Thema
Magie der Zahlen
Diesen Artikel fanden wir in der Bibliotheca
Masonica August Belz in St. Gallen.
Es handelt sichumeinen Bauriss, der
vor 27 Jahren gehalten wurde. Dabei
geht der Autor zuerst auf den psychologischen
Gehalt der Zahlen nach C.G.
Jung ein und betont dabei die besondere
Bedeutung der Zahlen Eins bis Drei. Im
zweiten Teil geht der Autor auf die
Bedeutung von Zahlen in unseren
Ritualen und Bauhütten ein.
Von H.-G- K. Bauriss vom 21.02.1983,
bearbeitet von Adrian Bayard (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Mai 2010)
Wer denkt bei diesem Thema nicht an
Mathematik, die man nie so recht
verstanden hat, an Schule und schlechte
Zensuren. Das Verhältnis der meisten
Menschen zur Mathematik ist eher
schlecht, dabei könnten dieZahlenunsere
besten Freunde sein. Wo liegt der Grund?
In der Zeitschrift Capital 22 Heft 2 (1983)
findet sich in einer Serieüber Mikro-Computer
folgender Satz: In Kanzleien und
Praxen sind Computer noch selten, aber
gerade hier könnten sie sich nützlich
machen, wenn die potientiellen Anwender
sich nicht vor der Elektronik fürchten
würden. Deutlicher kann man es nicht
sagen: Menschen fürchten sich vor Ereignissen,
vor Einrichtungen, Dingen, Apparaten,
Abläufen usw., die ihnen fremd sind
oder unverständlich, die in das Gesamtbild,
das sie sich von ihrer Umwelt
machen, nicht hineinpassen. Und zur
Überwindung dieser Furcht, die sich zu
Angst und Schrecken steigern kann, reagieren
sie alle gleich: Sie versuchen den
Tatbestand so zu erklären, dass er in das
vorhandene Weltbild passt, wobei die
Erklärung nicht unbedingt richtig sein
muss. Beispiel: Vor 2000 Jahren erklärte
die Nympfe im Baum dessen Verhalten in
den Jahreszeitendem damaligen Weltbild
entsprechend. Dieses für alle Menschen
gleiche Verhaltensmuster weist auf das
kollektive Unbewusste hin. C.G.Jung entdeckte
es, als er begann, die Inhalte der
unbewussten Psyche zu untersuchen.
Dass das menschliche Bewusstsein nur
einen kleinen Teil unserer Psyche ausmacht
und auf einem Meer von unbewussten
Inhalten schwimmt, war vielleicht
die grösste Entdeckung der Neuzeit.
Dabei muss man sich darüber klar sein,
dass das Unbewusste in uns niemals
bewusst werden kann. Es wirkt nur in
unser Bewusstsein hinein und spricht
dann in Träumen und Bildern zu uns, die
wir zu deuten haben. Bei der Erforschung
der Inhalte des Unbewussten stellte C.G.
Jung sehr bald fest, dass gewisse Grundstrukturen,
die er Archetypen nannte,
allen Menschen unabhängig von ihren
Zugehörigkeiten zu verschiedenen Kulturkreisen
und sozialen Schichten eigen
sind. Es gibt also ein seelisches Grundmuster,
welches das eigentliche Menschsein
ausmacht. Narum sollte es auch nicht so
sein? Auf Grund einiger weniger Merkmale
der äusseren Erscheinung eines
Lebewesens können wir bei allerVerschiedenheit
der Individuen feststellen, ob wir
es mit einem Menschen zu tun haben.
Dieser' äusseren Wirklichkeit entspricht
auch eine innere Wirklichkeit des
Menschseins. Jung betont, dass dieArt der
Archetypen unanschaulich und sogar
bewusstseins-transzendent sei, und zwar
deshalb, weil unsere Bewusstseinsprozesse
selber von den Archetypen bedingt
sind. Die Archetypen stellen dadurch eine
unbewusste objektive Realität dar,welche
sich zugleich auch wie eine subjektive,
also eine Bewusstheit, verhält. Diese Realität
schliesst das beobachtende Subjekt
mit ein und ist daher von unvorstellbarer
Beschaffenheit. Der Mensch kommuniziert
durch seine Sinne mit der äusseren
Wirklichkeit, die sich auf seiner inneren
Wirklichkeit abbildet. Dabei hat jeder
Mensch ein vages unvorstellbares, nicht
formulierbares Gefühl, dass hinter beiden Welten, der inneren und der äusseren,
etwas drittes stehen müsse, ein Angeordnetsein
aller Existenten, ein kosmisches
Netz, oder die eine heile Welt, der Unus
Mundus.
Zahlen und das Unbewusste
In der Menschheitsgeschichte hat es zahlreiche
Versuche gegeben, diese eine heile
Welt zu veranschaulichen, wobei diese als
ein aus Bildern bestehendes Kontinuum,
oder als geometrisches Kontinuum, oder
als eindurchZahlenstrukturiertes Gebilde
beschrieben wurde. Allgemein ist die
Ansicht weit verbreitet, dass die Zahlen -
insbesondere auch dienatürlichen Zahlen
- 1234567, … - ein Werk des bewussten
menschlichen Geistes seien und dass die
Menge der natürlichen Zahlen unbegrenzt
sei. Diese Menge ist diskontinuierlich,
indem sie aus abgegrenzten Einheiten
besteht, deren Differenzen nie kleiner
als eins werden können. An dieser Auffassung
fehlt jedoch ein wichtiger Aspekt,
nämlich das irrationale «So - Sein» einer
individuellen natürlichen Zahl, ihre
besondere Qualität, die man sich nur
erklären kann, wenn man das
Bewusstwerden der Zahlen mit der Entstehung
des menschlichen Bewusstseins
verknüpft, also eine Mitwirkung des
Unbewussten akzeptiert. Jeder Verwendung
von Zahlen ist gemeinsam, dass sie
zur Erfassung vonRegelmässigkeitenbzw.
zumFesthalten einer Ordnung dient. Deshalb
sagt Jung: «Die Zahl ist das primitivste
Ordnungselement des menschlichen
Geistes, psychologisch lässt sich daher die
natürliche Zahl als ein bewusst gewordener
Archetypus der Ordnung definieren. In
diesemAspekt scheint dasGeheimnis enthalten
zu sein, dass nämlich die kleinen
natürlichen Zahlen sowohl im materiellen
als auch im psychischen Bereich zur
Beschreibung vorgefundener Ordnungen
dienen können».
Spezialfall Eins und Zwei
Die Zahl Eins besitzt einmalige Eigenschaften
imbesonderen Masse. Sie ist z.B.
der Teiler aller Zahlen - aber dann gäbe es
keine Primzahlen - sie folgt keiner anderen
natürlichen Zahl, das heisst, sie hat
keinen Vorgänger. Sie zählt im eigentlichen
Sinne desWortes nochnicht, so wird
sie schliesslich ausgeklammert und als
Sonderfall angesehen. Sie besitzt einen
komplementären Doppelaspekt: Sie ist
das Ein und Alles zugleich – quantitativ
die Zähleinheit, qualitativ die ganze
Menge der natürlichen Zahlen, die durch
unbegrenzt häufige Addition der eins in
wohlgeordneter Reihe entsteht und wieder
eine Einheit bildet.
Antike Zahlentheorien liessen die Zahlen
durchTeilung der Einheitentstehen. Dabei
nimmt die Zweiheit eine Sonderstellung
ein, weil sie eine Halbierung, aber auch
eine Verdoppelung der Einheit sein
könnte. Erst wenn man sie mit der Einheit
verknüpft, wird sie zur bestimmten zwei,
indem man sie als Mitte zwischen eins
und drei ansiedelt. Damit beginnt der
eigentliche Zahlbegriff erst mit der drei,
sie ist die erste «richtige» Zahl. Der Weiterschritt
von der zwei zur drei ist genau
genommen ein retrograder Prozess, eine
Rückbeziehung der zwei auf die Ureins,
wobei aber der Zweiheitsbegriff erhalten
bleibt. Hier wird nun deutlich, dass die
Ureins eine Beziehung zu allen natürlichen
Zahlen besitzt ohne Vermittlung der
Addition. Für diesen psychologischen Tatbestand
hat M.-L. von Franz die Bezeichnung
Einskontinuum vorgeschlagen. Ein
einleuchtendes Modell besteht aus einer
Kugel, deren Zentrum die Ureins ist und
auf deren Oberfläche alle Zahlen angesiedelt
sind, alle mit der gleichen Beziehung
zu ihrem Ursprung. Sieht man die Kugeloberfläche
als Bewusstseinsschwelle an,
so liegen über ihr alle qualitativen und
quantitativenEigenschaftender Zahlindividuen,
unterhalb der Bewusstseinsschwelle
sind sie alle miteinander kontaminiert
undnehmen andemunbewussten
Einskontinuum teil. Dies wäre ein mathematisches
Symbol des Unus Mundus, isomorph
zum kollektiven Unbewussten.
Wenn der Mathematiker Heinrich Rickert
von einem «homogenen Medium» spricht,
das unserer Zahlvorstellung unterliege,
mit anderenWorten, wenn wir alle Zahlen
als eine zusammenhängende Masse
sehen, so sind das nur andere Ausdrucksformen
für die Verankerung des Zählbegriffs
im Unbewussten. Selbstverständlich
sindmit einer Ausnahme alle uns bekannten
Zahlenmenengen durch das Bewusstsein
konstruiert, z. B. die ganzen Zahlen
(positive und negative und ihre Mitte–die
Null), die Brücke, die rationalen, die irrationalen
und die transzendenten Zahlen
sowie die imaginären und die komplexen
Zahlen. Die Ausnahme bilden die natürlichen
Zahlen, von denen wir eine Setzung
in der Natur annehmen müssen. Wir
haben sie nicht konstruiert, wir haben sie
nur gefunden–wo? – in uns selbst und in
der Natur.
Zahlen und Rituale in der Bauhütte
Spätestens beim Unterzeichnen eines
Briefes an einen Freimaurerbruder fällt
dem Schreiber die Redewendung i.d.u.h.Z.
(in der uns heiligen Zahl) auf. DieFreimaurerei
hat nicht nur Zahlen sondern sogar
eine heilige Zahl, heilig im Sinne von heil,
also eine ganzeZahl. Zahlen werden in der
Loge und durch die Loge in verschiedener
Weise dargestellt, als Symbol verstanden
und gedeutet.Wir kennen diesymbolische
Darstellung, durch Personen, geometrische
Formen, Gegenstände, Anzahl von
Gegenständen (Mengen), durchEnergie in
Form von Licht und Schall.
Die Eins ist das Eine und das Ganze, dargestellt
durch den Meister der Loge und
die ganze Loge. Ferner gibt es eine Arbeitstafel, einen Stein, einen Altar und
einen Hammerschlag. Die Deutung der
Loge als der einen, inneren und äusseren
Welt weist auf den Unus Mundus und die
Einheit Gottes hin. Die Zwei wird eindrücklich
durch die beiden Aufseher der
Loge symbolisiert. Zwei Gegenstände, die
beiden Säulen, gehen auf den Tempel
Salomons zurück. Das X im Reissbrett
kann als Darstellung der Zwei angenomnen
werden, aber besonderes Interesse
beansprucht der musivische Fussboden,
der mit seinen weissen und schwarzen
Elementen die Zwei durch eine Vielzahl
ausdrückt. (Die Menge der musivischen
Flächen weist nur zwei unterscheidbare
Elemente auf, deshalb enthält diese
Menge nur zwei Elemente.)
Drei – die heilige Zahl
DieDarstellung der Drei, der heiligen Zahl,
ist so mannigfaltig, dass hier bei weitem
nicht alle aufgezählt werden können. Die
drei hammerführenden Meister, die drei
grossen Lichter (Bibel, Winkelmass, Zirkel),
die drei kleinen Lichter (Weisheit,
Stärke, Schönheit), und auf der Arbeitstafel
drei Fenster, drei Zierrate (musivischer
Fussboden, flammender Stern, Vereinigungsband),
drei unbewegliche Kleinodien
(der rauhe Stein, der behauene
Stein, das Reissbrett), drei bewegliche
Kleinodien Winkelmass, Setzwaage, Senkblei),
drei Werkzeuge (Hammer, Zirkel,
Kelle). Auf manchen Arbeitstafeln finden
sich Sonne, Mond und Sterne, die als drei
Mengen gedeutet werden können, M1 =
Sonne, M2= Mond, M3= alle Sterne. Einzelne
Gegenstände zeigen die drei durch
ihre Form an, so der Winkelhaken, der
dreiarmige Leuchter, das Dreieck, dieKelle
und schliesslich gibt es drei Hammerschläge
als akkustisches Signal und die
drei symbolischen Grade. Drei ist diegöttliche
Zahl, die Trinität, das Auge Gottes.
Die sinnvolle Teilung eines Ganzen
geschieht durch die Vier. Von altersher
gibt es vier Himmelsrichtungen, in der
Loge die vier Weltgegenden. Die vier
gelangt so zur Eigenschaft der Vollkommenheit.
Die Loge ist viereckig, die
Arbeitstafel ebenfalls. Auf ihr erscheinen
die vier Gleichnisse (Sonne, Mond und die
beiden Säulen) und das viereckige Reissbrett.
Die vier Logenbeamten (1. Aufseher,
2. Aufseher, Sekretär und der Redner) bilden
ein Viereck. Fünf und Sechs werden
am eindrücklichsten geometrisch durch
das Pentagramm (Drudenfuss) und das
Hexagramm dargestellt. Auch die Logenbeamten
können eine Fünfergruppe und
eine Sechsergruppe bilden. (Meister, Redner
und Sekretär, 2. Aufseher, dazu als
sechster der Zeremonienmeister). Die sieben
Stufen auf der Arbeitstafel II weisen
auf die vielfältige symbolische Bedutung
der sieben hin (Musen, freie Künste,
Wochentage, u.v.a.m.) Der Wachhabende
ergänzt das Beamtenkollegium zur Sieben.
In der Loge kommt nur sehr versteckt
dieAchtdurchdie achtEckendes behauenen
Steins zum Ausdruck.
Dagegen ist die neun, drei mal drei, die
dreifache heilige Zahl stark vertreten. Es
gibt neun Logenbeamte (zu den genannten
noch zwei Schaffner und ein Wachhabender),
neun Hammerschläge und
noch viele Ausprägungen der drei mal
drei. Auf der Arbeitstafel finden sich vier
Gruppen zu je drei Symbolen, also zwölf
Symbole und eine Vierergruppe, zusammen
16 Symbole. Auch drei hoch vier
gleich einundachtzig, also heilige Zahl
hoch vollkommene Zahl, kommt als akkustische
Darstellung in der Freimaurerei
vor: In bestimmten Lehrarten ertönen bei
der Meisterarbeit einundachtzig Hammerschläge.
Abschliessend soll auf eine
interessante Beziehung der Freimaurerloge
zur jüdischen Kabbala hingewiesen
werden. Eine darauf anspielende Bemerkung
findet sich im deutschen Tarot Buch.
Danach stellt die Sephirot auch einBeziehungsschema
der wichtigsten symbolischen
Teile einer Loge her, vorausgesetzt
man verwendet die auf elf Elemente
erweiterte Sephirot, den Baum des
Lebens. Zahlen sind nicht nur Gebilde
mathematischer Abstraktion, sondern
auch geistige Individuen menschlichen
Denkens, aus langen Zeiträumen und vielenVölkern
stammend, mit buntschillernden
Eigenschaften und tiefer symbolischer
Aussagekraft. Sie können Marken
auf unserem Wege zu höherer Erkenntnis
sowohl der inneren als auch der äusseren
Welt sein. Zahlen sind unsere besten
Freunde.