Alpina 4/2003

Der Sinn des Rituals ist das Hauptthema der April-Nummer der Alpina. Es ist sehr schwer, auf relativ kleinem Raum dieses Thema umfassend zu behandeln. Als Rituale im eigentlichen und freimaurerischen Sinne können nur solche angesehen werden, die eine Initiation beinhalten. Das heisst, das Aufnahmeritual des Lehrlings, das Beförderungsritual des Gesellen und das Erhebungsritual des Meisters. Diese Rituale unterliegen strengen Vorschriften und dürfen nicht willkürlich geändert werden. Dazu gehört die Einbringung des Lichtes, die Anrufung des Allmächtigen Baumeisters aller Welten, der Eid oder das Gelübde, die Vermittlung von Zeichen, Wort und Griff und die besonderen Umstände einer Aufnahme, die Fragen und Antworten, oder der Katechismus und der rituelle Abschluss mit dem Löschen der Lichter.Das Ritual gliedert sich in drei Teile. Die Klammer hält alles zusammen, die Brüder, das Ritual, die Loge. Die Klammer selbst ist dreiteilig. Sie befindet sich am Anfang, in der Mitte und am Schluss des Rituals. Der zweite, der Erlebnisteil (Proben, Prüfungen, Reisen), verbindet den Kandidaten mit dem Universum. Und der dritte, der Belehrungsteil, bietet Anleitungen zum sittlichen Handeln. Es gibt verschiedene Ansichten über den Sinn des Rituals. Die Anlehnung an antike Mysterienbünde, wie sie Oskar Ruf sieht, wird von andern Freimaurern strikte abgelehnt. Beispielsweise Lennhoff/Posner: «Königliche Kunst ist an sich nicht mythisch, sie besitzt keinen Schlüssel zu den Welträtseln, sie baut mit irdischem Material, mit dem lebendigen Menschen. Die Freimaurerei will keineswegs Offenbarung, Erlösung und Unsterblichkeit vermitteln, wie dies einst das Ziel der Mysterienbünde war, nicht magisch oder mythisch wirken, sondern rein psychologisch.» Für einzelne Freimaurer ist das Ritual eine Lehrmethode, um Botschaften und Erkenntnisse, Wissen und Ermahnungen in geeigneter Form weiterzugeben. Es ist eine Lehrmethode der Aufklärung, die heute weitgehend vergessen gegangen ist.

Aber was ist denn der Sinn des Rituals? Das Ritual ist eine Lebenshilfe. Man kann dies vielleicht am besten in vier Punkten zusammen fassen. Erstens: Die Fülle und Vielfalt in der historischen Entwicklung der Freimaurerei zeigt, dass das Rationale und das Irrationale im Leben zusammen gehören. Zweitens: Die Struktur der heutigen Rituale zeigt, dass der Mensch erleben soll und darf, Belehrungen empfangen soll und dass es eine Klammer der Ordnung braucht. Drittens: Der Inhalt des Rituals ist aufklärende Lebensphilosophie. Der Mensch strebt nach Höherem und soll sich um das Gute, Wahre und Gerechte bemühen, und alles kann von verschiedenen Seiten betrachtet werden. Viertens: Das Ritual ist schliesslich auch eine Lebensschule. Sie lehrt die Beherrschung der Leidenschaften, kritisches Denken, Milde und Arbeit.

Wir überlassen es den Brüdern, sich die Gedanken zum Sinn des Rituals selbst zu machen. Wir möchten mit diesem Heft nur Denkanstösse geben.

Alfred Messerli   
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