Alpina 10/2002

Das Oktoberheft befasst sich mit dem Begriff der Utopie und stellt auch gleich die Frage, ob die Freimaurerei nicht eine Utopie sei, die wohl angestrebt, deren Ideale aber niemals verwirklicht werden können. Er hat eigentlich zwei Bedeutungen. Der Begriff wurde vom Hauptwerk von Thomas Morus «Utopia» übernommen. Gemäss Schweizer Lexikon ist eine Utopie eine die Realitätsbezüge ihrer Entwürfe bewusst oder unbewusst vernachlässigende Denkweise. Als zweites ist es eine literarische Denkform, in der Aufbau und Funktionieren idealer Gesellschaften und Staatsformen eines räumlich oder zeitlich entrückten Ortes, zum Beispiel das Land «Nirgendwo», oft in Form fiktiver Reiseberichte, konstruiert werden. Darf man nun die Freimaurerei einfach als Utopie bezeichnen, ohne Realitätsbezüge? Oder ist sie so etwas wie eine ferne Insel?

Die Freimaurerei ist eine Verbindung freier Männer, die ihr Brauchtum von den Baubrüderschaften des Mittelalters herleiten. So steht es am Anfang der Allgemeinen Maurerischen Grundsätze der Schweizerischen Grossloge Alpina. Die Freimaurer betrachten sich als Brüder, ihren Bund als einen Bruderbund. Sie wissen, dass alle Menschen, so verschieden ihre Gaben und ihre Verhältnisse auch sein mögen, als gleichberechtigte Wesen geboren sind. Sie wissen aber auch, dass diese Wahrheit im Leben der Menschen häufig verkannt wird und erachten es deshalb als ihre Pflicht, brüderliche Gesinnung unter sich und gegenüber ihren Mitmenschen zu verbreiten. Klingt dieser Grundsatz nicht nach Wunschtraum, nach etwas, was kaum zu verwirklichen ist? Wir wissen, dass wir keine missionarischen Weltverbesserer sind. Wir wissen aber auch, dass diese hehren Grundsätze innerhalb unserer Bruderkette nicht immer hochgehalten werden. Deshalb der Spruch: Die Freimaurerei wäre wundervoll, wenn es keine Freimaurer gäbe. Wir wissen aber auch, dass die Freimaurerei bei jedem Einzelnen beginnen muss. Die Arbeit am rauen Stein ist nach wie vor das Wichtigste. Und das ist keine Utopie, sondern tägliche harte Arbeit.

Alfred Messerli

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