Thema
Vom Wagnis zu scheitern
Scheitern kann man auf viele verschiedene
Arten. Man kann scheitern im
Beruf, in der Ehe oder an eigenen Zielen.
Auch ganze Systeme und Modelle können
scheitern (wie dies auch die aktuelle
wirtschaftliche Situation vor Augen
führt). Allen ist aber eines gemeinsam:
«jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu
leben» (H.Hesse, «Stufen»).
Humanitas in Libertate, St. Gallen
(Schweizer Freimaurer-Rundschau: Februar 2009)
Scheitern ist nicht gerade ein Begriff, der
mit positiven Attributen verbunden wird.
Der Begriff stammt aus der Seefahrt und
bedeutete Schiffbruch, im Sinne von am
Felsen zerschellen – im Gegensatz zu
Stranden. Daneben lohnt sich auch ein
Blick in die lateinische Sprache: Vanitas
(lat. „leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit;
auch Lüge, Prahlerei, Misserfolg oder Vergeblichkeit“).
Vanitas ist ein Wort für die
jüdisch-christliche Vorstellung von der
Vergänglichkeit alles Irdischen. Vanitas-
Motive zeigen, dass der Mensch das
Leben nicht in der Gewalt hat. Am Auffälligsten
sind Bilder des Vergangenen
und des Vergehenden wie Totenschädel
oder Sanduhr. Auf „faktischer Ebene“
scheitert jedes menschliche Dasein am
Tod. Scheitert der Mensch also per definitionem?
Scheitern ist nicht gerade ein Begriff, der
mit positiven Attributen verbunden wird.
Der Begriff stammt aus der Seefahrt und
bedeutete Schiffbruch, im Sinne von am
Felsen zerschellen – im Gegensatz zu
Stranden. Daneben lohnt sich auch ein
Blick in die lateinische Sprache: Vanitas
(lat. „leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit;
auch Lüge, Prahlerei, Misserfolg oder Vergeblichkeit“).
Vanitas ist ein Wort für die
jüdisch-christliche Vorstellung von der
Vergänglichkeit alles Irdischen. Vanitas-
Motive zeigen, dass der Mensch das
Leben nicht in der Gewalt hat. Am Auffälligsten
sind Bilder des Vergangenen
und des Vergehenden wie Totenschädel
oder Sanduhr. Auf „faktischer Ebene“
scheitert jedes menschliche Dasein am
Tod. Scheitert der Mensch also per definitionem?
Aber: muss man denn immer gewinnen?
bzw.: worin besteht der Gewinn? Karlfried
Graf Dürckheim schrieb in seinem Lob der
Leistung:«Nur indem [der Mensch] etwas
leistet, vermag [er] das Leben zu bestehen
und ein sinnvolles Leben zu führen». Das
ist wahrlich scharfer Tobak! Nur wer
etwas leistet, ist jemand; wer nichts leistet
oder in seiner Leistung versagt hat,
ist draussen! Nicht ganz, denn Dürckheim
schreibt weiter: «Jede in der Welt gültige
Leistung, in der der Mensch einer Sache
oder Gemeinschaft dient, zwingt ihn
auch, sein eigensüchtiges Ich hintanzusetzen…
nur so wird der Mensch zur Persönlichkeit
». Somit können also Menschen,
die etwas leisten, aber nicht den
gesellschaftlichen Mehrwert bringen
resp. egoistisch sind auch als nutzlos – als
gescheitert angesehen werden. Das Wagnis
hat immer auch mit unvollkommenen
Informationen über die Zukunft zu tun.
Wer wusste schon, dass es am 11.9.2001
zu den Terroranschlägen kommen würde,
dass Google sich weltweit durchsetzen
und das Informationsverhalten aller verknüpften
Menschen verändern würde?
Am Anfang eines bestimmten Handelns
mögen vielleicht ehrwürdige Absichten
gestanden haben. Denken wir einmal an
die Börsenauguren. Sie alle hatten
Modelle, Annahmen und Meinungen.
Wer hätte gedacht, dass die meisten mit
ihren Prognosen so kläglich daneben liegen
würden. Bloss: die exogenen Faktoren
sind das eine; die persönliche Selbstüberschätzung
und Arroganz – oder besser:
Ignoranz? – trug mindestens einen so
grossen Teil zum Scheitern dieser Gilde
bei! Somit liegen schon bald Wörter im
Raum, die man damit assoziiert: unfähig,
unnütz, untauglich.... Nehmen wir die
Manager: Ab einem gewissen Punkt
kippte das gesunde Verhältnis und leitete
über in überrissene Löhne: Abzocker,
Banditen, Unverschämtheit und dergleichen
mehr. Kein Wort von unfähig, überflüssig
und gescheitert. Warum? Was in
diesem Zusammenhang verwirrt, ist die
Tatsache, dass es «nur» einige wenige
sind, die das Augenmass verloren haben.
Die meisten Manager haben ganz andere
Lohngefüge in ihren Betrieben. Häufig
sind sie auch Eigentümer der Gesellschaft
und werden das Geld wieder reinvestieren.
Davon spricht niemand heutzutage.
Also haben hier auch die Medien versagt.
Sie sind gescheitert am Auftrag, objektiv
zu berichten. Stattdessen lassen sie sich
in den Strudel der plumpen Anbiederung und des schnöden Sauglattismus ziehen.
Ferner verstärken sie gerade in dieser Zeit
die Hysterie um die Finanzkrise, indem sie
immer wieder und ganz prominent den
Kurszerfall an den Finanzmärkten portraitieren.
Das muss ja die Angst schüren
und den Konsum reduzieren und somit
die Rezession verstärken, vor der wir stehen.
Self-fulfilling prophecy nennt man
das. Ferner täuschen sie über den
Umstand hinweg, dass die Börse nicht
das Wichtigste im Leben ist – es gibt
demzufolge eine Wertverschiebung bei
den Medienkonsumenten. Da sind wir
klar gescheitert! Wenn wir die Finanzkrise
ansprechen: was ist passiert, ist hier
ein ganzes System gescheitert – eine
Idee, eine Ideologie? – ist der Kapitalismus
gescheitert so wie der Sozialismus
gescheitert ist? Oder ist bei beiden Systemen
lediglich die Ausgestaltung fehlgeschlagen?
Pascal nannte das Scheitern
«eine Schwäche des Verstandes». Karl
Jaspers meint mit Scheitern nicht etwa
ein partielles Misslingen, sondern die
grundsätzliche Vergeblichkeit aller
Bemühungen und Anstrengungen! In
allem bleibt nur der unaufhörliche Wandel.
«Über jedes lebendige Ding kommt
der Tod». Fortschritt ist ein Triumph zerstörerischer
Mächte. Der österreichische
Ökonom Joseph Alois Schumpeter
beschrieb in einem seiner berühmtesten
Werke die «schöpferische Zerstörung» in
der Wirtschaft. Auch Erinnerung scheitert.
«Das Scheitern ist das Letzte». Den
Erkenntnisprozess kann ich als Ganzes
nicht vollenden. “Wo ich eigentlich ich
selber bin, bin ich nicht ich selbst“. Eine
Grenzsituation macht offenbar, dass
alles Positive an das dazugehörige Negative
gebunden ist. Kein Gutes ohne das
Böse – «les fleurs du mal», keine Wahrheit
ohne Falschheit, kein Glück ohne
Schmerz. – Das leere Nichts, Versagen ist
das sich offenbarende Scheitern. Selbst
der Fatalismus untersteht dem Gesetz
des Scheiterns! Resignation ist die
Schwester davon.
Ist Scheitern nur schlecht?
Ist Scheitern nicht die Voraussetzung,
damit das wahre Sein entdeckt werden
kann? Sind Erfahrungen aus gescheiterten
Projekten nicht Grundlage für
erfolgreiche neue? In Amerika haben in
Konkurs geratene Unternehmer nicht
zwingend einen Nachteil bei der Stellensuche
– im Gegenteil: ihre Erfahrung
wird als sehr wertvoll eingestuft. Sind
darüber hinaus nicht gerade grosse
Erfindungen durch Scheitern überhaupt
erst entstanden? Zum Beispiel Corn Flakes.
Wir dürfen jedoch nicht nur das
Scheitern gesellschaftlicher Vorgänge
und Ideen betrachten. Es gibt auch ein
Scheitern in der Privatsphäre: wenn wir
unsere Ziele, unseren Lebensentwurf
nicht umzusetzen vermögen oder in
Beziehung gescheitert sind. Wenn ich
an solchen Zielvorstellungen scheitere,
kann es daran liegen, dass ich früher
schon gescheitert bin – weil ich zum
Beispiel zu hohe oder zu starre Zielsetzungen
gesteckt habe. Wir können aber
auch vor Partnern scheitern oder vor
Geschäftspartnern, Parteifreunden oder
vor der Öffentlichkeit. Das Gefühl des
gescheitert seins und damit verbunden
das Gefühl der Wertlosigkeit oder Nutzlosigkeit
findet oftmals den Grund
darin, dass wir nicht unterscheiden zwischen
einem gescheiterten Vorhaben
und dem gescheiterten Ich. Wir leben
täglich in unzähligen Rollen, einem
Bündel von Erwartungen, wenn da eine
Rolle nicht erfüllt wird, heisst das noch
lange nicht, dass der Mensch dahinter
nichts Wert ist. Oftmals sind solche
Gefühle des Scheiterns subjektiv erlebt
und durch gesellschaftliche Werte und
Erwartungen extern vorgegeben: Wer
z.B. keine Kinder zeugen kann, sieht sich
in der Gesellschaft – als Mann –
gescheitert. Und schliesslich gibt es
noch das Scheitern in der FM – die Freimaurerei
als Organisation und als Geisteshaltung.
Sind wir noch zeitgemäss?
Bringt unser aller Streben überhaupt
etwas? Natürlich kann auch eine Loge
scheitern: zu wenige Leute? warum?
weil es zu wenige aktive Leute hat;
Leute, die riskieren, mit einem Vorstoss
oder einer Aktivität zu scheitern? Und
zum Schluss der für uns wohl dunkelste
Aspekt: das persönliche Scheitern im
Behauen des rauen Steins. Zweifel über
die Universalität unseres Gedankengutes;
Zweifel, etwas beisteuern zu können
und Zweifel, eine Stütze zu finden,
wenn wir einmal in Not wären. Andererseits:
wissen wir, wer sich als gescheitert
fühlt? Haben wir ein Ohr für ihn und
unterstützen wir ihn auch entsprechend?
Die Bruderkette ist nur so stark
wie das schwächste Glied. Gescheiterten
müssen wir beistehen – auch wenn
sie nicht wirklich gescheitert sind; sonst
bricht die Kette auseinander.