Wie kamen die Reisen in unser Ritual?
Reisen bildet
Die Reisen nach Innen, die wir bei unseren Ritualen erleben, sind
Gegenstand der nachfolgenden Betrachtung. Unsere Sinne als Pforten der
Wahrnehmung können solche Reisen ermöglichen. Aus diesem Grunde ist der
nachfolgende Artikel als Erlebnisbericht gestaltet.
Eduard Troxler, Loge Osiris, Basel (Schweizer
Freimaurer-Rundschau: August/September 2006)
Bei meiner Initiation vor mehr als vierzig Jahren in der Loge Modestia
cum Libertate auf dem Lindenhof in Zürich war ich tief beeindruckt von den
Prüfungen durch die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer. Das
Schlüsselerlebnis war die Lichterteilung. Diese Prüfungen durch die Elemente
vertieften das Erlebnis. Als Chemiker war ich an einen anderen
Element-Begriff gewohnt, nämlich das periodische System der Elemente wie
Wasserstoff, Helium und andere. Warum haben die Freimaurer diese 2000 Jahre
alten aristotelischen Elementbegriffe im Ritual? Später habe ich meinen
Paten die gleiche Frage gestellt und ich wollte wissen, woher überhaupt
diese Element-Prüfungen stammen, da diese sich nicht mit der
Steinmetzen-Symbolik in Verbindung bringen lassen. Mein Pate gab
ehrlicherweise zu, dass er diese Frage nicht beantworten könne.
Das blieb vorerst für mich ein ungelöstes Problem. Ich habe dann immer
wieder nachgefragt. Als ich das englische Ritual zum ersten Mal miterlebte,
stellte ich verwundert fest, dass diese Elementprüfungen in diese Rituale
keinen Eingang gefunden haben. Auch die Antwort eines Bruders, diese
Prüfungen seien durch Schröder in das Ritual gekommen, erwies sich als
falsch. Als Mitglied der Forschungsloge Quatuor Coronati prüfte ich die
Original-Schröder-Rituale und stellte fest, dass keine Element-Prüfungen
eingebaut sind.
Friedrich Ludwig Schröder (1744-1816) war Theaterdirektor in Hamburg und
einer der engagiertesten Freimaurer seiner Zeit. In Korrespondenz mit vielen
Freimaurern wie Herder, führte er die Rituale wieder auf den Ursprung der
Steinmetzen-Symbolik zurück und reinigte die Rituale von all dem
überflüssigen Beiwerk. Sein Leitsatz war: «Da die Wahrheit einfach ist, so
muss auch das Symbol einfach sein». Er feilte an der Sprache des Rituals,
eine schöne eindringliche Sprache, die wir heute noch am Ritual schätzen.
Ritterspiele wurden aus den Ritualen verbannt und er verbot die Degen in den
Logen.
Mit Eifer und Beharrlichkeit, gemäss dem Motto des Lehrlingsschlages,
suchte ich weiter nach den Quellen der rituellen Reisen.
Eine gerne zitierte Quelle ist Lucius Puleius (125-170 n. Chr.). Er
beschreibt die Einweihung in die Isis-Mysterien in Rom: «Nachdem ich durch
die Elemente gereist war, kehrte ich wieder zurück». Allerdings darf man
diese Quelle nicht für bare Münze nehmen. Apuleius war Anwalt und hat sich
lustig gemacht über die vielen grassierenden Mysterienkulte in Rom. Das Werk
heisst bezeichnenderweise «der goldene Esel».
Einige Forscher wollen die rituellen Reisen auf die Mysterien von Eleusis
zurückführen. Auch das ist ein Holzweg. In den Quellen zu den eleusischen
Mysterien sind diese Elementproben nicht erwähnt. Die so genannten kleinen
Mysterien im Frühling und die grossen Mysterien im Herbst sind ganz anders
aufgebaut und gruppieren sich um Demeter als grosse Mutter der Erde mit der
Kornähre. Dazu gehört auch das Opfern eines Glücksschweins.
Ein kleiner Exkurs, wo die vier Reisen zu den vier Elementen ihren
Ursprung haben könnten, ist nun notwendig. Ausgehend von der uralten
mystischen Vorstellung, dass alles, was existiert, aus einem einzigen
Urstoff hervor gehe, versuchten die Vorsokratiker im 6. und 5. Jahrhundert
v. Chr. in Griechenland diesen Urstoff selbst als einen natürlichen zu
ergründen. Diogenes von Apollonia: «Mir scheint alles, was existiert, nichts
anderes zu sein als die Wandlungen eines und desselben Stoffes». Thales
betrachtete das Wasser als Ursache alles Seins. Für Heraklit hatte das Feuer
die gleiche Wirkung.
Interessant ist die Meinung von Demokrit (400 v. Chr.) «Die Natur besteht
aus Atomen (Atomos das nicht mehr teilbare), die im leeren Raum
herumgeschleudert werden. Ein Wirbel mannigfacher Gestalten sondert sich vom
All ab. Der Mensch ist eine kleine Welt» (Mikrokosmos). Dies ist eine
erstaunlich aktuelle Erkenntnis.
Es ist dann Empedokles, der erstmals die vier Grundstoffe Feuer, Erde,
Wasser und Luft erwähnt. Für ihn ist es ein Verbinden und Lösen dieser
Stoffe, welche die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bewirken. Sie
entstehen seiner Meinung nach durch Anziehung und Abstossen der beiden
Urkräfte Liebe und Hass.
Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) hat dies nun klarer formuliert. Es seien
diese Elemente, welche besondere Eigenschaften haben und mit den Sinnen
direkt erfahrbar seien: Feuer ist trocken und warm,Wasser feucht und kalt,
Luft warm und feucht und Erde kalt und trocken. Auf diese wirken nun zwei
Kräfte ein, nämlich die Schwerkraft, die Erde und Wasser fallen und der
Auftrieb, der Luft und Feuer aufsteigen lässt.
Diese Lehre hatte rund 2000 Jahre lang Bestand. Sie wurde erst 1661 durch
Robert Boyle erschüttert und die neue Lehre wurde vom Chemiker Lavoisier
experimentell bestätigt. Das Ergebnis sind die heute gültigen
Elementbegriffe im so genannten periodischen System. Diese vier Elemente
sind abendländisches Kulturgut und nicht eine Erfindung der Freimaurerei.
Wie sind die Elementproben in unsere Rituale gekommen?
Bis jetzt habe ich nur eine Quelle gefunden, nämlich den 1731 anonym
veröffentlichen Roman «Sethos» Der Held, ein 16jähriger Jüngling, wird in
der grossen Pyramide von Giza in die Isis-Mysterien eingeweiht. In deren
Mittelpunkt steht ein Gang durch alle vier Elemente, die mit grossem Aufwand
im Inneren der Pyramide in Szene gesetzt werden und die lebensgefährlich
sind. Durch diese Elementproben wird Sethos würdig, an den Geheimnissen der
grossen Göttin Isis teilzuhaben.
Später wurde das Geheimnis um den Autor dieses Werkes gelüftet: Es war
der Graezist Abbé Jean Terrasson, der am College de France wirkte. Der Roman
«Sethos» war publizistisch ein Grosserfolg, ähnlich wie beispielsweise Harry
Potter in unserer Zeit. Das Werk erschien in vielen Auflagen und wurde auch
in andere Sprachen übersetzt.
Erst später stellte sich heraus, dass der Roman frei erfunden war und auf
keinerlei Quellen beruhte. Als er erschien, konnte man die Hieroglyphen noch
nicht entziffern. Das gelang Champollion erst 1822.
Die Feuer- und Wasserprobe in der «Zauberflöte»
Nach Elisabeth Staehelin vom ägyptologischen Seminar der Universität
Basel sind die ägyptischen Rituale ganz anders aufgebaut und kennen die
Elemente-Probe nicht. Gefeiert werden die täglichen Rituale, das
Regierungsjubiläum, die Reise durch die Unterwelt sind einige der Themen in
den ägyptischen Ritualen. Sethos ist also Fabulierkunst. Die Forschung nimmt
heute an, dass in den Logen in Paris diese Elementproben auf Grund des
Sethos-Romans eingebaut worden sind, einerseits als Reinigung, anderseits
als Prüfungen der Standhaftigkeit der Einzuweihenden.
In Wien war die Situation etwas anders. In der Loge «Zur Wohltätigkeit»
war der Naturwissenschafter Ignaz Born Meister vom Stuhl. Im «Journal für
Freimaurer» publizierte er einen Artikel «Über die Mysterien der Ägypter»,
wobei er sich auf den Sethos-Roman abstützte.Wolfgang Amadé Mozart, war
begeistert von diesem Vortrag, den Born auch in seiner Loge hielt. Und das
war der Anstoss zur «Zauberflöte», welche 1791 in Wien uraufgeführt wurde.
Der tiefverehrte Ignaz Born wurde von Mozart als Sarastro in die
«Zauberflöte» eingebaut. In der Oper selbst wird jedoch nur die Feuer- und
Wasserprobe dargestellt. Nur nebenbei sei erwähnt, dass im Protokoll über
die Aufnahme von Mozart in die Freimaurerei ebenfalls nur die Feuer- und die
Wasserprobe gemacht wurde.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei den aktuellen Ritualen
die Reihenfolge dieser Elementarproben von Ritual zu Ritual verschieden ist:
Wasser als Urquell allen Lebens kommt zuerst, dann die Luft, das Feuer und
zuletzt die Erde. In einem andern Ritual wird zuerst die Erde präsentiert,
dann bläst man mit der Luft weg, was noch an der Hand haftet, nachher folgt
Wasser zur Reinigung und am Schluss das Feuer, das verglühen in der Flamme.
In einzelnen Ritualen wird auch die Luft weggelassen, also nur Erde,Wasser
und Feuer dem Suchenden präsentiert. Für die verschiedenen Reihenfolgen
werden die unterschiedlichsten Erklärungen gegeben. Aber immer sind diese
Prüfungen mit den Reisen verbunden, das heisst der Initiand wird im Tempel
und mit Hilfe eines Bruders herumgeführt.
Man könnte auch eine Reihenfolge wählen, bei der man vom schwersten und
materiell dichtesten Element Erde ausgeht und dann zu immer leichteren
Elementen gelangt, also Erde, Wasser, Feuer und Luft. Konsequent wäre es,
wenn man zum Schluss zum immateriellsten Äther oder Quint Essentia gelangen
würde. Dieses fünfte Element fehlt in den freimaurerischen Ritualen, wäre
aber sinnvoll. Das wäre der Weg des Menschen von der Erdverbundenheit zur
hohen Ebene des Geistigen.
Sind die Element-Proben nicht etwas Wesensfremdes?
Die vier Elemente sind abendländisches Geistesgut, am klarsten formuliert
durch Aristoteles. Heute würde man besser sagen: Element-Aspekte.
Zweitausend Jahre hat sich diese Auffassung gehalten. Weder die englischen
Rituale noch das originale Schröder-Ritual kennen diese Elementproben.
Anlehnend an den Roman Sethos mit seiner Einweihung in der Pyramide haben
Logen in Frankreich diese Prüfungen in das Initialritual aufgenommen. Das
Motiv dieser Prüfungen in unsere Freimaurer-Rituale zu verankern, war
verlockend, beispielsweise auch im Memphis-Misrain Ritus. Diese
Elementarproben finden sich in keinem ägyptischen Aufnahmeritual und sind
reine Erfindungen. Über Ignaz Born und seinem Vortrag über die ägyptischen
Mysterien sind die Feuer- und Wasserprobe in die«Zauberflöte» eingeflossen.
Auf Grund dieser Quellenlage kann man sich fragen, ob diese Element-Proben
in unseren Ritualen nicht zu streichen sind. Sie haben nichts zu tun mit der
Tradition der Steinmetzen und ihren Symbolen. Sie sind eigentlich im
Erlebnisbereich eher Fremdkörper.
Ein wichtiges Element des Aufnahme-Rituals
Und trotzdem bin ich der Meinung, dass man die Reisen zu den Elementen im
Aufnahme-Ritual beibehalten soll. Unsere Rituale sind fokussiert auf das
direkte Erlebnis über die Sinne als Pforten der Wahrnehmung. In diesem Sinne
verstärken sie das Schlüsselerlebnis der Lichterteilung, der Neugeburt des
Neophyten im Licht. Deshalb sollte man dieses Element im Aufnahmeritual
nicht streichen. Die Proben sind leicht verständlich und eine nicht zu
unterschätzende liebgewordene Gewohnheit. Man müsste sich überlegen, ob man
sie glaubwürdiger nicht als Elementaraspekte bezeichnet und ob man
allenfalls die Reihenfolge ändern sollte. Mein Vorschlag wäre zuerst Erde,
dann Wasser, nachher Feuer und zuletzt die Luft. Vollständigerweise müssten
die Proben mit der Quint Essentia abgeschlossen werden, also vom materiell
dichtesten zum immateriell Geistigen.