Welchen Stellenwert hat für uns die Meditation?
(Alpina 2/2010)

Was bedeutet das ständige Arbeiten am rauhen Stein? In einer Dimension bedeutet es sicherlich, sich aufs Leben und die sinnvolle Lebensgestaltung zu besinnen – sich fernab des Gewühls des Alltags zu konzentrieren und sich–wie es so schön heisst: zu veredeln. Dabei spielt die Meditation einewesentliche Rolle. Sie dient uns als Übung zur geistigen Vertiefung und zur vom Ich abgelösten Betrachtung des eigenen Schaffens und Dienens sowie des uns umgebenden Umfeldes. Im historischen Wörterbuch der Philosophie wird Meditation als Hilfsmittel zur Selbsterkenntnis «durch Zuwendung zu sich selbst» beschrieben. Der Begriff Meditation geht ethymologisch auf das lateinische Wort «meditatio» zurück, was im weiteren Sinne verstanden werden kann als «Ausrichtung zurMitte» –einswerden mit dem irdischen und überirdischen Zentrum. In christlichen, islamischen und jüdischen Traditionen ist das höchste Ziel der meditativen Praxis das unmittelbareErfahren des Göttlichen. Dazu gehört das Schaffen einer Atmosphäre, die möglichst frei von äusseren Einflüssen die Konzentration aufs Wesentliche ermöglicht. In unseren Ritualen wird genau dies praktiziert. Dieses «Raum schaffen» und «Stille erzeugen» (!) ist zentraler Gegenstand unserer Tempelarbeiten. Vertieft werden kann die Kontemplation durch die Musik und die Worte im Tempel. Obschon -oder eben geradeweil – immerdie selben Ritualtexte vorkommen, streift sich das Aussergewöhliche ab und lässt das Gewöhnliche hervortreten. Und erst in dieser repetitiven Gewöhnlichkeit erkennen wird gelegentlich die Tiefen unseres Seins. Meditation kann – grob eingeteilt – in zweierlei Arten von Techniken erfolgen: die passive Meditation, wo in der Stille das harmonische Verhältnis von Spannung und Entspannung gesucht wird und den Menschen frei macht für klarere Gedanken und Erkenntnisse. Die aktive Meditation versucht demgegenüber durch eine streng vorgeschriebene rituelle Handlung, zum Beispiel eine japanische Teezeremonie (siehe Seite 39 ff.) oder durch den Weg der Schreibkunst (Shodo, siehe Deckblatt) die Aufmerksamkeit zu steigern und so das Bewusstsein zu fördern. – Klingt das irgendwie vertraut?

Adrian Bayard 

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