Die drei Initiations-Reisen
(Alpina 6-7/2012)
Reisen bildet. Wir reisen, um Neues zu erleben
und um uns neue Horizonte zu erschliessen. Es sind
nicht die Pauschalreisen mit Gruppenleithammeln und
Fähnchen und vorbestimmtem Trampelpfad. Richtige
Reisen brauchen nicht einmal einen Photoapparat,
denn während wir das Fotosujet in den Sucher der
Kamera quetschen, bleibt uns das Wesentliche
verborgen. Die richtigen Bilder werden memorisiert
und nicht fotografiert. Reisen sind eigentlich
Wanderungen in unsere Innenwelt. Wir erleben, wir
reflektieren, wir ergänzen, was uns noch fehlt und
doch sind wir immer Reisende–nicht auf der Flucht,
wie viele (Pauschalreisende) heutzutage, die der
Monotonie oder der Reizüberflutung des Alltags
entfliehen wollen; nein, eher auf der
Morgenlandfahrt: vom Dunkel hin zum Licht. Für diese
Wanderungen braucht es die Stille – sich Abschotten
vom profanen Leben, um Einkehr zu halten in unsere
Innenwelt. Auch der Freimaurerbund war und ist immer
noch symbolisch auf Reisen. Die Suche nach dem
Selbstverständnis, das durch die «Verinformatisierung»
und die Banalisierung durch die Medien und das
Internet immer wieder aufs Neue getestet wird. Oder
die Reise durch die Dunklen Jahre der
Zwischenkriegszeit und des Sozialsozialismus, von
der in dieser Ausgabe auf der Seite des Lehrlings
berichtet wird. Übrigens dürfte es kein Zufall sein,
dass Hermann Hesse gerade 1930 die Morgenlandfahrt
geschrieben hat. Wir Freimaurer reisen seit der
Initiation. Bei der Aufnahme reisen wir symbolisch
durch die vier Elemente, die Grundlage für unsere
eigene Entwicklung sein sollen. Der Lehrling ist
aber auch gehalten, mit seinem Patenandere Logen zu
besuchen, also zu wandern in den eigenen Reihen. Wie
das Titelbild verdeutlicht, sind Reisen nicht
lineare Prozesse entlang einem Lebensstrang, die
einer Perlenkette gleich aneinandergereiht werden.
Vielmehr sind unsere freimaurerischen Reisen
kaskadenartige Erfahrungen, die aber durch das
Wasserrad immer wiederkehrend neu erfahren werden –
nie gleich sind und deshalb durch die immer kehrende
gleiche Prozedur neue Erkenntnisse bringt, weil
Altes und Bekanntes ausgeblenden werden kann, um so
der Essenz auf die Spur zu kommen. Genauso wie es
einst Hermann Hesse ins seinem Gedicht Stufen
formulierte. Adrian Bayard
Adrian Bayard
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