Thema

Woher kommen die drei Punkte?

Neue Rubrik «Seite des Lehrlings» Mit dieser Ausgabe starten wir eine neue Rubrik. Sie ist ganz den «jüngsten » Mitgliedern unserer Kette gewidmet und soll Fragen, denen sie häufig begegnen, von fachkundiger Seite erläutern. Es dürfte aber auch für die «älteren Brüder» interessant sein, denn solche Grundsatzfragen bilden gleichzeitig auch das Fundament unseres Maurerlebens.

Roland Müller – Catena Humanitatis, Zürich (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Januar 2010)

Wie so vieles in der Freimaurerei kann man auch die drei Punkte auf die Alten Griechen oder gar Ägypter zurückführen. So behauptet etwa Reinhold Dosch 1999 ohne nähere Erläuterung: „Die Verwendung von drei Punkten geht auf die Pythagoräer (etwa 500 v. Chr.) zurück, die darin das Sinnbild der Erkenntnis und Selbstbeherrschung sahen.“ Noch weiter zurück ging der Zürcher Jurist Joseph Schauberg in seinem „Vergleichenden Handbuch der Symbolik der Freimaurerei“ von 1861: „Wenn die Maurer drei Punkte als bloses Abkürzungszeichen gebrauchen und z. B. schreiben: "Sehr ehrw M∴v∴St!" für "Sehr ehrwürdiger Meister vom Stuhl!", sollen hier die drei Punkte jedesmal nur die Mehrzahl der fehlenden oder noch kommenden Buchstaben bezeichnen, so dass also auch diese Abkürzungsweise sich vollkommen an die hieroglyphische Schreibweise der Ägypter anschliesst.“ Eugen Lennhoff und Oskar Posner sind da viel vorsichtiger und verweisen nur auf „einen sehr alten Setzer- und Schreibergebrauch“: Man habe drei Punkte hinter Abkürzungen, am Schluss eines Satzes oder auch zur Ausfüllung eines leeren Raumes gebraucht. Man finde das in „alten Mönchsschriften“, in „alten französischen Schriften“, in Templerschriften der Bibliothek Corsini in Rom (vermutlich das Statutenbuch des Ordens der Tempelherren), im „Vergil der Medici“ (1481) und später etwa in den Werken des Pädagogen Amos Comenius (um 1630-60). Das mag sein, ist aber schwierig nachzuprüfen. Offensichtlich unrichtig ist die Behauptung von Lennhoff/ Posner und des sich darauf stützenden Dosch, dass es die französischen Freimaurer gewesen seien, welche diesen Brauch übernommen hätten und dass er erstmals 1764 im Register der Loge „La Sincérité“ im Orient von Besançon auftauche. In der angelsächsischen Freimaurerei seien die drei Punkte nicht häufig. Wenn man ein bisschen in den Bildbänden der Freimaurerei blättert, findet man freilich anderes. In der schönen „Geschichte der Freimaurerei“ von Paul Naudon (1982, 38) findet man ein Protokoll der Londoner Grosslogentagung vom 24. Juni 1723, in welchem in den Abkürzungen der Beamtungen zwei Punkte – also wie ein Doppelpunkt – verwenden wurden: „G:Master“ (Grossmeister); „D:G.M“ („Deputy“ = Stellvertreter des Grossmeisters), „G:Wardens“ (Gross-Aufseher). Die nächsten Beispiele finden wir im dicken Katalog der Sonderausstellung „Freimaurer“ des Historischen Museums der Stadt Wien 1992/93. In einem Protokoll der Wiener Loge „Aux trois canons“ von 1742 finden sich in französischer Sprache (Katalog, S. 437) folgende Abkürzungen: „Fr:Maçons“, „Gr:Loge“, „Gr:Maitre“.

In einem sogenannten „Meisterbrief der Ritter und Brüder St. Johannis des Evangelisten aus Asien in Europa“ vom 13. März 1745 (S. 312) – das Hochgradsystem der „Asiatischen Brüder“ wurde allerdings erst 1782 gegründet – findet sich die Verwendung eines kleinen Dreiecks in folgender Schreibweise für den Gottesnamen: „JΔHΔWΔJ“. Aus dem selben Jahr stammt die Serie der bekannten Kupferstiche der verschiedenen freimaurerischen Grade „par Madame La Marquise de …“ (S. 120-124).

Noch interessanter ist ein im Ausstellungskatalog „Freimaurer“ des Schweizerischen Museums für Volkskunde in Basel 1983/84 (S. 15) gezeigtes Logenpatent für einen Basler Freimaurer, ausgestellt von der Loge „la Concorde“, Lyon 1757, und zwar auf Pergament in der Form eines Schurzes. Es enthält im aufgeklappten Zwickel zuoberst auf drei Zeilen die Buchstabenfolgen:

L:. D:. S:.
J:. D:. L:.
C:. D.. L:.

Das Ganze wird umrahmt von dreimal drei Sternchen, die als Grüppchen wie als Ganzes ebenfalls als Dreieck angeordnet sind. Schliesslich findet sich wiederum im Wiener Ausstellungskatalog (S. 261) ein handschriftliches Dokument aus dem Jahre 1760 ebenfalls in der Form eines Schurzes mit aufgeklapptem Zwickel, in dem zuoberst ganz ähnlich steht: „Au Nom D:. G:. A:. D:. L:.“. Im weiteren Text finden sich: an verschiedenen Stellen weitere drei Punkte als kleine Dreiecke angeordnet, z. B.:

„Nous V:. les Les MM:. a OO:. de la R:. L:. St Jean“.

Anhand dieser wenigen Dokumente kann man vermuten, dass hinter der Verwendung von drei Punkten in der Anordnung eines kleinen Dreiecks eine Entwicklung steckt, die von zwei Punkten über ein gezeichnetes Dreieck und drei Sternchen, die als Dreieck angeordnet sind, bis zu der heute gebräuchlichen Form führte. Bemerkenswert ist auch die Verdopplung eines Buchstabens als Zeichen für die Mehrzahl (MM:. = Meister). Die symbolische Deutung der drei Punkte ist – wie vieles in der Freimaurerei – umstritten. Lennhoff/ Posner betrachten die Deutung als die drei (kleinen) Lichter schlankweg als falsch. Wolfgang Scherpe behauptet demgegenüber: „Wenn wir einem Bruder ein uns heiliges Wort bezeichnen wollen, dann bilden wir hinter dem Buchstaben mit Punkten ein Dreieck. Wir symbolisieren damit die drei kleinen Lichter, wie sie um den Teppich stehen.“ Auch die Deutung eines René Allendy in seinem esoterischen Wälzer „Le Symbolisme des Nombres“ (1921) findet bei Lennhoff/ Posner keine Gnade. Allendy sieht in den drei Punkten die drei Jod, die in der Kabbala den Namen Gottes vorstellen. Das ist nach den oben gegebenen Beispielen gar nicht so abwegig. Unverständlich sind die beiden nächsten Sätze von Lennhoff/ Posner: „Nach ihm (Allendy) wäre das Dreieck und der Winkel nichts anderes als die im Werksymbol ausgeführte Punktdreizahl. Gegen diese Deutung spricht die Geschichte der Werksymbolik.“

Die erwähnten Beispiel für Abkürzungen zeigen auch, dass die ab und zu geäusserte Behauptung nicht zutrifft, die Freimaurer wollten durch das Setzen von drei Punkten bestimmte Wörter für Profane geheim halten. Seit wann werden die Freimaurer als „Dreipunktebrüder“ bezeichnet? Darüber geben die Nachschlagewerke keine Auskunft. Bekannt ist nur, dass der grosse Verleumder der Freimaurerei, Leo Taxil, im Jahre 1885 sein Machwerk, die „Révélations complètes de la franc-maçonniere“, betitelt hat mit: „Les frères Trois-Points“. Die deutsche Übersetzung erfolgte schon im Jahr darauf durch den bekannten Freimaurer- Gegner Hermann Gruber als „Die Drei-Punkte-Brüder“ (erschienen in der Buchdruckerei des Werkes vom heiligen Paulus im schweizerischen Freiburg). Spätestens seither wird die Bezeichnung im abschätzigen Sinn gebraucht.