Der Spitzhammer
Lehrlingsbauriss der Loge «Prometheus»,
Solothurn (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Juni/Juli 2010)
Der Spitzhammer am rauen Stein des
Lehrlings. Ein Sinnbild? Eine Metapher?
Oder lediglich eine Phrase am täglichen
Stammbetrieb, genannt Konferenz mit
den Brudern? Das Leben fliesst, nimmt
seinen Lauf und ist lediglich durch eine
Determinante bestimmt: es
endet bestimmt tödlich. Alles
andere ist frei in seinem Lauf.
Nach einem klar bestimmten
Start löst sich alles auf, um
schliesslich im Laufe der Zeit
wieder zu seinem Ursprung
zurück zu kehren. Panta rhei,
alles fliesst zum Ursprung. Sanft
ziehen die Wellen, treiben wir
unwiderruflich unserem Schicksal
entgegen. Sanft wie die Wellen
Ihren Lauf nehmen, so ist es
auch die Charakteristik einer
oberflächlichen Welle, dass Sie
den Untergrund nicht aufwühlt.
Wozu auch? Das Ziel ist definiert,
erreichen werden wir es,
ob wir wollen oder nicht. Lassen
wir uns treiben, geniessen die
Zeit nach Möglichkeit, konzentrieren uns
auf uns selbst und lassen den Untergrund
dort wo er sich am wohlsten fühlt:
unberührt in der Tiefe. Nur die Sache mit
der Klarheit hat so ihre Tücken: Wann
beginnt das Leben? Mit dem ersten Atemzug
nach der Geburt? Gesetzlich definiert
nach der zwölften Schwangerschaftswoche?
Mit dem ersten Herzschlag? Nach
der Vereinigung des männlichen mit dem
weiblichen Erbgut bzw. mit der direkt
anschliessenden ersten Zellteilung, der
Mitose?
Alles fliesst? Wozu auch den Untergrund
aufwühlen? Lassen wir es fliessen! Legen
wir uns zur Sommerzeit unter die
blühende Linde, lassen den Gedanken
ihren freien Lauf, erfreuen uns des saftigen
Grüns der Blätter; welk werden sie
von selbst!
Doch zurück zum Beginn unserer Zeugung.
Ist es also ein biologisch definierter
Prozess, für welchen wir uns auch immer
entscheiden mögen, der unseren Start in
die von uns definierte Realität bestimmt?
Wieso aber trifft sich gerade das Erbgut
des einen mit dem Erbgut des anderen?
Eine schicksalhafte Vorhersehung mit
bewusster Familienplanung oder die
Laune des Moments? Oder sind wir Männer
doch nichts anderes als Sklaven unserer
Hormone?
Ein nächstes Bier, ein kurzes Lied. Ach die
Zeit ist so schön und kurz. Wozu sich auch
die Zeit verderben, sie zerrinnt ja eh viel
zu schnell. Lasst die Korken knallen, grämt
euch nicht. Lasst den Hammer, wo er ist,
in der Kammer des stillen Nachdenkens.
Still und dunkel wird es noch früh genug.
Wenn schon ein Hammer, dann bitte
einen aus Plüsch. Streicheln und liebkosen
soll er. Oder auf Neudeutsch: eine schöne
Portion Wellness soll sich über mich
ergiessen, wenn ich mich schon mit mir
selbst beschäftigen soll. Zeit nur für sich
selbst und den eigenen Alterungsprozess.
Ach, man tut sich ja sonst nichts zu gute.
Etwas philosophieren, etwas schöngeistig
die Zeitgenossen um mich herum beeindrucken,
eine gepflegte Massage, etwas
im kühlen Nass sich wälzen, mit einem
Peeling die Spuren der Zeit
kaschieren und immer nur das Ich
vor Augen, das Ich, das Selbst, das
eigene Ich!!
Ist das wirklich so? Bin nur ich
wichtig? Gehört der Hammer nur
an mich angesetzt, um mich
anschliessend in stiller Selbstzufriedenheit
zurücklehnen zu können?
Ich genuge mir selbst.
Wenn ich mich verbessere, bzw.
wenn jeder sich verbessert, so verbessern
wir uns ja alle, und die
beste aller Welten, das Paradies, ist
nur eine Frage der Zeit. Oder noch
zynischer in der Aussage auf den
Punkt gebracht: Wenn jeder sich
selbst hilft, so ist doch allen geholfen.
All dies lässt vollständig ausser
Acht, wie unterschiedlich die einzelnen
Startbedingungen, Lebensumstände
und so weiter sich darstellen. Um
eine sinnvolle Tätigkeit mit dem Spitzhammer
vollführen zu können, muss ich
den Anspruch an mich selbst haben, dass
das Werk an mir selbst nur ein erster
Schritt sein kann für den Schritt von mir
selbst weg, zum Nächsten hin. Ansonsten
besteht die Gefahr, dass ich in stiller
Selbstzufriedenheit an mir selbst herum werkle
und in narzisstischer Genügsamkeit
oder Selbstüberschätzung eine
eigene Scheinwelt kreiere und den Bezug zur Realität verliere. Das „Ich“ findet seine
Bestimmung nur in der Reflexion bzw.
dem Wirken am Gegenuber mit dem Ziel
von mir heraus, dann schliesslich auch am
Anderen wirken zu können mit der freudigen
Erwartung einer besseren, einer
gerechteren Gesellschaft. Wie führe ich
nun diesen Spitzhammer? Soll ich Ihn
ständig voller Innbrunst mit äusserster
Energie führen? Ihn mit voller Kraft nach
unten auf den Stein hin führen, diesen in
seinem innersten Kern erschüttern lassen,
ihn in seine Einzelteile zu zerteilen, um
anschliessend den Stein neu zu erfinden?
Soll der Schwung leichten Herzens und
beschwingt mit sanfter Energie geführt
leicht den Stein touchieren und etwas
modellieren? Geht es darum, mit dem
spitzen Hammer den Stein zu schleifen,
ihm die Ecken und Kanten zu nehmen, um
ihn so leichter in die Mauer einzufugen,
oder geht es nicht doch vielmehr darum,
mit dem spitzen Hammer den Stein so zu
behauen, dass aus bestehenden Ecken
neue entstehen mit all Ihrer Individualität
und Einzigartigkeit? Die Mauer wird Ihre
Vervollkommnung nur finden können in
der Einzigartigkeit Ihrer Vielfalt und nicht
in der stumpfen Uniformität des stets
gleichen Steines. Das Leben ist so endlich
und begrenzt. Die Zeit schreit geradezu
danach, genutzt zu werden. Nicht unnütz
soll die Zeit zerfliessen, ihrem definitivem
Ende zu. Das Leben ist zum leben da. Im
positiven wie auch im negativem. Emotionen
gehören dazu, wiewohl auch Siege
und Niederlagen. Nicht der kanalisierte
Fluss kann unser Vorbild sein, sondern der
unbändig wilde Bergbach mit seinem
plötzlichen Anschwellen der Wassermassen,
der wilden Zerstörungswut, aus der
heraus dann wieder Neues entstehen
kann, und dem plötzlichen Versiegen der
Glut und der Verwandlung in ein
unscheinbares Bächlein im Spätsommer
des Daseins, das jedoch nur auf das nächste Gewitteroder
Schneeschmelze wartet,
um wieder seine Gestalt zu verändern.
Jedes Mal neu und in einer anderen Form
manifestiert sich die Energie des Lebens,
zum einen unbändig und unverletzlich im
Mai unseres Daseins, ruhiger und vielschichtiger
im Sonnenuntergang des
Spätsommers.
Immer aber ist Bewegung und Energie
vorhanden. Immer ist ein Hammer von
Nöten.