Dossier
Albanien: Eine Pionierleistung
Ein ambitioniertes Ziel: die Freimaurerei in Albanien wieder aufzubauen. Seit mehr als 250 Jahren gibt es sie in diesem Land. Doch der Zeitraum ist durch lange dunkle Abschnitte geprägt. Fremde Herrschaft und Kommunismus haben viel zerstört. Als 2011 die Lichter der Grossloge eingebracht werden, beginnt eine neue Ära. Seither haben die Gründer schon viel erreicht. Da sind drei Logen, da ist die Vernetzung mit den Grosslogen anderer Länder, da ist viel persönliches Engagement.
Thomas Müller
Thomas Müller: Sehr ehrwürdiger
Grossmeister, lieber Bruder Elton, wir Schweizer wissen im
allgemeinen nicht sehr viel über Albanien. Deshalb vorweg
meine Frage: Wie müssen wir uns euer Land in politischer,
wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht vorstellen?
Elton Gaçi: Das
heutige Albanien kann seine Geschichte nicht verleugnen. Es
war lange unfrei. Das änderte sich einzig 1912 und in den
Jahren 1921–1939. Von 1944 bis 1990 wurden wir – wenn auch
in einer eher ungewöhnlichen Art – kommunistisch regiert,
und seit 1990 sind wir wieder frei. Leider sind wir noch
immer ein armes Land. Wir kommen nicht so recht vom Fleck.
In sozialer Hinsicht gibt es eine hauchdünne Schicht sehr
reicher Leute, und dem Rest der Bevölkerung geht es in etwa
gleich.
T. M.: Seit wann gibt es die
Freimaurerei in Albanien?
E. G.: Die
Informationen über die Freimaurerei in Albanien gehen leider
nicht bis ins Detail. Das liegt daran, dass die
entsprechenden Quellen u. a. während der dunklen Zeit des
kommunistischen Regimes vernichtet worden sind. Allerdings
haben wir Anhaltspunkte, die uns stolz machen: In Albanien
gibt es seit mehr als 250 Jahren Berührungspunkte zur
Freimaurerei.
T. M.: Gibt es dazu historische
Meilensteine?
E. G.: Ja, die gibt es
durchaus. Ein slawischer Autor erwähnt eine Loge in
der albanischen Stadt Voskopaja. In den Glanzzeiten dieser
Ortschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts befand sich dort
die erste Druckerpresse im Balkan. Hinzu kamen Schulen und
zahlreiche Kirchen. Voskopaja wurde ein führendes
kulturelles Zentrum. In den Jahren 1769 und 1788 wurde die
Stadt von den Ottomanen zerstört. Leider haben wir keine
weiteren Zeugnisse aus der schwierigen Zeit der
ottomanischen Herrschaft. Aber es lebten in dieser Periode
einige sehr bedeutende Intellektuelle. Da gibt es des
weiteren Vaso Pasha aus dem 19. Jahrhundert. Als Politiker
setzte er sich vehement für die albanische Sache ein. Von
1883 bis zu seinem Tod 1892 war er Gouverneur des Libanon.
Sein bekanntestes dichterisches Werk ist das Poem «O moj
Shqypni» , in dem er seine Landsleute zur Einigkeit und zur
Vaterlandsliebe aufruft. Dieses Gedicht ist heute
Bestandteil im Sprachunterricht an den albanischen Schulen.
Vaso Pasha war Freimaurer.
Es gibt aus der Übergangszeit vom 19.
ins 20. Jahrhundert noch weitere Persönlichkeiten aus dem
Kreis von Freimaurern. Und wir wissen, dass es in Albanien
zwischen 1920 und 1940 Brüder gegeben hat. Es sind Namen
bekannt und einige biographische Anhaltspunkte. Aber die
Existenz von regulären Logen kann nur indirekt und auf der
Grundlage von Hypothesen nachgewiesen werden.
T. M.: Die albanische Grossloge
ist 2011 gegründet worden. Wie ging das vor sich?
E. G.: Ja, das war am
14. Oktober 2011. Die italienische Grossloge, die «Grande
Oriente d’Italia», brachte das Licht ein. Dazu kamen zwei
Einladungen mit grossem symbolischem Wert: Die Grosslogen
Serbiens und Griechenlands waren ebenfalls bei der
Lichteinbringung dabei. Das sind zwei Länder, die in
Albanien einer langen Tradition folgend als Feinde
betrachtet werden.
T. M.: Wie viele Logen und
Brüder gibt es heute in Albanien?
E. G.: Die Grossloge
von Albanien hat drei Logen. Die Nummer 1 ist die «Arbëria»
– so hiess der erste mittelalterliche Staat in Albanien. Als
Nummer zwei haben wir die „Skënderbeu“, benannt nach dem
Fürst aus dem 15. Jahrhundert, der Albanien gegen die
Osmanen verteidigt hatte und heute von vielen als
Nationalheld gefeiert wird. Die dritte Loge trägt den Namen
«Alte Pflichten». Wir haben insgesamt 61 Brüder. In den
vergangenen drei Jahren haben wir alles unternommen, um zu
wachsen. Das ist aber insofern schwierig, als wir alles von
Null an aufbauen müssen: ein Freimaurerhaus, Tempel,
Rituale, Regeln, Dokumente usw.
T. M.: Müsst ihr gedeckt
arbeiten, oder seid ihr in eurem Land akzeptiert? Kann die
Mitgliedschaft in einer Loge zu Problemen führen, z. B. in
der Politik oder bei einer beruflichen Tätigkeit beim Staat?
E. G.: Selbstredend
finden unsere Tempelarbeiten im gedeckten Rahmen statt. Doch
die Freimaurerei als solche muss in Albanien nicht im
Verborgenen praktiziert werden. Im allgemeinen herrscht eine
recht positive Auffassung, was die Freimaurerei anbelangt.
Wir haben keine Image-Probleme. Aber es besteht das Risiko,
unter politischen Druck zu geraten. Aus diesem Grund sind
wir sehr vorsichtig, wenn es um Kandidaten aus der Politik
geht. Ein Freimaurer muss ein freier Mann sein, und
Politiker sind das in der Regel nicht.
Zur Regierung stehen wir im übrigen in
einem neutralen Verhältnis; es gibt keine formellen
Beziehungen zwischen ihr und den Freimaurern. Wir sind dafür
bekannt, dass wir in politischer Hinsicht keine Probleme
bereiten. Im Gegenteil: Wir sind und bleiben gute Bürger,
die sich im Dienst der Allgemeinheit verstehen. In breiteren
Kreisen praktiziert könnte die Freimaurerei dem sozialen und
öffentlichen Leben höhere moralische Massstäbe vermitteln
und zu mehr persönlichem Engagement für die Allgemeinheit
führen. Das ist meine feste Überzeugung.
T. M.: Und wie steht es mit der
Religion?
E. G.: In Albanien
gibt es eine Kultur der religiösen Toleranz. Mit dieser
Mentalität hängt zusammen, dass die entsprechenden
Institutionen nicht über den Kopf des Volks hinweg handeln.
Das sind für uns hervorragende Verhältnisse. Wir sehen uns
da keineswegs eingeengt.
T. M.: Wie siehst du die
Zukunft der Freimaurerei in Albanien?
E. G.: Wir stehen vor
der Aufgabe, noch mehr Albanern das Licht der Freimaurerei
zu vermitteln. Albanien ist bereit dafür – und kann es auch
brauchen. Unser Land leidet an Korruption, ineffizienter
öffentlicher Verwaltung und anderen Problemen. Vor diesem
Hintergrund können wir mehr moralische Werte vermitteln,
mehr Verantwortungsbewusstsein, z. B. im staatlichen
Gesundheitswesen, mehr Nachhaltigkeit im Aufbau unserer
Institutionen und anderes. Allerdings gehen wir den weiteren
Ausbau unserer Logen gemächlich an. Wir achten weit mehr auf
die Qualität als auf die Quantität. Kandidaten wählen wir,
wie gesagt, äusserst sorgfältig aus. Wer uns in diesem
Vorgehen bestärkt, sind jüngere Intellektuelle, die an
unseren Pforten anklopfen.
Was wir auch anstreben, ist eine vierte
Loge. Diese soll sich nicht wie die bisherigen drei in
Tirana befinden, sondern ausserhalb. In Albanien gibt es
eine ganze Zahl alter Städte mit reicher kultureller
Vergangenheit. In einer dieser Städte könnte ich mir eine
weitere Loge gut vorstellen. Diese Herausforderungen machen
uns stark.