Thema
Die ersten Freimaurer
In der freimaurerischen Literatur findet man auch den Satz: "Freimaurerei war immer." Zuerst habe ich leise am Wahrheitsgehalt dieser Aussage gezweifelt und es als eine Art Anmassung empfunden. Jedoch habe ich es nicht fertiggebracht, diese Aussage einfach ad acta zu legen. Immer wieder habe ich versucht, eine Bestätigung oder eine Negation über diese Behauptung zu finden. Mein beharrliches Nachforschen führte schliesslich zu einem Erfolg: Nicht die Freimaurerei war immer, sondern die Suche nach einer Weltanschauung, die das Leben in der Gesellschaft harmonisch gestaltet. Nicht nur das Suchen war immer, es gab auch denkende Menschen, die diese Lebensanschauung fanden, und diese sogar in einer Art Lehre weitergaben.
Alfons Wachtelaer – zum Rauhen Stein, Hamburg
Einer dieser Menschen war Kong-futse, heute Konfuzius
genannt. Folgende Aussage des Konfuzius ist nicht nur ein
Vorläufer von Kants bekanntem Spruch: "Handle so, dass die
Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten könne" sondern auch das, was
wir als Freimaurer anstreben sollen. Konfuzius sagte: "Wenn
die Alten die lichte Tugend offenbar machen wollten,
ordneten sie zuvor ihren Staat; wenn sie ihr Hauswesen
regeln wollten, vervollkommneten sie ihre eigene Person;
wenn sie ihre eigene Person vervollkommnen wollten, machten
sie zuvor ihr Herz rechtschaffen; wenn sie ihr Herz
rechtschaffen machen wollten, machten sie zuvor ihre
Gedanken wahrhaftig; wenn sie ihre Gedanken wahrhaftig
machen wollten, vervollständigten sie zuvor ihr WISSEN. Ist
die Arbeit am rauhen Stein, die Pflicht eines jeden
Freimaurers, etwas anderes als die Wahrhaftigkeit seiner
Gedanken, und die Rechtschaffenheit seines Herzens mittels
Vervollkommnung seines Wissens?
Auch die Zahl "drei" war bereits 500 Jahre vor der
Zeitwende eine wichtige Grundlage zur Verständigung im
chinesischen Raum. Es waren Trigramme, drei horizontale
Striche, die mittels linearer Änderungen ihre Bedeutung
wechselten und so Stärke, Lust, Ernergie, Gefahr,
Durchdringung, Leidenschaft etc. etc. signalisieren konnten.
Wir müssen also den Ursprung der u. h. Zahl DREI nicht
unbedingt in der christlichen Dreieinheit suchen.
Zurück zu Konfuzius. Was ist das, die Wahrhaftigkeit der
Gedanken? Woher sollen wir wissen, dass unsere Gedanken
wahrhaftig sind? Ein Gedanke kann für uns doch nur dann
wahrhaftig sein, wenn er im vollen Einklang mit unserer
inneren Überzeugung steht. Überzeugung ist ein ethischer
Wert, und ist nicht auf das Wohlwollen oder auf das
Missfallen unserer Mitmenschen angewiesen. Der innere
Einklang ist hier massgebend, aber die Rechtschaffenheit des
Herzens muss unbedingt der Keim zur Formung unserer
Überzeugung sein. Hier müssen wir den Rat der Lateiner
befolgen: "Bene judicat que bene distinguit". Nur der kann
richtig urteilen, der sehr fein unterscheiden kann ...
Konfuzius sagte nicht: "Vollkommnung sondern
Vervollkommnung. Nicht die vollendete Perfektion wird hier
verlangt, sondern die höchstmögliche geistige Bemühung. Um
diese Entwicklungsstufe zu erreichen, stellt Konfuzius uns
eine "conditio sine qua non", eine Bedingung, ohne welche
das Ziel nicht zu erreichen ist, nämlich die
Vervollständigung unseres Wissens. Er gibt dabei den Rat,
die Begriffe richtig zu deuten und richtig zu verstehen mit
einer folgerichtigen Bewertung.
Ich möchte hier einige Beispiele anführen, die allzu oft
zu Verwirrung geführt haben: Freiheit ist nicht Willkür,
Leidenschaft nicht Liebe, Glück haben heisst nicht glücklich
sein, als Freimaurer aufgenommen zu sein, bedeutet noch
lange nicht, dass man Freimaurer ist. Viele Menschen glauben
Toleranz in höchster Potenz zu üben, dabei ist ihre Haltung
und Einstellung nur eine überhebliche Gleichgültigkeit.
Toleranz erfordert mindestens eine gründliche Überlegung
über die Meinung des anderen, ja sogar die Revidierung der
eigenen Meinung, falls diese an Standfestigkeit verliert.
Wir Freimaurer, die eine humanistische Denkweise ansteben,
sollten wissen, dass das Ideal nicht der weltabgewandte,
asketische Heilige, sondern der abgeklärte, Welt und
Menschen kennende und in allem das richtige Mass haltende
Vernünftige ist. Unablässige Selbsterziehung und sittlicher
Ernst zeichnen den Edlen aus. Stellung und materielle Güter
verschmäht er nicht, aber er ist bereit, zu jeder Zeit sie
an die zweite Stelle zu setzen, wenn seine ethischen
Grundsätze es erfordern. Güte vergilt er mit Güte,
Schlechtigkeit soll er mit Gerechtigkeit begegnen. Indem er
seinen eigenen Charakter formt, hilft er zugleich anderen,
den ihren zu bilden. Äusseres und Inneres stehen bei ihm im
rechten Gleichgewicht. Sind das nicht alles Prinzipien, die
heute noch die freimaurerische Arbeit stimulieren? Sind
diese Gedanken nicht später in das islamische und
christliche Lehrgut aufgenommen worden? Über die
Dombauhütten fanden sie dann schliesslich Eingang in die
Freimaurei.
Konfuzius legte grösstes Gewicht auf Anstand und Sitte.
Er nannte diese ethischen Eigenschaften einen Schutzwall
gegen gefährliche Massenausschreitungen. Er rief aus:
"Derjenige, der glaubt, dass dieser Schutzwall nutzlos sei
und ihn zerstört, kann sicher sein, dass er unter den
Verwüstungen der dann hereinbrechenden Flut zu leiden hat".
Ist das nicht eine prophetische Warnung, die für unser Volk
und unsere Zeit nicht minder gültig ist, als für das
versunkene China des Kong-fu-tse? Wir können hiermit ruhig
feststellen, dass Konfuzius, nebst vielen anderen
Philosophen, mit ihrem Gedankengut manches zum Aufbau der
hinterher gegründeten Religionen beigetragen haben, ja sogar
die Grundsteine dazu lieferten. Leider haben die
Kirchenväter im Laufe der Zeit viel Zucker dem guten Wein
zugesetzt, um ihn schmackhafter zu machen. Der Erfolg war,
dass sie dadurch manchem Denkenden allerlei Kopfschmerzen
bereitet haben. Einer dieser Zuckerzusätze war leider der
Dogmatismus. Ein gutes Mittel zur Beseitigung von diesen
spezifischen Kopfschmerzen ist, die Befreiung von Knoten an
den Gedankensträngen. Aus diesem Grund möchte ich mit Euch
eine Weile über das Gebilde "Dogmatismus" nachdenken.
Vergleichen wir doch mal den Dogmatismus mit dem Idealismus.
Wir könnten dann folgendes feststellen: Der Dogmatiker führt
ein ruhiges Geistesleben. Er braucht nicht nach Idealen zu
streben, denn sein Lebensziel ist von vornherein
festgeschrieben. Er braucht nicht mal zu denken, denn er
will überhaupt nichts ändern. Es befriedigt ihn, gemächlich
zu leben und geführt zu werden wie ein Schaf in seiner
Herde. Durch seine geistige Unwandelbarkeit merkt er nicht,
dass er regelmässig von allen Gedankenverknüpfungen
kahlgeschoren wird. Er ist der Brave, Passive, der immer
seine Rettungsboje zur Hand hat. Er empfindet die Welt als
eine Art Hängematte. Der heutzutage leider leicht verhöhnte
Idealist dagegen ist unermüdlich geistig aktiv. Aber
vergessen wir nicht, wenn diese geistige Aktivität nicht
immer da gewesen wäre, wären wir heute wahrscheinlich noch
Neandertaler. Der gute Descartes sagte ganz kurz: "Ich
denke, also bin ich". Und Ortega y Gasset erinnert daran,
dass das Denken den Menschen nicht geschenkt wurde, sondern
nach und nach sich entwickelte und noch lange nicht das
Endstadium erreicht hat. Im Gegenteil, die Gefahr besteht,
dass uns das Denken noch abhanden kommen könnte.
Wir können aus dem Vorhergehenden schliessen, dass die
freimaurische Arbeit aus der Philosophie wertvolles
Gedankengut gewinnen kann, ja sogar die Untermauerung durch
die Philosophie braucht. Es ist abwegig zu behaupten, dass
man Philosoph sein muss, um aus der Philosophie Nutzen zu
ziehen. Man muss kein Fisch sein, um zu schwimmen, aber
genau so wie der Walfisch ab und zu Luft holen muss, so
sollten wir beim Lesen auch ab und zu eigene Überlegungen
wirken lassen, um Spreu vom Weizen trennen zu können.
Ballaststoffe müssen abgeschüttelt werden; sie bestehen
sowieso meistens aus Illusionen und schönen
Lippenbekenntnissen. Im Leben brauchen wir Illusionen, aber
wir sollten doch wissen, dass es Illusionen sind. Illusionen
sollten zeitig als solche erkannt werden, damit sie unsere
Vorstellungen nicht verfälschen oder wie eine Fatamorgana
unseren geistigen Horizont vernebeln.
Meine lieben Brüder, ich möchte zum Schluss einen
Riesensprung machen, einen Sprung über 2500 Jahren, und zwar
von dem Philosophen Konfuzius hin zum Philosophen und
Freimaurer Fichte. Seine Stimme fehlt im Konzert der Macher
der Globalisierung. Vaterland war seine Tat, und
Weltbürgersinn sein Gedanke. Fichte hat nach Lessing der
deutschen Freimaurerei einen geistigen Inhalt gegeben. Es
tut in unserer Zeit besonders not, auf Fichtes Gedankengänge
zu verweisen, weil hier zum ersten Male der Gedanke
freimaurerischen Internationalismus seine für alle Zeiten
gültige Fassung erhalten hat. Während Goethe als Weltbürger
in seinen Mannes- und Greisenjahren ausserhalb seines Volkes
lebt, steht Fichte, der Redner an die deutsche Nation, in
glühender Liebe zu seinem Volk, ohne auf den evolutionären
Menschlichkeitsgedanken und Menschheitssinn zu verzichten.
Vaterlandsliebe sowie Achtung und Wertschätzung anderer
Völker schliessen sich keineswegs aus. Bertrand Russell
sagte am Ende seines Lebens: "Als Lebensideal genügt ein von
Liebe geleitetes und mit Wissen geführtes Leben".