Dossier
Vom Gospel zur «Prince Hall»
Jazz, die Sache der Schwarzen und die Freimaurerei: Sie sind vielfältig miteinander verbunden. Wen könnte man sich da als Interviewpartner besser vorstellen als einen aus Afrika stammenden Freimaurer, der sich für Jazz begeistert? Br. Juvenal ist in Burundi geboren und ehemaliger Stuhlmeister einer jurassischen Loge. Er schildert neben Bekannterem auch erstaunliche Fakten aus Geschichte und Gegenwart.
Thomas Müller: Lieber Br. Juvenal, wir sprechen im Folgenden über den Zusammenhang von drei Dingen: der Sache der Schwarzen, der Freimaurerei und dem Jazz. Ich möchte diese zuerst einzeln erörtern. Wie sieht deine profane und maurerische Vita aus, insbesondere im Hinblick auf deine Hautfarbe?
Juvenal Nduwimfura: Ich wurde 1950 in Burundi geboren.
Dort besuchte ich auch das Collège und lernte die
griechische, römische und englische Philosophie kennen. 1969
kam ich nach Frankreich und machte eine Ausbildung in Sport
und Physiotherapie. Ich hatte keine grosse Mühe, mich in der
neuen Kultur zurechtzufinden. So konnte ich bereits
Französisch. Eine Ausnahme war die allgegenwärtige Technik
in den Städten. 1979 zog ich in die Schweiz und arbeitete in
der Berner Klinik in Montana. 1981 machte ich mich als
Physiotherapeut selbständig und lebe seither in Delémont.
Rassismus habe ich v. a. in Frankreich zu spüren
bekommen. Ich war in vielen Bereichen der einzige Schwarze
und damit stark exponiert. Frankreich hat - anders als die
Schweiz - eine kolonialistische Vergangenheit, und das macht
sich bis heute bemerkbar.
«Die Maurerei hat mir auch sehr geholfen,
schwierige Situationen zu meistern.»
T. M.: Wie sieht dein maurerischer Weg aus? Gibt
es auch hier Besonderheiten?
J. N.: 1979 wurde ich, noch in Frankreich, angefragt, ob
ich einer Loge beitreten wolle. Ich tat das und fand manche
Dinge wieder, die ich aus meiner Heimat kannte. Mein Vater
hatte mich manchmal zu weisen Männern mitgenommen, und diese
arbeiteten teils mit denselben Symbolen. In der Schweiz trat
ich der Loge «Progrès et vérité» i. O. Bex bei und wechselte
dann in den Jura, zur Bauhütte «La Tolérance» i\ O\
Porrentruy. 1993-1996 war ich hier Stuhlmeister - der erste
Schwarze übrigens, der in der Schweiz dieses Amt versieht.
Meine Brüder standen voll hinter mirDie Freimaurerei ist für
mich sehr wichtig. Es ist auf dem persönlichen Weg viel
nötig, bis man den Kern seiner Person erfasst hat. Von
diesem muss man ausgehen. Ich schätze die Bruderschaft. Die
Maurerei hat mir auch sehr geholfen, schwierige Situationen
zu meistern.
T. M.: Und dein Verhältnis zum Jazz?
J. N.: Ich muss gestehen: Anfangs fand ich ihn
schrecklich. Doch ich blieb hartnäckig und versuchte zu
erfassen, was hinter ihm steht. Heute bin ich vom Jazz
begeistert. Ich liebe seine Emotionalität und Spiritualität.
Zudem sehe ich seine Wurzeln im Gospel, also in der Musik
der schwarzen Sklaven, mit deren Schmerz und deren
Hoffnungen. Vom Gospel kann man übergehen zum Blues mit
seinen von den schwarzen Sklaven gesungenen "blue notes",
welche die Harmonie leicht destabilisieren und diesen
Musikstil stark prägen. Die "blue notes" waren Ausdruck
ihres Leids.
Wir haben übrigens in Delémont eine reiche Jazz-Kultur
mit Konzerten, an der ich rege teilnehme.
T. M.: Hast du auch einen Lieblingsstil und
-musiker?
Ja, ich liebe Swing und Blues, und ich bewundere
Ellington und Armstrong.
T. M.: Gehen wir über zum Zusammenhang zwischen
dem Jazz und der Sache der Schwarzen. Welche Aspekte siehst
du hier?
J. N.: Der Jazz ist eine Musik, die sehr viel zu tun hat
mit dem Freiheitskampf der Sklaven. In der schwarzen
Grossloge der USA, der "Prince Hall", sind bis heute etliche
Jazzmusiker vertreten. Oder man denke an die grossen
Jazz-Legenden wie Louis Armstrong und Billy Holiday, Duke
Ellington und Oscar Peterson. Solche Männer sind auch
Botschafter im Hinblick auf die Sache der Schwarzen. Ja, sie
sind Pioniere, Kämpfer, Vorbilder.
« Freimaurer haben im Zusammenhang mit der
Befreiung der Schwarzen Grossartiges geleistet.»
T. M.: Welche Rolle spielt hier die Freimaurerei?
J. N.: Zum einen gibt es unter diesen Musikern zahlreiche
Freimaurer. Zu diesen gehören Armstrong und Ellington ebenso
wie Oscar Peterson, Lionel Hampton und W. C. Handy. Man
denke auch an Count Basie und Nat Cole. Ellington war im 32.
Grad, Hampton und Handy im 33.. - Zum anderen sollte man den
Fokus breiter ansetzen. Freimaurer haben im Zusammenhang mit
der Befreiung der Schwarzen Grossartiges geleistet. Es waren
Brüder daran beteiligt, in der Organisation "underground
rail road" Schwarze zu verstecken und nach Kanada zu
bringen. Diese konnten weder lesen noch schreiben, und so
behalf man sich mit maurerischen Symbolen, die mitunter an
afrikanische erinnerten. Ein anderes Beispiel betrifft die
Ausbildung der Schwarzen. Man muss sich vor Augen halten,
dass diese Menschen nach der Befreiung ohne jegliche Bildung
dastanden - und dadurch keine Chance hatten, auf dem
Arbeitsmarkt eine menschenwürdige Beschäftigung zu finden.
Es gab nicht wenige Freimaurer, die sich hier einsetzten.
Dabei ging es nicht nur um den Zugang zur Arbeitswelt. Es
ging auch um eine Bildung des Herzens und der Moral. Erst
mit solchen Voraussetzungen konnten die Schwarzen in der
Gesellschaft mitwirken. Bis heute existiert in Atlanta die
Booker T. Washington Highschool, die 1924 gegründet worden
ist. Der Namenspatron hatte sich zusammen mit W. E. B.
Dubois für dieses Anliegen eingesetzt. Washington gehörte
wie Dubois zur Prince Hall. Botschafter der Menschlichkeit
waren auch sie.
T. M.: Ein Blick in die Gegenwart: Ist man in der
Sache der Schwarzen weitergekommen?
J. N.: Die Emanzipation und Integration der Schwarzen
ist, v. a. dank der Bildung, vorangekommen. Es gibt diese
Menschen auch in den höheren Gesellschaftsschichten. Doch
das Ziel ist noch nicht erreicht. Wenn wir beim Stichwort
«Integration» sind: Die «Prince Hall» nimmt mittlerweile
auch weisse Brüder auf.