Dossier
Zwischen Ausschluss und Akzeptanz
Der Schweizer Theologe Hans Küng zählt zu den engagiertesten Kritikern der katholischen Kirche. Er exponiert sich, indem er Dogma gewordene Strukturen und Denkweisen hinterfragt. In seiner Dankesrede für den Kulturpreis der deutschen Freimaurer zeichnete er 2007 nach, wie sich die Kirche zur Freimaurerei gestellt hat und stellt – eine aufschlussreiche Perspektive.
Thomas Müller
Seit 1966 verleiht die Grossloge der Alten Freien und
Angenommenen Maurer von Deutschland den Kulturpreis der
deutschen Freimaurer. Er ist eine Auszeichnung für Personen
oder Kreise, die sich um die humanitären Werte besonders
verdient gemacht haben. Nach Johannes Mario Simmel, Yehudi
Menuhin, Lew Kopelew u. a. hat Hans Küng 2007 den Preis
erhalten, zusammen mit dem Lessing-Ring, der herausragende
Persönlichkeiten „in die Kette derer einbindet, denen
Menschlichkeit und Duldsamkeit, Freiheit und Brüderlichkeit
als Grundsätze ihres Strebens und Handelns gelten“. Hier
Auszüge aus seiner Kölner Dankesrede.
T. M. Küng war nie Jesuit, wird aber des öftern
als solcher bezeichnet. Das hat für ihn im Zusammenhang mit
der Freimaurerei insofern eine Bewandtnis, als Jesuiten wie
Freimaurer mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen haben.
Küng: Es hatten «auch Sie als Freimaurer unter
Verschwörungstheorien, Diffamierungskampagnen und direkten
Angriffen zu leiden. Und Sie haben noch so viel dementieren
können, dass Sie keine Religion und keine Antikirche sein
wollen: In bestimmten Kreisen wird man die alten Vorurteile
und Legenden wiederholen. Authentische
Freimaurer-Veröffentlichungen sind da oft so wenig gefragt
wie die authentischen Evangelien, wenn es um Jesus von
Nazareth und die Ursprünge des Christentums geht; auch da
orientieren sich manche Zeitgenossen lieber an
Phantastereien, wie sie jüngst noch der Roman ‚Der Da Vinci
Code’ populistisch verbreitet hat.»
Es besteht eine lange Konfliktgeschichte zwischen
dem Freimaurertum und besonders der römisch-katholischen
Kirche. Zwei historische Gegebenheiten spielen dabei eine
zentrale Rolle.
«(…) erstens: Das moderne Freimaurertum hat, bei allen
Symbolen und Riten aus den mittelalterlichen Bauhütten,
seinen eigentlichen Ursprung in der Aufklärung des 18. Jh.
und ist den aufklärerischen Idealen der Humanität und
Toleranz verpflichtet. (…) zweitens: Gerade die
römisch-katholische Kirche – wiewohl viele frühmoderne
Naturwissenschaftler, Philosophen und auch Aufklärer
keineswegs unchristlich waren – steht vom 17. Jh. an in
einer systematischen Opposition zur Aufklärung: zur modernen
Philosophie im Fall Giordano Bruno (1600 verbrannt) und René
Descartes; zur modernen Naturwissenschaft im Fall Galilei
(1633 verurteilt) und später Darwin; zur modernen Staats-
und Gesellschaftstheorie mit den Folgen, die zur
Französischen Revolution (1789) führten.»
Es wurden Texte von Kant, Rousseau, Voltaire und
andern Aufklärern auf den Index der verbotenen Bücher
gesetzt. Bis ins 20. Jahrhundert zeichnet sich diese
Position ab.
«Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass
bereits 21 Jahre nach der Gründung der englischen Grossloge,
im Jahre 1738, Papst Klemens XII. in der Bulle ‚In eminenti’
die Freimaurerei verurteilte, was durch mehrere päpstliche
Verurteilungen durch die nächsten 200 Jahre bestätigt wird.
Die moderne Welt war nun einmal weitgehend ohne und gegen
die Kirche Roms entstanden. Und die Freimaurer stehen
selbstverständlich überall auf der Seite der Moderne. (…)
Der dramatische Konflikt erreicht seinen politischen
Höhepunkt in der Französischen Revolution, deren Parole
‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’ samt der
Menschenrechtserklärung von 1789 von Rom von Anfang an
radikal verworfen wird. In der Zeit der Restauration meint
man, das mittelalterlich-gegenreformatorische Lehr- und
Machtgefüge wieder herstellen zu können. Der 1864 von Pius
IX. veröffentlichte ‚Syllabus der modernen Irrtümer’ wird
allenthalben als eine generelle Kampfansage an die Moderne
angesehen. Mit Pantheismus und Rationalismus, Liberalismus
und Sozialismus werden als Feinde auch die Geheimbünde
genannt (…). Da war natürlich in erster Linie das
Freimaurertum gemeint, das kein Geheimbund ist, aber
freilich auf Verschwiegenheit Wert legt. Und das war nun im
19. Jh. besonders in Frankreich und Italien (…) radikal
antiklerikal. Der nach einer systematischen Kampagne 1917
veröffentlichte Codex Iuris Canonici, das Gesetzbuch der
katholischen Kirche, belegt denn auch die Mitgliedschaft in
einer freimaurerischen Vereinigung mit der Strafe der
Exkommunikation.»
In den 1960er Jahren stellt sich eine gewisse
Öffnung der katholischen Kirche ein. Sie hat
«unter dem Impuls von Papst Johannes XXIII. und dem
Zweiten Vatikanischen Konzil (…) die beiden
Paradigmenwechsel, den der Reformation und den der
Aufklärung, weithin nachgeholt – wenn auch nicht konsequent,
vielmehr mit zahlreichen Halbheiten und faulen Kompromissen.
Doch immerhin bekennt sich nun auch die katholische Kirche
gegen alle früheren päpstlichen Lehräusserungen in aller
Form zu Religionsfreiheit und Toleranz, zu den
Menschenrechten, zur Ökumene der christlichen Kirchen, zu
einer neuen Einstellung zum Judentum, zum Islam und den
anderen Weltreligionen, ja zur säkularen Welt überhaupt.
Kein Wunder, dass diese positive Entwicklung auch die
Einstellung zum Freimaurertum verändert hat. Zwar wurde den
Konzilsvätern schon in der Ersten Konzilssession mehr als
eine Hetzschrift über die sogenannte
‚jüdisch-freimaurerische Verschwörung’ in Haus geschickt.
Doch konnte dies alles die Verabschiedung der Dekrete über
die Religionsfreiheit und über die Juden nicht verhindern.
Ja, es gab sogar eine Konzilsintervention zugunsten des
Freimaurertums (…). Sie fand zwar keinen Niederschlag in den
Konzilsdokumenten, doch wurde faktisch das Tor geöffnet für
erste offizielle Gespräche zwischen dem Freimaurerbund und
dem römischen ‚Sekretariat für die Nichtglaubenden’. Die
Ergebnisse sind in der ‚Lichtenauer Erklärung’ vom 5. Juli
1970 festgehalten. Manche Missverständnisse werden
ausgeräumt, und es wird klargestellt: Der Bund der
Freimaurer sei keine neue Religion und keine Antikirche,
vielmehr eine dogmenfreie ethische Gemeinschaft, der
Glaubensund Gewissensfreiheit verpflichtet; die päpstlichen
Bullen gegen die Freimaurer hätten nur historische
Bedeutung, ebenso die Verurteilungen durch das
Kirchenrecht.»
Leider schwenkt die Kirche wenig später wieder in
die alte Haltung ein. Dies fällt in einen Zeitpunkt, zu dem
auch Küng gemassregelt wird: Es wird ihm die Lehrbefugnis
abgesprochen.
«Zehn Jahre später aber meint die Deutsche
Bischofskonferenz so etwas wie eine
‚Unvereinbarkeitserklärung’ abgeben zu müssen: wegen
Relativismus und Subjektivismus im Religionsverständnis der
Freimaurer, deistischem Gottesbild, Ritualen mit
sakramentsähnlichem Charakter. Doch beachten Sie, meine
Herren Freimaurer, das Datum: der 12. Mai 1980. Das war
ziemlich genau einen Monat nach dem Abschluss der
viermonatigen Auseinandersetzungen um die Lehrbefugnis des
von Ihnen Ausgezeichneten an der Universität Tübingen, die
zwischen der Woche vor Weihnachten 1979 und der Osterwoche
1980 zweifellos ein ungünstiges Klima schufen für die zur
selben Zeit tagende Dialoggruppe der Bischofskonferenz und
der Vereinigten Grosslogen von Deutschland (…). Diese wiesen
denn auch zurecht die Behauptung, die Zugehörigkeit zum
Freimaurerbund ‚stelle die Grundlagen der christlichen
Existenz in Frage’, als ,Anmassung’ zurück.»
Allerdings kommt es kurz darauf nochmals zu einem
Kurswechsel, diesmal zugunsten der Freimaurerei.
«Die 1983 veröffentlichte nachkonziliare Neufassung des
Codex Iuris Canonici erwähnt die Freimaurerei nicht mehr.
Damit ist auch die 1917 angedrohte Exkommunikation
aufgehoben. Ein moralisch begründetes Verbot einer
Mitgliedschaft im Freimaurerbund freilich bleibt bestehen
(…). Aber, so hatte der Jesuit Richard Sebott schon 1981
geschrieben: ‚Es könnte durchaus sein, dass der Katholik,
der in eine Freimaurerloge eintritt, bona fide handelt, also
der Meinung ist, mit seinem Eintritt in die Loge nichts
Böses zu tun.’»
Interessant ist, dass trotz aller Animositäten
die katholische Kirche mit einer gleichen Gegebenheit zu
kämpfen hat wie die Freimaurerei: der zunehmenden
Modernisierung. In der Kirche wie in den Logen begegnet
«die Diskussion, ob den hohen Idealen die real
existierende Gemeinschaft genügend entspricht; ob man mehr
den mystischen oder mehr den aufklärerischen Aspekt der
eigenen Gemeinschaft betonen soll; ob man in den Riten mehr
das Geheimnis oder die Öffentlichkeit pflegen soll; ob man
mehr die gleiche Würde der Mitglieder oder mehr die
Hierarchie betonen soll.»
In diesem Zusammenhang geht es auch um die
Geschlechterfrage. Kirche wie Freimaurerei haben hier lange
Traditionen, die mit den Wertvorstellungen der Gegenwart in
Konflikt stehen können. Es handelt sich um
«(…) die Rolle der Frauen, die nicht nur in der Kirche,
sondern auch im Freimaurertum ein Problem ist. Doch ob eine
als Männerbund gegründete Gemeinschaft Frauen aufnehmen soll
oder ein Frauenklub Männer, darüber lässt sich füglich
und trefflich diskutieren. (…) In einem Punkt hat das
Freimaurertum freilich notorisch weniger Schwierigkeiten:
die Zölibatsfrage stellt sich nicht; auch die hohen Grade
dürfen verheiratet sein.»
Die zentrale Frage, ob jemand gleichzeitig Christ
und Freimaurer sein kann, ist in Küngs Augen klar mit einem
„Ja“ zu beantworten.
«Mit vielen anderen in allen christlichen Kirchen teile
ich die Überzeugung, dass ein Christ Freimaurer sein kann
und ein Freimaurer Christ. Besonders in den USA, in Italien
und Österreich ist die (gleichzeitige) Zugehörigkeit zu
Kirche und Freimaurertum alltägliche Praxis. Hier und da
gehören auch herausragende Vertreter der
römisch-katholischen Kirche dem Bund an. Und gerade dass der
Freimaurerbund als solcher dogmenfrei sein will, ermöglicht
die Mitgliedschaft ja sowohl Angehörigen eines religiösen
Glaubens als auch Vertretern anderer Weltanschauungen,
solange sie tolerant und den Idealen der Menschlichkeit
verpflichtet sind.»
Für Küng gibt es ein Ethos, das alle Religionen
und weltanschaulichen Richtungen übergreift:
«Wir (von der Stiftung Weltethos) sind ein kleines, aber
hochmotiviertes und hocheffizientes Team, das in
verschiedener Weise doch, mit der Unterstützung vieler, zu
so etwas wie einem kleinen ‚global player’ geworden ist. Vor
allem aber macht der Preis deutlich, dass die elementaren
Standards eines gemeinsamen Menschheitsethos, eines globalen
Ethos, eines Weltethos, nicht nur von den Religionen,
sondern auch von Nichtglaubenden und Angehörigen
verschiedener Weltanschauungen mitgetragen werden können und
sollen. Schliesslich waren es nicht zuletzt die Freimaurer
selber, die bereits in den ‚Alten Pflichten’ von 1723, dem
bis heute gültigen, aus den Bauhütten der Werkleute
entlehnten Grundsatz der Freimaurer, es als ihre Aufgabe
bezeichnen, ‚Menschen zusammenzuführen, die ansonsten
einander immer fremd geblieben wären’.»