Freimaurerische Hierarchie und Demokratie
(Alpina 8-9/2008)
Hierarchien prägen unser Leben. Wenn wir uns
fragen, womit wir Hierarchien spontan verbinden,
kommen wohl viele auf Begriffe wie «Macht»,
«Unterordnung », «Einengung», «Ohnmacht» oder
«Ungleichheit» – also alles mehrheitlich negativ
besetzte Begriffe. Dass dieser aber auch positive
Dimensionen vereint, wird meist erst auf den zweiten
Blick ersichtlich: «Ordnung», «Strukturerhalt»,
«Kontinuität» oder «Grundrahmen», in welchem
Entfaltung erst möglich wird.
Es gibt künstlich geschaffene und natürliche
Hierarchien. Letztere treten oft gar nicht in
Erscheinung; sie sind einfach und wirken im
Hintergrund. Als eine schöpfungsmythische Deutung
der Entstehung von Hierarchien könnte uns das Licht
dienen: Das Licht der ersten Ebene als das
Göttliche, die für den Menschen nicht ersichtliche
Quelle aller Kraft. In der zweiten Ebene die
Helligkeit, die leuchtet und Leben spendet und in
der dritten Ebene das Licht, das gebrochen wird und
in seinem (für uns Menschen erfassbaren) Spektrum
sichtbar und differenzierbar wird. Überdies breitet
das Licht, wenn es durch das Prisma (siehe
Titelblatt) oder die Erdatmosphäre tritt, eine
weitere Hierarchie aus: das Farbenspektrum. Und auch
hier ist nur ein Teil für uns wahrnehmbar. Insofern
gilt für das Licht wie auch für Hierarchien: sie
setzen eine Ordnung (besser vielleicht eine
Rangordnung) und sie trennen das, was dieser Welt
angehört von dem, was jener Welt angehört. In beiden
leben wir, auch wenn wir es uns nicht immer bewusst
sind. Hierarchien existierten jedoch lange bevor es
das Wort dafür gab. Der Mensch kann nämlich nicht
allein existieren. Er braucht seit jeher
Überlebensstrukturen. Und genau diese Solidarität,
dieses funktionierende Gemeinwesen braucht eine
Lenkung, eine Instanz, die den Rahmen setzt; die
Gesetze erlässt und somit institutionalisierte Macht
ausübt. Dies war aber ein langer, mühseliger und
manchmal auch sehr schmerzhafter Weg zur modernen
Demokratie. Ein Jahrhunderte langer Kampf gegen jene
Zwänge, welche die Entfaltung des Menschen im Rahmen
seiner Fähigkeiten, seiner Herkunft und seiner
Lebenseinstellung behinderten oder sogar
verhinderten. Für das Gelingen einer Demokratie
braucht es jedoch Gegenkräfte: die Freiheit des
Einzelnen gegenüber den Trägern von Macht,
insbesondere die Freiheit der Meinungsbildung, und
Mitbestimmung. Es braucht also eine andauernde
Willensleistung aller Bürger; konsumieren im
opportunistischen Sinne einer multioptionalen
Gesellschaft reicht nicht aus! Demokratie musst
gelebt werden – wie das unaufhörliche Arbeiten am
unbehauenen Stein!
Adrian Bayard
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