Thema
«Das Licht, das für sich selbst leuchtet, ist
Finsternis»
(aus China)
Wenn einem Neophyten im hellerleuchteten Tempel
beim Initiationsritual die Augenbinde weggenommen wird und
«das Licht gegeben wird», ist dies ein einzigartiges
Erlebnis, das einem das ganze Leben lang in Erinnerung
bleibt. Beim anschliessenden Brudermahl wird aber jedem neu
aufgenommenen Lehrling verziehen, wenn er seine Eindrücke
nicht in Worte fassen kann. Das nach dem Entfernen der
Augenbinde unbeschreibliche Gefühl kann man erst viel später
richtig fassen, später im Laufe der Zeit, nachdem man
mehrmals anderen Aufnahmen beigewohnt und darüber
reflektiert hat. Als Lehrling das «Licht erhalten» ist
zweifellos der dramaturgische Höhepunkt im Aufnahmeritual,
der Initiation, in den Freimaurerbund.
Hans E. Fischer – St. Johann am Rhein, Schaffhausen
I n der Freimaurerei hat das Licht eine sehr grosse, wenn
nicht gar die höchste Bedeutung. Freimaurer sind Suchende.
Sie suchen das Licht und die Wahrheit: Der Suchende wandert
symbolisch aus der Dunkelheit der Materie (Kammer des
stillen Nachdenkens) Zum Licht des Geistes (Lichterteilung).
Das Symbol des Lichtes ist eines der umfassendsten in der
Freimaurerei und geht wie ein roter Faden durch alle Rituale
und begleitet einen Freimaurer das ganze Leben. Die Symbolik
des Lichts beinhaltet sowohl Analogien des Lichts zwischen
der operativen und der spekulativen Freimaurerei, bis hin
zur Quantenphysik. Die Frage des Lichts kann man daher
philosophisch, symbolisch und auch physikalisch betrachten.
Die folgenden Gedanken behandeln das Studienthema in erster
Linie maurerisch und symbolisch.
Die Lichtsymbolik geht weit zurück
Licht gilt als eines der ältesten Symbole. Das Licht als
Symbol hat nicht nur für uns Freimaurer eine zentrale
Bedeutung. In den meisten vergangenen Kulturen spielte das
Licht eine grosse Rolle. So einerseits als Licht im
materiellen aber andererseits auch im
philosophisch-religiösen Sinn. Im Grunde genommen ist es
nicht verwunderlich, dass die Sonne als „ewiger“
Lichtspender und verantwortlich für alles Leben auf diesem
Planeten, schon seit jeher die Menschen in ihren Bann zog.
Der altbabylonische Hammurabi (2200 v. Chr.), der älteste
uns bekannte Gesetzgeber, bezeichnet sich in seinem
Gesetzeskodex als einen geistigen Verwandten des
Sonnengottes Schamasch. Auf einem alten Relief wird
dargestellt, wie er seine Anweisungen vom Lichtgott
empfängt.
Die Lichtsymbolik hängt mit der Sonnensymbolik zusammen,
wo man annahm, dass das Urlicht direkt vom Schöpfer ausgeht.
Im Gegensatz dazu gingen die Ägypter davon aus, dass der
Sonnengott Re – die Sonne selbst – die Polarität von Tag und
Nacht bringt. Die Mysterienkulte versuchten, den Gegensatz
von Tag und Nacht, von Leben und Tod zu vereinen. Sie
glaubten, den Widerspruch aufheben zu können indem der Tod
zugleich Leben ist und Finsternis zugleich Licht. Man
unterschied zwischen dem natürlichen Licht der Vernunft und
dem übernatürlichen Licht des Glaubens. Als Symbol des
Strebens zum Licht ging der Obelisk von Ägypten aus in alle
Kulturländer.
Konfuzius (551-479 v.Chr.) meinte: „Es ist besser, ein
kleines Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu
fluchen“. Buddha (463-485 v. Chr.) sagte: „Wandelt von Licht
zu Licht! Sucht Leuchte und Zuflucht nun in euch selbst!“
„Es wächst das Licht!" jubelten die Völker im Norden in
vorchristlicher Zeit bei der Wintersonnenwende an ihren
heiligen Stätten. Der biblische Gott wohnt im Reich des
ewigen Lichtes und beruft seine Propheten zur Erleuchtung
der in der Finsternis wandelnden Menschen. Das Alte und das
Neue Testament sind voll mit Bildern, in denen das Licht
Gott symbolisiert: Die Christussymbolik übernimmt den
Lichtkult. In Moses 1.1 finden wir: „Und Gott sprach: Es
werde Licht! und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht
gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und
nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus
Abend und Morgen der erste Tag.“ Ostern hat sogar den Namen
nach der Lichtsymbolik erhalten: vom griechischen aurora,
Morgenröte, über eostere hat sich das heutige Wort Ostern
herausgebildet. Revolutionär waren Martin Luthers Thesen: Er
lehrte unter anderem, dass Gott im Menschen ist und der
Mensch in Gott. Weil er in der Seele jedes Menschen wohnt,
offenbart er sich jedem. In letzter Konsequenz sind so alle
Menschen gleich, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen
Stellung. Ein Grundanliegen der Freimaurerei. Johann
Wolfgang von Goethe (1749-1832) prägte das Wort: "Sobald es
Licht wird im Menschen, ist ausser ihm Keine Nachtmehr.
Sobald es stille wird in ihm, legt sich auch der Sturm im
Weltall". Und durch den „Faust" lässt er erkennen: "Die
Nacht scheint tiefer, tief hinein zu dringen, allein im
Innern leuchtet helles Licht." Johann Gottfried von Herder
(1744-1803) brachte es auf den Punkt. Auf seinem Grabstein
lauten die drei Worte: „Licht, Liebe, Leben“. Es sind
tatsächlich die drei (!) entscheidenden Voraussetzungen und
Abhängigkeiten im Leben. Ohne Licht gibt es kein Leben und
Leben existiert nicht ohne Licht!
Die Freimaurerei orientiert sich am Licht und an der
kosmischen Ordnung. Die maurerische Lichtsymbolik bezieht
sich auf das Johannesevangelium. Bei den operativen Maurern
war die Lichtsymbolik aber eng mit der Bausymbolik
verknüpft. Denken wir doch nur an die von Licht
durchfluteten Dome und gotischen Kirchen. Es war daher seit
jeher ein Ziel, die Menschen zum Licht, zu Gott zu führen.
Man beginnt zwischen Wissen und Glauben zu unterscheiden.
Lumen naturale und lumen supranaturale werden unterschieden.
Bei uns modernen Freimaurern sind unsere Arbeitsstätten, die
Tempel (Materie) und das Licht (Geist) ausschliesslich noch
symbolisch zu verstehen.
Die Schutzpatrone sowohl der operativen Maurer, der
mittelalterlichen Dombaubruderschaften wie auch der
modernen, „blauen“ Freimaurer sind Johannes der Täufer und
Johannes der Evangelist. Johannes der Täufer lässt
verkünden: “Das wahrhaftige Licht, welches jeden Menschen
erleuchtet, sollte in die Welt kommen (Johannes 1,9). Er
lässt Jesus in Johannes 8,12 wie folgt sprechen: „Ich bin
das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht
wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens
haben.“ Und in Johannes 12,46: „Ich bin das Licht, das in
die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt,
nicht in der Finsternis bleibt.“
Die Aufklärung bringt Licht in das Dunkel
Bis vor kurzem ging man davon aus, dass die Freimaurerei
ein Kind der Aufklärung sei. Neuste Untersuchungen zeigen,
dass vielmehr das Gedankengut der Freimaurerei die
Aufklärung begünstigt hat. In der Zeit der Aufklärung,
insbesondere während der Französischen Revolution griff die
Freimaurerei von England auch auf das europäische Festland
über und verbreitete sich in der Folge rasch über die ganze
Welt. Sie trug durch ihre Wirksamkeit viel zur Humanisierung
bei. Die Freimaurer übernahmen viele humanitäre Ideen aus
dem Gedankengut der Aufklärung und wirkten anderseits
humanitär in der Gesellschaft. Die Devise "Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit" von der Französischen Revolution
ist freimaurerisches Gedankengut. Viele führende Männer des
europäischen und amerikanischen Kulturlebens gehörten zu den
Freimaurern, in der Schweiz zum Beispiel Augusto Giacometti,
Johann-Kaspar Bluntschli, der Nobelpreisträger Elie
Ducommun, Bundespräsident Jonas Furrer, in Deutschland
Friedrich der Grosse, Gotthold Ephraim Lessing, Christoph
Martin Wieland, Johann Wolfgang von Goethe und in Österreich
Franz Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart sowie viele
andere.
Wir sind geneigt, in der Aufklärung, jener umfassenden
Bewegung des 18. Jahrhunderts, eine Befreiung vom dunklen
Mittelalter zu sehen: Es war eine Verbreitung des Lichtes
der Rationalität. Die Freimaurer stützten sich auf den
deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804), einer der
bedeutendsten Vertreter der abendländischen Philosophie:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst
verschuldeten Unmündigkeit.“ Die Aufklärung hatte zum Ziel,
dem Verstand gegenüber dem Gefühl zum Recht zu verhelfen,
die Vernunft zu emanzipieren, den blinden Autoritätsglauben
zu beseitigen und alle Gebiete des Lebens nach rationalen
Kriterien zu bewerten und zu gestalten. Da wird sich kaum
jemand dagegen wehren. Man darf sich in der heutigen
Gesellschaft aber die kritische Frage stellen: „Sind gewisse
Bereiche nicht schon sehr stark ausgeleuchtet?“
Der Weg zum Licht
Der Freimaurer strebt nach mehr Licht. Ziel ist die
Auferstehung im ewigen Licht. Bei der Initiation geht der
Suchende den Weg von der Dunkelheit der Materie zum Licht
des Geistes. Diese Reise zum Licht wird durch die
freimaurerische Symbolik der verschiedenen Reisen bewusst
gemacht: Der Suchende wandert aus dem Dunkeln dem Licht zu.
Der Lehrling sieht das Licht, der Geselle geht zum Licht,
der Meister findet das Licht.
Als Freimaurer haben wir die Verpflichtung zur
regelmässigen Arbeit an der eigenen Persönlichkeit. Wir sind
uns jedoch bewusst, dass jeder Mensch trotz allen Bemühens
unvollkommen bleiben wird. Das Bemühen eines jeden
Freimaurers um Selbsterkenntnis und um mehr Humanität in
unserem Verhalten basiert vor allem auf dem Glauben an die
Existenz eines höheren Wesens, den Allmächtigen Baumeister
aller Welten. Als Freimaurer leiten wir uns auf unserem Weg
an den Kardinaltugenden wie Toleranz, Achtung aller
Mitmenschen, Forderung nach Nächstenliebe und
Barmherzigkeit, Mässigung und Gewaltverzicht. Insbesondere
gibt uns die Goldene Regel des menschlichen Miteinanders
eine konkrete Anleitung zu ethischem Handeln: „Behandle
andere so, wie du auch von ihnen behandelt werden möchtest.“
Licht im Tempel
Bei den operativen Maurern diente das Licht zur
Beleuchtung der Dombauhütten. Bei uns modernen Freimaurern
hat das Licht eine ausschliesslich symbolische und in den
Ritualen eine dramaturgische Bedeutung. Ein Symbol ist ein
Sinnbild, wie ein Schlüssel. Es kann als Bedeutungsträger
benutzt werden. Ein Symbol ermöglicht eine gemeinsame
Ausrichtung, einen unmittelbaren Zugang zu einem Begriff
ohne dass der Verstand beteiligt ist. Und so enthält unser
Lehrgebäude der Sittlichkeit die verschiedensten
Assoziationen zum Licht. Erst Licht bringt das Leben in den
Tempel und macht den Bruder zur Liebe fähig. Deshalb schauen
die Brüder Freimaurer in Demut auf das Licht. Das
Kerzenlicht im Tempel ist ein Symbol der Liebe, ohne die wir
im Leben nicht bestehen können.
Bei der Neugründung einer Loge „wird das Licht
eingebracht“ und die Loge bzw. der Tempel ist symbolisch
nach Osten – zum Licht - ausgerichtet. Der Orient, wie der
Osten auch genannt, wird ist der Sitz des A.B.a.W. und
während den Arbeiten auch der des Meisters vom Stuhl. Nach
dem Tod „geht ein Bruder in den ewigen Osten“ ein. Am
Johannistag ist der längste Tag des Jahres und der
lichtreichste. Es ist Hochmittag des Jahres, die Sonne steht
am höchsten und erfüllt die Welt rings umher mit ihrem
Licht.
In einer Instruktion findet sich eine ausdrucksstarke,
bilderreiche Passage, die den ewigen Wechsel von Tag und
Nacht auf bildliche Weise beschreibt: „Jeder Finsternis
folgt Licht. Doch nicht dort wo die Sonne versank wird sie
sich wieder erheben, sondern an der Stelle, wo die
Dunkelheit am grössten ist. Wer der scheidenden Sonne
nachschaut, muss sich wenden, will er die Aufgehende
begrüssen. Alles was lebt unterliegt dem Wechsel von Tag und
Nacht, von Werden und Vergehen.“
Die Loge ist nur vollkommen, wenn die drei grossen
Lichter, Bibel, Winkelmass und Zirkel auf dem Altar
aufliegen. Die Bibel ist dabei im Johannesevangelium
aufgeschlagen. Die Loge wird eröffnet, nachdem die drei
kleinen Lichter, Weisheit, Stärke und Schönheit angezündet
sind (Hochmittag). Die drei mal drei Lichter haben nicht
minder tiefsinnige Bedeutungen, indem sie den maurerischen
Weg nochmals hervorheben: Drei starke Schläge verschaffen
dem Suchenden den Eintritt in den Tempel. Drei Schritte
führen ihn dem Licht der Wahrheit und Erkenntnis entgegen.
Und drei Rosen begleiten ihn dereinst auf seinem Weg in den
Ewigen Osten.
Licht bedeutet Wahrheit
Was das Licht für die Augen, ist die Wahrheit für den
Geist. Ein Freimaurer sucht nach der Wahrheit. Er bemüht
sich stets, obwohl er weiss, dass es ihm nie gelingen wird,
die Wahrheit zu finden. Freimaurer behaupten nicht, die
„letzten Wahrheiten", die „letzten Geheimnisse" zu besitzen
oder sie vermitteln zu können, obwohl immer wieder Menschen
oder Gruppen das von sich behaupten. André Gide (1869-1951)
trifft mit seiner Aussage "Glaube denen, die die Wahrheit
suchen und zweifle an denen, die sie gefunden haben" das
Wahrheitsverständnis der Freimaurer ideal.
«Die Wahrheit ist das Licht, mit dem du deinen Weg
aus der Finsternis findest. Entzünde es».
Rabbi Nachman