Die Wohltätigkeit
(Alpina 11/2011)

Unter Wohltätigkeit versteht man eine (meist materielle) Zuwendung an einen bedürftigen Menschen. Sie wird in vielen Religionen als eine Tugend betrachtet und wird vom Einzelnen erwartet. In anderen Religionen wiederum ist es gar ein legitimer Anspruch der Armen. Im Begriff steckt das Wort «Wohl» und bringt einen Zustand des angenehmen Daseins zum Ausdruck. Wobei man sich vielleicht fragen könnte, um wessen Wohl geht es: um das Wohlergehen resp. Die Minderung des Unwohlergehens des Bedürftigen oder eher um das Besänftigen des schlechten Gewissens des Schenkenden. In den Vereinigten Staatenbesteht ein hochentwickeltes System der Wohltätigkeit, wo sich die Schenkenden an Benefiz-Veranstaltungen schon fast zeremonienmässig feiern lassen. Die Wohltätigkeit wird so zum Selbstzweck und pervertiert in der Ignoranz der wirklichen Probleme. Hingegen ist in vielen Gesellschaften heute noch die Wohltätigkeit die einzige Form praktischer Milderung der Armut. Ehrlich gemeinte und gelebte Wohltätigkeit entspringt jedoch nicht dem Eigennutz, sondern der Nächstenliebe (caritas). Auch das Almosen, das wir praktizieren, geht auf den Begriff des Mitleides zurück. Wobei auch hier die Perspektive von entscheidender Bedeutung ist: Mitleid kann aus Empathie oder aus Dankbarkeit darüber, dass man selber nicht in einer solchen Situationen befindet, heraus wachsen. Beides fusst auf Demut und hat das Ziel im Wohlergehen des anderen. In dieser Nummer wird im Artikel «Freimaurerei und Egoismus» provokant die These aufgestellt, dass es zur Eigenverantwortung eines gewissen Masses an Egoismus bedürfe und wir ruhig etwas egoistischer sein könnten. Dies erachte ich nicht als Widerspruch, wenn man Egoismus nicht im engen Sinne nimmt, sondern im positiven Ansatz versteht. Dieser besagt, dass wir unser selbst bewusst werden und uns freisagen von manipulativen und vorgespurten Ansichten und Meinungen. Ferner verlangt dieser Egoismus im Positiven auch, dass wir das Schicksal (und auch jenes unserer Mitmenschen) selbst in die Hand nehmen. Er stellt somit ein Kontrapunkt zum Kollektivismus, dem wir heute immer mehr zum Negativen verfallen. Seien wir uns also unseres Bruderbundes wieder etwas mehr bewusst und handeln! Handeln, wie wir es für gut befinden!

Adrian Bayard 

<< Heft 10/2011

Index

Heft 12/2011 >>