimaurerei
auseinander zu setzen, sie
individuell interpretiert zu
adaptieren und im Alltag
dann auch zu leben. Diesen
Auftrag bezeichnen
wir gemeinhin als Arbeit am rauen Stein.
Wir Freimaurer haben also die besten
Voraussetzungen, Glück im Sinne der
Beati tudo zu finden! Interessanterweise
fehlt dieser Aspekt im Selbstverständnis
der Freimaurerei, vermutlich auch in der
externen Wahrnehmung, sicher aber in
der Kommunikation der Freimaurer.
Unsere Aussagen bezüglich der Arbeit
am rauen Stein lauten in der Regel, dass
sie den Einzelnen weiter bringt, dass sie
zum wahren Menschentum führt, dass
sie einen Baustein für den Tempelbau,
sprich die humanistische Gesellschaft,
ergibt. Dies sind die bekannten Formulierungen,
die wir in der Regel benützen.
Von Glück keine Rede! Jedenfalls kann
ich mich nicht erinnern, gehört zu
haben, dass die Arbeit am rauen Stein
glücklich macht oder dass sie die Basis
für ein glückliches Leben wäre.
Wenn also dieser Zusammenhang zwischen
sinnerfüllter Lebensform und
Beatitudo besteht - und daran habe ich
keinen Zweifel - müssten dann die Freimaurer
nicht erkennbar glücklich sein?
Wenn sie das aber nicht oder nicht
erkennbar sind, an was liegt es dann?
Wird zuwenig Arbeit am rauen Stein
geleistet? Oder legen auch wir Freimaurer
nur einfach zuviel Gewicht auf
die Vermeidung von Unlust? Oder aber
auf die Vermeidung von Schmerz, weil
die Arbeit am eigenen rauen Stein
schwierig, anstrengend und manchmal
auch frustrierend erfolglos ist? Begnügen
wir uns aus diesem Grund – um Frustration
und Schmerz zu vermeiden –
vielleicht mit dem, was wir schon haben
und bleiben dabei aber unzufrieden,
resp. können nicht wirklich glücklich
werden?
Vielleicht fühlen wir uns aber einfach
nicht sicher mit dem selbst erarbeiteten
Sinn des Lebens, weil wir manchmal spüren,
wie fragil und unsicher er im Ernstfall,
im Härtetest sein könnte.
Wer auf der Suche nach dem Glück im
Sinne der Beatitudo ist, muss sich die
Antworten auf diese Fragen selber geben.
Nicht ständige Glücksmomente sind ja
gefragt, sondern die Möglichkeit, auf
dem Hintergrund des Lebenssinnes
immer wieder solche zu erleben.
Mir ist beim Lesen des Buches "Glückssache"
von Annemarie Pieper klar geworden,
dass ich Glück gehabt habe im Sinne
von Fortuna, indem ich den Zugang zur
Freimaurerei gefunden habe. Und ich
habe Glück, dass ich dank des freimaurerischen
Gedankengutes und mit Hilfe der
Brüder im Sinne von Felicitas am selbst
gewählten Sinn des Lebens arbeiten und
im Sinne der Beatitudo auch finden kann.
Dass ich dieses Glück habe, macht mich
glücklich.