Alpina 8-9/2006
Die freimaurerischen Reisen oder Wanderungen sind uraltes Kultgut
derInitiation. In der Freimaurerei stehen diese mystischen Wanderungen –
gemäss dem Internationalen Freimaurer Lexikon – mit Handwerksgebräuchen in
Verbindung. Die Reise hat eine doppelte Bedeutung. Sie hat den Sinn der
«Heiligen Wanderung», im freimaurerischen Gebrauch zugleich als Reise aus
dem Dunkel in das Licht gedeutet, und sie dient überdies einem praktischen
Zweck: der Neophyt wird beim Herumführen der Versammlung vorgestellt.
Die Wanderungen der Steinmetze hatten ursprünglich rein praktische
Bedeutung. Die Zunft stösst für gewisse Zeit ihre noch nicht vollständig
ausgebildeten Jünger ab. Die Reisen waren in Deutschland und in Frankreich
(«Tour de France») obligatorisch, während England keine Reisen der Gesellen
kannte. Nicht zuletzt egoistische Gründe waren es, die diese Gesellen auf
die Reise schickten. Der wandernde Geselle soll sich aber zugleich in seinem
Wissen und Können auf der Wanderschaft vervollkommnen. Aus diesen
Wanderungen entwickelte sich ein Ritual, das auch im freimaurerischen
Gebrauchtum wieder auflebte. Die Zahl der Wanderungen ist in den Graden und
auch in den Systemen nicht einheitlich. Im Allgemeinen werden heute drei
Reisen vorgenommen. In einzelnen Ritualen sind es vier Reisen. Die in die
Reisen verlegten so genannten physischen Proben der Standhaftigkeit, der
Ausdauer, des Mutes entstammen fremdem Gedankengut. Zum Teil aus dem alten
Ägypten, zum Teil aus dem mittelalterlichen Rittertum. Eduard Troxler
vertritt in seiner Arbeit die Meinung, dass die Reisen keine Grundlage in
der mittelalterlichen Bautradition haben, sondern aus Ägypten stammen. Ein
ausgewiesener Kenner der Materie, Jacques Laager, der frühere Stuhlmeister
der Loge Modestia cum Libertate, der sich in den Reformen der Rituale sehr
engagiert hat und für vier Reisen eintritt mit dem zusätzlichen Element
Luft, äussert sich sachkundig zum Problem. Das ist das Schöne an der
Freimaurerei, dass es keine Einheitsdoktrin gibt, sondern dass jeder Bruder
sie nach seinen Gedanken und Ideen ausgestalten kann. Im Übrigen ist das
Heft dem Stabwechsel in der Schweizerischen Grossloge Alpina gewidmet. Das
Tessiner Direktorium unter der Leitung von Grossmeister Alberto Ménasche
wurde in Martigny abgelöst.
Wir stellen den neuen Grossmeister Jürg Aeschlimann und sein Direktorium
vor. Mit grossem Elan und viel Enthusiasmus haben die Brüder aus Bern,
Aarau, Luzern und Solothurn ihre Arbeit bereits aufgenommen. Wir wünschen
gutes Gelingen!
Alfred Messerli |