Dossier
"Die Alchemie ist nichts anderes als die Suche nach der Einheit"
Der Franzose Patrick Burensteinas, ein Physiker, hat sich
sehr rasch der Alchemie zugewandt und ist heute einer ihrer hervorragendsten Protagonisten. Er hielt kürzlich Vorträge in der Schweiz.
Wie könnte man die traditionelle Alchemie
definieren?
Wir können nicht von traditioneller Alchemie sprechen,
sondern von der herkömmlichen Art, Alchemie zu betreiben.
Diese traditionellen Methoden wurden uns von den Alten
überliefert, wie Paracelsus, Nicolas Flamel oder auch Basil
Valentin. Daneben gibt es nicht-westliche Systeme wie die
von Geber oder Avicenna gelehrten. Diese wurden für die
Araber und die Alchemisten von Qin Shi Huangdi entwickelt
und waren für den berühmten Han-Purpur bestimmt. Die Suche
nach dem Grossen Werk besteht in der Umwandlung des Menschen
in Licht, mit dem Ziel, in das grosse Ganze einzufliessen.
Worauf beruhen die Grundprinzipien der Alchemie?
Für den Alchemisten besteht unser ganzes Universum aus
drei Prinzipien: Das Salz, der ursprüngliche Baustein der
Materie; der Schwefel, die Lebenskraft, die es antreibt; und
das Quecksilber, sein Geist. Für den Menschen ist das Salz
sein Körper, der Schwefel seine Gefühle und das Quecksilber
sein Intellekt. Der Stein der Weisen bedeutet das
Verschmelzen von Schwefel und Quecksilber zu einer Tinktur,
die zum Waschen des Salzes dient. Je reiner das Salz ist,
umso mehr lässt es das wahre Licht durchscheinen. Das Werk
wird in drei Schritten vollzogen: Das schwarze Werk oder der
Rabe dient dazu, die Materie zu zerlegen. Das weisse Werk
oder das Einhorn besteht darin, das Feine vom Groben zu
scheiden und das Feine zu ordnen. Das rote Werk oder das
Rebis lässt das wahre Licht in die Materie einströmen.
Ist das eine Wissenschaft oder eher eine Technik?
Die Alchemie ist weder eine Wissenschaft noch eine
Technik; sie ist eine Kunst. Übrigens heisst sie auch die
Grosse Kunst, nicht die Grosse Technik. Der Unterschied
besteht darin, dass der Techniker auf sich achtet, wenn er
die Arbeit tut, während der Künstler sich selbst in die
Arbeit eingibt. Man kann sagen, dass der Experimentator
einen Platz innerhalb des Experimentes hat, und deshalb auch
das Experiment innerhalb des Experimentators. Die Materie
umzuwandeln, bedeutet den Menschen umzuwandeln. Wie immer in
der Kunst, genügt das Wissen nicht. Es braucht auch Einsicht
und Inspiration.
Ist der Stein der Weisen Mythos oder Realität?
Wir können uns die selbe Frage mit Bezug auf den Gral
stellen oder für den Tempel Salomos oder für das Ziel jedes
Einweihungsweges. Ist die Realität nicht eine Narrheit, in
die wir uns teilen? In der Vergangenheit waren wir sicher,
dass die Erde eine Scheibe ist. Worüber sind wir heute
sicher? Der Alchemist schafft in seinem Labor eine Art
Exterritorialität, wo die Realität anders ist als in der
Aussenwelt. Hier wird der Stein der Weisen möglich, ein
Kelch, ein Behältnis, das fähig ist, das wahre Licht, das
von aussen kommt und die Quelle jeder Schöpfung ist, zu
empfangen und zu halten
Lassen sich alle Geheimnisse der Natur mit dem
Grossen Werk erklären?
Wir können sie nicht erklären, aber verstehen. Wir sagen
oft, dass der Weg unsere Fragen nicht beantwortet, aber dass
er dazu führt, dass wir keine mehr haben. Das ist der
Unterschied zwischen Wissen und Erkenntnis. Es ist übrigens
seltsam zu sehen, dass wir, wenn wir etwas erklären wollen,
es aufzeigen. Als ob wir den Anschein transzendieren
wollten, um die Wahrheit zu erkennen.
Im allgemeinen führt uns das Wort Alchemie ins
Mittelalter zurück. Aber wie steht es heute damit?
Die ersten Spuren alchemistischer Arbeit finden sich bei
den Sumerern, aber das Wort hat seine Wurzeln in Ägypten.
Das Volk nannte sich nicht Ägypter, sondern Kemet, vom Wort
Kem für "schwarze (fruchtbare) Erde". Weil Schwarz auch die
Farbe des ersten Werkes ist, und weil die Ägypter die
Alchemie praktizierten, hat man ganz natürlich das Wort Kem
mit dieser Kunst in Verbindung gebracht. Alchemie wurde vor
allem im Tempel von Hermopolis unter der Ägide des Gottes
Thot betrieben.
"Gott auf der schwarzen Erde, was die Abendländer
mit Alchemie übersetzen"
Die Griechen, die nie Zutritt zu diesem Tempel erhielten,
leiteten daraus ab, dass es sich bei dem Schutzgott um
Hermes handelte. Weil er im Besitz des Geheimnisses der drei
Werke war, nannten sie ihn Hermes Trismegistos, den
Dreimalgrossen. In der Folge tauchte die ganze Symbolik, die
wir heute kennen, in Alexandrien auf, die Einteilung in vier
Elemente und das fünfte mit dem Namen Quintessenz. Im Jahre
800 überliefert ein grosser arabischer Alchemist namens
Geber den Namen "Al Kemia", "Gott auf der schwarzen Erde",
was die Abendländer mit Alchemie übersetzen.
Verfolgen die heutigen Alchemisten die selben
Ziele wie früher?
Wie in der Freimaurerei gibt es drei Personengruppen:
Diejenigen, die von Alchemie sprechen, diejenigen, die sie
praktizieren und die Alchemisten. Die ersten sind oft
Historiker. Sie suchen Geschichten, aber niemals einen
Einweihungsweg. Diejenigen, die Alchemie praktizieren,
machen Experimente, das heisst sie trennen den technischen
Vorgang von geistigen. Sie suchen ein praktisches Geheimnis,
ein Können. Ihr Ziel ist, die Fabrikationsgeheimnisse wieder
zu finden. Die Alchemisten schliesslich werden immer das
selbe Ziel verfolgen, die Umwandlung des Menschen in Licht
Was gibt es im Jahre 2015 für Bezüge zwischen dem
Weg der Alchemie und demjenigen der Freimaurerei?
Der Bezug hätte nie verlorengehen dürfen. Wir arbeiten
immer noch in einem Tempel. Wir verweilen immer noch in der
Kammer des stillen Nachdenkens, wo wir Salz, Schwefel und
VITRIOL begegnen. Unsere Rituale beinhalten drei Reisen, wir
wandern über die Kolonne des Quecksilbers (Norden) zu
derjenigen des Schwefels (Süden) und werden schliesslich
Meister wie das Salz, das die beiden Teile verbindet.
Worin besteht "La Trame", die Therapie, die du
entwickelt hast?
Das ist eine therapeutische Technik, die Entwicklungen
durch eine alchemistische Weltanschauung ermöglicht. So wie
die gereinigte Materie das Licht durchscheinen lässt, so ist
auch ein Körper, der dem Licht keinen Widerstand mehr
entgegensetzt, nicht mehr krank. Stellen wir uns einen auf
dem Boden ausgelegten Teppich vor, auf dem Kieselsteine
liegen. Wenn ich versuche, ihn zu schütteln, stoppt die
Wellenbewegung an den Hindernissen. Wenn ich aber genügend
stark schüttle, wischt die Welle die Steine weg und kann
ihren Weg fortsetzen. Handelt es sich um einen Körper und
kann die Information nicht fliessen, so funktionieren die
Organe, die von der Information abgeschnitten sind, nicht
mehr oder nur schlecht. Ich habe deshalb eine Anzahl
Bewegungen entwickelt, die den Widerstand des Körpers auf
den drei Achsen vermindern. Dadurch ermöglichen sie der
Information, zu fliessen und die Organe wieder in Funktion
zu setzen.
Interview: Jacques Tornay
Übersetzung: R.K.
Kurzbiographie
Patrick Burensteinas ist international als Redner und
Dozent tätig und arbeitet an mehreren Dokumentarfilmen mit.
Beim Verlag Le Mercure Dauphinois ist er Verfasser von Le
Disciple, Trois Contes Alchimiques und De la Matière à la
Lumière, beim Verlag Trajectoire von Chartres - Cathédrale
alchimique et maçonnique. Er ist sehr präsent in den Medien,
wo er über sein Fachgebiet publiziert. Seine website:
http://www.orifaber.fr