Thema
Was wäre wenn es die Freimaurerei nicht gäbe?
Da wird uns eine Frage gestellt – eine von hunderten, die täglich an uns gestellt werden. Jedenfalls ist sie keine Frage, die sich so leicht aufs Nebengeleise schieben liesse. Dort würde sie uns noch mehr beunruhigen: „Was wäre wenn...“ Wir sind angesprochen: die Loge als Gemeinschaft und jeder einzelne Bruder!
Humanitas in Libertate, St. Gallen Louis Ribaux, Adrian Bayard
Vorüberlegungen
Eine Frage ist schnell gestellt; Antworten dauern meist
länger. Fragen ist ein Grundverhalten des Menschen. Wenn es
heisst: „Im Anfang war das Wort“, ist es denkbar, dass das
erste Wort eine Frage war? Wer fragte? An wen war diese
erste Frage gerichtet? Laut der Schöpfungsgeschichte fragte
der Schöpfer selbst Wo bist du, Adam? Es ist die Urfrage an
den Menschen, und sie wird uns allen irgendwann und
wiederholt gestellt: “In jeder Zeit ruft Gott jeden Menschen
an: Wo bist du in deiner Welt? So viele Jahre und Tage von
den dir zugemessenen sind vergangen, wie weit bist du
derweilen in deiner Welt gekommen? (Martin Buber: Der Weg
des Menschen...)
Dies, werdet ihr einwenden, mag für die ganz grossen, die
existentiellen Fragen gültig sein, kaum aber für kleine
Fragen des Alltags! – Ich antworte (mit einer Frage!):
Geschieht auch das Grosse nicht auch im Kleinen, im JETZT?
Und ich vermute: Jede noch so einfache profane Frage bezieht
ein Fünkchen Kraft von den grossen Lebens-Fragen. Sie kann
übrigens „harmlos“ daherkommen, ist es aber nicht unbedingt.
Wer fragt, hat die Macht - auf jeder Ebene des Lebens (der
irdischen, der gott-mensch-dialogischen, und der
göttlichen).
Was kann eine Frage auslösen?
Eine Frage kann vielerlei bewirken: Hier einige wenige
Beispiele.
- sie kann nachfragen – oft hartnäckig! So
beispielsweise eine Volksbefragung. Diese Art der
Nachfrage mag sich als „neutral“ geben, kann aber
trotzdem auch politisch wirken. So kann eine Frage, wenn
sie perfid und hartnäckig genug gestellt ist, den
(ungeschriebenen, also auf dem Vertrauen eines Volkes
basierenden) Gesellschaftsvertrag angreifen, seine
Autorität untergraben. Die Frage kann also subversiv
sein – dies oft auf unmerkliche Weise.
- durch Fragen soll ein unvollständiges Wissen ergänzt
werden
- Fragen wollen Erinnerungen wecken
- Fragen wollen den/die Befragten zu einer
Meinungsäusserung (und ev. Zu einer Verhaltensänderung)
verlocken, sogar zwingen.
- Fragen sollen oder wollen den Befragten
verunsichern, ihn aus seiner Selbstverständlichkeit „herausschupsen“,
ihm den Schlaf des Gerechten rauben, zumindest stören.
- Fragen, auf die der Befragte keine Antwort findet,
sind unangenehm, werden als unhöflich, beleidigend, als
ungerecht eingestuft.
- Fragen wollen Erinnerungen zurückbringen.
- Unentbehrlich sind sie im Dialog zwischen Menschen.
Da gehen Frage und Antwort hin und her. Dialog –
Diskurs? Oder Disputation? – Das Dialogische Prinzip
(Martin Buber)
- Frage und Antwort sind Geschwister (die sich bald
verstehen, bald zanken)
- Daraus kann geschlossen werden: Fragen haben auch
einen erzieherisch/ethischen Anspruch. Sie können den
Befragten zu Einsichten hinlenken (die er meint, selbst
gefunden zu haben), den Befragten sogar zu einem „guten
Menschen“ machen (was ist ein guter Mensch in fm-Verständnis?)
- Fragen wollen - auch ganz profan - prüfen: Wissen,
Fähigkeiten. Fähigkeitsausweis
- Fragen wollen schliesslich die geistige Haltung des
Befragten überprüfen
Was wäre, wenn es die FM nicht gäbe?
Zunächst müsste man sich überlegen: Wer stellt die Frage?
Die Grossloge, vertreten durch die Redaktion der Zeischrift
Alpina“. Studienthemen bezwecken, die einzelnen Logen als
Lebensgemeinschaften zu vertieftem Nachdenken über ein Thema
aufzufordern, allenfalls an herrschenden „Meinungen“ und
Selbstverständlichkeiten zu rütteln!
Ferner sollen die Ergebnisse und die Diskussionen
innerhalb der einzelnen Loge mittels einer Publikation einem
grösseren Bruderkreis zugänglich gemacht werden.
(Zeitschrift ALPINA).
Die Frage „Was wäre, wenn NICHT wäre“ kann eigentlich
nicht beantwortet werden. Man kann nicht etwas
„beschreiben“, das NICHT ist, vor allem den Gedanken nicht
verbieten, den gegenwärtigen Zustand der Welt zu bedenken;
Denkverbote wirken nur bedingt: man erinnere sich an den
„weissen Elefanten“, an den zu denken uns verboten ist...).
Hinter der Frage: „Was wäre, wenn...“ sind zwei
verschiedene Annahmen zu vermuten:
- Es hat das hier zur Diskussion gestellte „Was wäre,
wenn..“ überhaupt nie gegeben! Man müsste also den zur
Diskussion gestellten Fakt erst noch erfinden.
- Die Institution, der wir hier nachforschen, hat es
tatsächlich schon einmal gegeben.
Beide Annahmen fordern unsere Vorstellungskraft und
Phantasie. Praktisch wählen wir Annahme 2: So können wir
unsere eigenen Kenntnisse und Erfahrungen miteinbeziehen.
Mit andern Worten: Wir tun als ob die FM erloschen sei, uns
aber an einzelne Elemente noch erinnern. Diese einzelnen
Bausteine gilt es zu sammeln. Der Auftrag lautet: Woher wir
kommen, und wohin wir wollen.
Dies führt uns zu einem ersten Fragenkomplex: die
Gründungsfundamente.
FM konnte sich dank einer speziellen
geschichtlich/kulturellen Konstellation entwickeln: Das
Zeitalter der Aufklärung (18. Jahrhundert). Die
Reformbewegung erstrebte: „Wahrheit durch Klarheit“, vor
allem des Verstandes. Klare Begriffe, gegen Verworrenheit
des Denkens. Gegen Vorurteile, Fanatismus, Schwärmerei und
Aberglauben sowie der Kampf gegen irrationale Meinungen.
Kant: „Aufklärung ist Ausgang des Menschen aus
selbstverschuldeter Unmündigkeit“. Selbstdenken (dürfen) ist
die Maxime der Aufklärung; es geht aber auch um die
Selbstbestimmung des Handelns. Die Ursachen der Aufklärung
lagen unter anderem in einer Veränderung des
gesellschaftlichen Verhaltens der Menschen (der Bürger), die
in eine Volksbildung mündete, wo neue Eliten gegen alte
(Adel) gegenübertraten sowie einer Veränderung des
religiösen Verhaltens.
Dies führte zu einem wachsenden Selbstbewusstsein im Gefolge
von Fortschritten (Technik, Naturwissenschaften, Medizin
etc.)
Weitreichende Auswirkungen
In der Folge änderte sich auch die Einstellung zur Arbeit
sowie der Charakter der Arbeit und der Arbeitsweisen.
Wachsende Mobilität und Auswanderung schlossen sich an. Die
Auflösung der engen Klassengesellschaft förderte und
veränderte auch das Verständnis von Freundschaft. Es folgte
das gesellige Jahrhundert. Auch im Bereich von Liebe und
Sexualität vollzogen sich im Zuge der skizzierten
Umwälzungen fundamentale Veränderungen.
Das Spezielle der FM - Einbezug der Symbolik
Im MIttelpunkt der maurerischen Erziehung steht die
Balance von Gemüt (Herz) und kühler Vernunft
(Fliessendgleichgewicht). Diese zu erreichen bezweckt die
Initiation sowie die Erlebenskraft der Rituale und die
Bruderschaft selbst: durch die Kombination von
Verbindlichkeit und Geselligkeit
Die Loge selbst trachtet nach politischer Neutralität und
Bildung: also Selbst- und Weiterbildung. Instrumente dazu
sind umfassende Fachbibliotheken (Stiftung Bibliothca
Masonica) sowie Teilhabe am kulturellen Leben (besonders
Musik) Jede Bauhütte soll an eine Grossloge gebunden sein
(Regularität), diese wiederum an die Grossloge von England.
Ferner trachtet die Loge ebenso nach der Unterstützung von
Mitmenschen.
Zusammenfassend könnte man die Frage stellen: Wenn die
Freimaurerei ein Baum wäre, welches wären ihre wichtigsten
Äste?
- die Bruderschaft / Freundschaft?
- die Initiation?
- die geistigen Grundlagen?
- die Rituale?
- die Schönheit?
1. Fragenkreis
- Was braucht es, damit eine Freimaurerloge entstehen
(und übeleben) kann? Welches sind die
gesellschaftlichen, sozialen, geschichtlichen, geistigen
Voraussetzungen?
- Diesbezügliche Gegebenheiten (und ev. Gefahren) der
Gegenwart?
- Was wäre, wenn es uns nicht (nicht mehr) gäbe?
2. Fragenkreis
- Welches sind die spezifischen freimaurerischen
Elemente, welche eine Loge haben sollte, wenn sie
überleben will? Es geht also um die geistigen Bausteine
einer Freimaurerloge
- Wie steht es damit heute in meiner eigenen Bauhütte?
- Was wäre, wenn es uns nicht (nicht mehr) gäbe?
3. Fragenkreis
- Was könnten wir tun, wenn es gilt, eine FM-Loge zu
gründen? (d.h. sichvorstellen, es gäbe überhaupt keine
FM, oder die FM sei am Erlöschen)
- Vergleich der Ideal-Ansprüche, welche die heutige
Diskussion herausgearbeitet hat, mit der tatsächlichen
Situation der FM bzw. unserer Loge.
- Haben wir konkrete Vorschläge? Gibt es Anträge an
die Grossloge Alpina?
Im Zuge dieser vielfältigen Fragen kann eines sicherlich
festgehalten werden: Auch wenn es die Freimaurerei explizit
nicht (resp. nicht mehr) gäbe – Gleichgesinnte würden sich
immer wieder auf irgend eine (andere) Weise finden. Sie
würde vielleicht nicht Freimaurerei heissen, sondern einen
anderen Namen tragen, aber der Geist der Aufklärung wird
immerfort Bestand haben – in welcher Form auch immer.
An zweiter Stelle könnte man die Frage umformulieren und
sich überlegen, was wäre, wenn es die Grossloge Alpina nicht
(mehr) gäbe. Dazu ist zu sagen, dass jede einzelne Loge per
se autonom und vollkommen ist. Das maurerische Leben spielt
sich innerhalb der Bauhütte ab – und zwischen den einzelnen
Logen. Eine direkte zwingende Notwendigkeit ist nicht
gegeben. Sie ist eher formeller Natur (Regularität) sowie
organisatorischer (Koordinations- und Kontrollfunktion).
Gäbe es die Grossloge nicht, so würde der
Koordinationsaufwand zwischen den Logen steigen und auch die
Gefahr von Wildwuchs in den Logen könnte zunehmen. Doch im
Kern des maurerischen Lebens und dem Arbeiten am eigenen
rauhen Stein ändert dies nichts.
Bleibt zu guter Letzt die Frage: Wie stünde ich als
einzelner Freimaurer da, wenn es die Freimaurer plötzlich
nicht mehr gäbe? Was könnte ich unternehmen? Wie würde ich
meinesgleichen finden? Antwort: Durch meine Worte und meine
eigenen Taten.