Dossier
Vom Hüten des Geheimnisses
Wer sich mit dem maurerischen Geheimnis befasst, dem stellt sich die Frage: Wenn es eines gibt, wie wird es dann geschützt? Ein Blick in Geschichte und Gegenwart öffnet eine spannende Welt. Es geht um Internet und esoterisches Erleben, um Geheimschriften, mündliche Überlieferung und Notzeichen. Ein Thema ist auch der Verrat.
Als der Transplantationsmediziner Rüdiger Templin 2009
Grossmeister der Vereinigten Grosslogen von Deutschland
wurde, betraf eine seiner ersten Amtshandlungen die Frage
der Geheimhaltung. Bis anhin hatte eine Stelle mit der
martialischen Bezeichnung «Amt für Abwehr» bestanden. Sie
hatte u. a. dazu gedient, gegen negative Stimmen in der
Öffentlichkeit vorzugehen. Templin benannte die Stelle neu
als «Amt für Öffentlichkeit».
Man muss die königliche Kunst erleben, muss in und an
ihr wachsen. Das ist ihr esoterischer Gehalt und eine
Grundlage unserer Identität als Freimaurer.
Essenz der Freimaurerei
Freilich war auch von Verrat die Rede. Doch Templin wäre
ein terrible simplificateur gewesen, hätte er das Prinzip
des Geheimnisses vollauf aus der königlichen Kunst verbannen
wollen. Der deutsche Sozialwissenschafter, Freimaurer und
Freimaurerforscher Hans-Hermann Höhmann zählt das
maurerische Geheimnis zur Essenz der königlichen Kunst.
Neben diesem erwähnt er den initiativischen Charakter der
Rituale, die Bausymbolik und einen spezifischen Wertekanon.
Das Geheimnis wiederum fächert er in unterschiedliche
Funktionen auf. Es kann u. a. darum gehen, vor Übergriffen,
v. a. von seiten des Staats, zu schützen. Das ist sozusagen
die taktische Seite. Des weiteren hat es eine soziale und
integrative Bedeutung. Kernelemente sind hier u. a. die
ständeübergreifende Freundschaft und die Wirkung als eine,
so Höhmann, «emotionale Heimat». Die pädagogische Funktion
bezieht sich auf das Streben nach Selbstvervollkommnung, die
Arbeit am rauen Stein. In diesen Funktionen geht es darum,
den Brüdern einen Raum zur freien Entwicklung zu geben.
Dieser wird von der profanen Welt abgegrenzt, bestimmt aber,
wie sich der Bruder in dieser verhält.
Gewiss: Im Zeitalter des Internet scheint es keine
Geheimnisse zu geben. Doch trifft das wirklich zu? Wir
Freimaurer erkennen, dass so gut wie alles auf dem Netz zu
finden ist. Doch es ist für Nicht-Maurer nahezu unmöglich,
Wesentliches von Unwesentlichem, Essentielles von
Zufälligem, Auswechselbares von Zentralem zu unterscheiden.
Zudem ist das, was den Kern unserer Sache ausmacht, gar
nicht über Informationen fassbar. Man muss die königliche
Kunst erleben, muss in und an ihr wachsen. Das ist ihr
esoterischer Gehalt und eine Grundlage unserer Identität als
Freimaurer.
Reiche Tradition
Der Religionswissenschafter und Freimaurer Jan Snoek
spricht davon, dass es in der Renaissance einen
«wahrhaftigen Kult von Geheimgesellschaften » gegeben hat
und dass schon früh hermetische Elemente Eingang in die
Tradition der Bildhauer fanden. Die Wissenden wollten unter
Ihresgleichen bleiben. Zu den Zeugnissen der «Freestone
Masons» im 14. und 15. Jahrhundert zählen die «Constitutions
of the Masons of York», das Regius- und das
Cooke-Manuskript. Ein expliziter Eid band die Männer an die
Verschwiegenheit.
Bis heute kennen wir masonische Elemente, die sich
früheren Taktiken der Geheimhaltung verdanken. Der Schaffner
sieht zu, dass die Loge von aussen gedeckt ist. Die beiden
Vorsteher überprüfen die Kolonnen im Hinblick auf eine
Deckung im Inneren des Tempels. Schlüsselwörter werden
lediglich buchstabiert und syllabiert. Zeichen, Wort und
Griff bleiben geheim. Zwischen dem Stuhlmeister und den
Vorstehern entwickeln sich Dialoge, in denen die
Zugehörigkeit überprüft wird. Die maurerische Bekleidung
bleibt der Arbeit im Tempel vorenthalten. Der Zutritt des
Kandidaten zum Tempel wird mehrfach unterbrochen. Stets geht
es darum, ob er tatsächlich zum Neophyten werden will oder
sich die Sache doch anders überlegt.
Die Vereidigung ist ein Höhepunkt der Initiation. Die
Legende um Hiram Abiff dreht sich wesentlich um das
Geheimnis, das er nicht verraten will, selbst um den Preis
seines Lebens. Und für das Zusammenleben der Logenmitglieder
galten schon im frühen 18. Jh. die Prinzipien
Brüderlichkeit, Treue und Verschwiegenheit.
Es stand stets ein Eimer mit Besen zur Hand.
Freimaurerschrift und Schweigen
Eine besondere Taktik der Geheimhaltung bildet die
sogenannte Quadrat- oder Freimaurerschrift. Sie hat Wurzeln
in der Kabbala und fand im 18. Jahrhundert häufig Anwendung.
Anhand von Zahlenquadraten, dann aber vor allem in einem
Raster in der Form eines Kreuzes leitete man ein
Buchstabensystem ab, in dem Protokolle und andere Texte
abgefasst wurden. Interessant ist eine Begebenheit in der
nordamerikanischen «St Andrews Lodge» in Boston. Im Vorfeld
der «Boston Tea Party» im Dezember 1773 wurde ein Treffen
vertagt. Den Grund dafür hielt man im Protokoll in
verschlüsselter Form fest. Über eine ganze Seite erstreckt
sich der Buchstabe «T».
Die Fama will, dass Mozart von Freimaurern vergiftet
wurde. Er habe in seiner «Zauberflöte» zu viele Geheimnisse
preisgegeben.
Im Orient Washington sind das Logenwissen sowie der
Wortlaut der Rituale nirgends schriftlich erfasst. Es gilt
der Grundsatz «From mouth to ear», «Vom Mund zum Ohr». Und
man kann nur vermuten, wie viel Aufwand die Einführung eines
Lehrlings in die Freimaurerei kostet. In der Maurerei wird
gern auf Pythagoras verwiesen. Das liegt daran, dass er
Mathematik und Geometrie mit der Philosophie und Fragen des
Lebens im allgemeinen verband. Ein weiterer Grund könnte
sein, dass er in einem Geheimbund wirkte. Einer seiner
Schüler, Empedokles, schrieb die Aussagen seines Lehrers
auf. Ohne Empedokles wären sie uns nicht überliefert worden.
Von der Formel «a2 + b2 = c2» wüssten wir vielleicht nichts.
Der österreichische Historiker und Freimaurer Helmut
Reinalter betont die Bedeutung von James Anderson. «Die
Pflichten und Gesetze der alten Freimaurerbruderschaft in
England waren ursprünglich so gut verwahrt, dass sie kaum
bekannt worden sind. Erst James Anderson hat in seinem
Konstitutionenbuch 1723 das publiziert, was in den
schriftlichen und mündlichen Überlieferungen der alten
Freimaurer enthalten war.»
Bodenzeichnung und Geheimzeichen
Unser Tapis hat den Ursprung in den ältesten
Freimaurerlogen. Im Gasthaus, in dem sie für die Arbeit
zusammenkamen, zeichneten die Brüder die Symboltafeln mit
Kreide und Kohle auf den Boden. Der Logendiener war für das
«drawing on the floor of the Lodge» zuständig. Es stand
stets ein Eimer mit Besen zur Hand: Man konnte die Zeichnung
im Fall einer Störung schnell beseitigen.
Zum Not- und Hilfszeichen des Meisters gibt es eine hübsche
Anekdote. Ist sie nicht wahr, so ist sie doch gut erfunden.
Der gebürtige Preusse Carlos von Gagern (1826– 1885) landete
nach einem Leben voller Wechselfälle in einem mexikanischen
Gefängnis. Er stellte sich ans Kerkerfenster und machte das
besagte Zeichen. Ein mexikanischer Offizier und Freimaurer
soll ihm darauf hin zur Flucht verholfen haben.
Und der Verrat?
Die Fama will, dass Mozart von Freimaurern vergiftet
wurde. Er habe in seiner «Zauberflöte» zu viele Geheimnisse
preisgegeben. Eine andere Geschichte dreht sich um den
amerikanischen Steinmetz und Brauereibesitzer William
Morgan. Er soll 1826 angekündigt haben, maurerische
Geheimnisse zu publizieren. Brüder hätten ihn darauf hin
entführt, und er sei verschwunden. Diese «Morgan- Affäre»
stellte die amerikanische Freimaurerei für zehn Jahre vor
schwere Imageprobleme.
Eine Skandalschrift von 1730 berichtet, was den Verräter
erwarte: «als dass meine Gurgel abgeschnitten, meine Zunge
aus dem Gaumen meines Mundes genommen, mein Herz aus meiner
linken Brust gerissen, um sodann im Sande des Meeres
begraben zu werden». T.M.