Thema
Wenn alles aus
dem Ruder läuft...
Seit es die spekulative Freimaurerei gibt,
kursieren anti-freimaurerische Schriften,
die sich bis zu Verschwörungstheorien
auswachsen können. Diese antifreimaurerische
Bewegungen unterliegen
ausgeprägten Schwankungen: so
sind meist in Krisenzeiten oder Epochen
grösserer politischer oder wirtschaftlicher
Umwälzungen vermehrt verschwörerische
Tendenzen erkennbar. Der folgende
Artikel versucht einige Gründe
dafür zu beleuchten.
Adrian Bayard – Humanitas in Libertate, St. Gallen
(Schweizer Freimaurer-Rundschau: November 2009)
Ein erster Grund für die ablehnende Haltung
einiger Opponenten gegen die
Freimaurerei ist zugleich eine ihrer Stärken:
die religiöse Toleranz. Aus dieser
Grundhaltung entsprangen (und entspringen
immer noch) zahlreiche Verurteilungen
seitens der katholischen Kirche. Die
päpstliche Bulle «in eminenti» von 1738
war die erste in einer langen Reihe ähnlich
gelagerter Angriffe. Der im Jahre 1983 in
Kraft getretene neue Corpus Iuris Canonici
enthält zwar nicht mehr –wie früher – die
ausdrückliche Exkommunikation katholischer
Freimaurer; die Kongregation für die
Glaubenslehre (Kardinal Ratzinger)
erklärte dazu allerdings, dass diese Nichterwähnung
nichts daran ändere, dass
Zugehörigkeit zur Freimaurerei für Katholiken
eine schwere Sünde sei und zum
Ausschluss von der Kommunion führe (aus
«Freimaurer», Eigenverlag der Museen
Wien). Im Zuge der Säkularisierung sah
der Vatikan nicht nur seinen Ausschliesslichkeitsanspruch
dahinschmelzen, sondern
mit den Freimaurern, die ihren Ursprung
im protestantischen England hatten,
auch einen Konkurrenten sich verbreiten.
Anfeindungen der anderen Art
zogen sich Freimaurerlogen von Seiten
absolutistischer Regierungen zu, da sie
sich mit ihrer Geheimhaltung der Kontrolle
des Staates entzogen. Besonders
einschneidend für den Antimasonismus
war die Französische Revolution, denn
Logen galten fortan wegen ihres aufklärerischen
Geistes als Drahtzieher der
Bewegung und als Staatsfeind.
Gründe für Verschwörungstheorien
In der Folge rankten sich zahlreiche Legenden
von Teufelskulten und Ritualmorden
um die Freimaurerei. Begünstigt wurde
diese Strömung durch die Schriften des
französischen Publizisten Leo Taxil, die
1885 veröffentlicht wurden. Zwölf Jahre
später musste er öffentlich gestehen, dass
er alles erfunden hatte (aus «Es werde
Licht», Alfred Messerli). In der Folge lösten
sich Verschwörungstheorien gegenseitig
ab; andere entstanden, alte kamen wieder
auf. Gründe für Antimasonismus oder Verschwörungstheorien
sind zahlreich:
Gerade dort, wo sich mehr oder minder
grosse Teile einer Gesellschaft
von aussen bedroht fühlen, sind Verschwörungsideologien
sehr beliebt.
Dies gilt für unübersichtliche und
komplexe Strukturen während der
französischen Revolution, dem
Ersten und Zweiten Weltkrieg
genauso wie heute für die Globalisierung.
Anfällig für anti-freimaurerische
Bewegungen und Verschwörungstheorien
– aus psychologischer
Sicht – sind Personen, die glauben,
keine Kontrolle über die Situation
mehr zu haben, in der sie sich befinden;
sie tendieren dann dazu, überall
Muster und Verbindungen zu sehen
– selbst dort, wo es gar keine gibt.
Das führt dazu, dass in wirren
Mustern Bilder erkannt werden, die
gar nicht vorhanden sind und somit
vermehrt abergläubische und verschwörerisch
unterfütterte Interpretationen
gefunden werden. Die Wirtschaftswissenschaftler
Jennifer Whitson
und Adam Galinsky haben letztes Jahr
anhand von sechs Experimenten überprüft,
inwieweit das starke Bedürfnis des
Menschen nach Kontrolle seine Wahrnehmung
verfremdet. Die Ergebnisse zeigen:
Offenbar gibt es kaum etwas Schlimmeres,
als einer verwirrenden Situation ausgeliefert
zu sein. Das Gefühl von Sicherheit
muss erzeugt werden - auch um den Preis
von Sinnestäuschungen (Science vom 3.
Oktober 2008). Der Zusammenhang zwischen
Verschwörungsideologie und Vernunft
kann auch umgedreht werden. Der
Historiker Dieter Groh vermutet hier eine
«Dialektik der Aufklärung» im Sinne Adornos:
Verschwörungstheorien sind als «das
Andere der Vernunft» Schattenseite und
gleichzeitig Gegenbewegung einer zu
schnell sich vollziehenden Rationalisierung
aller gesellschaftlichen Beziehungen
(aus: www. de.wikipedia.com)
Bild der Öffentlichkeit
Doch: wie sieht es mit dem aktuellen Bild
der Freimaurerei in der Öffentlichkeit aus?
In der deutschen Freimaurer-Zeitschrift
«Humanität» wurde im August dieses Jahres
im Auftrag der Grossloge AFuAM eine
Umfrage mit 1300 verwertbaren Antworten
durchgeführt und abgedruckt. Einschränkend
ist anzumerken, dass die
Befragten ausschliesslich Besucher der
Homepage waren, also per se schon eine
Affinität zur Freimaurerei hatten. Die
Ergebnisse sind dennoch erstaunlich:
23% glauben, dass Freimaurer zur Elite
gehören; 16% warten darauf, angesprochen
zu werden; 18% halten persönlichen
Kontakt für erforderlich; 4% meinen, Freimaurerei
sei etwas für Besserverdiener;
85% halten Freimaurerei gut für Persönlichkeitsbildung;
88% wissen, dass Freimaurer
humintäre Ziele verfolgen; 20%
meinen, dass Freimaurer grossen Einfluss
haben; 3% verbinden Freimaurerei mit
Weltverschwörung; 68% verbinden Freimaurerei
mit geheimen Riten; 14% verbinden
Freimaurerei mit Karriere; 81%
verbinden Freimaurerei mit gegenseitiger
Hilfe; 19% halten Freimaurerei für eine
Geheimgesellschaft.
Fazit
So unbekannt scheinen wir nicht zu sein;
zumindest erfuhren die Befragten mehrheitlich
durch Gespräche im Elternhaus,
mit Freunden und Bekannten zum ersten
Mal über Freimaurerei. Es wird also über
uns geredet. Ursachen mögen gerade in
letzter Zeit etliche Fernsehberichte gewesen
sein, Erwähnungen in Filmen verschiedenster
Qualität und Bücher von beispielsweise
Dan Brown
und zahllosen Nachahmern.
Das wichtigste EinzeImedium,
über das die
Interessenten sich heute
informieren, ist das Internet.
Bücher und Zeitschriften~
spielen auch
noch eine wichtige Rolle
- die Öffentlichkeitsarbeit
der Freimaurer insgesamt
wird allerdings
kaum wahrgenommen.
persönliche Motivation
Befragt wurden die Herren, die nach
eigenen Angaben gerne Freimaurer werden
möchten, nach ihren persönlichen
Motiven:
- Verbessern der eigenen Persönlichkeit
und die Sehnsucht nach anregenden
Gesprächen in einem vertrauten Kreis
dominieren die Wünsche deutlich.
- Der Wunsch nach einer sinnvollen Aufgabe
in der Gesellschaft kennzeichnet
einen Menschen auf der Suche und der
Hoffnung, in einer Loge zumindest Anregungen
zu finden. Ebenso dürfte die Suche
nach Lebenssinn gelten.
- Und, ganz pragmatisch, drücken etliche
Herren die Hoffnung aus, in der Loge auch
Freunde zu finden.
- Das Interesse an Esoterik oder Religiosität
ist, zumindest im Zusammenhang
mit den Logen, nicht besonders ausgeprägt.
- Deutlich auch, dass die Herren eine Verbesserung
ihres beruflichen oder gesellschaftlichen
Status mehrheitlich nicht mit
einer Loge in Verbindung bringen.
Es kann also gesagt werden, dass einerseits
externe Faktoren wie gesellschaftliche
Entwicklungen die anti-freimaurerische
Bewegung begünstigen – aber
auch Desinformiertheit oder Unwissenheit.
Deswegen müssen wir aufklären
und auf uns aufmerksam machen; dies
geschieht aber weniger mit Flugblättern,
Prospekten und tollen homepages als
vielmehr durch jeden einzelnen von uns.
Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen
und Gutes tun – öffentlich Positionen
beziehen, aktiv werden und darüber
sprechen!