Der Goldene Schnitt in der Ökonomie
Goldenes Händchen mit dem Goldenen Schnitt?
Auch wenn es etwas seltsam anmutet: der Goldene
Schnitt wird auch in der Finanzwirtschaft angewandt. Selbst
mit einigen Vorbehalten bringt uns doch die aktuelle
Börsenlage zur Einsicht, dass Regeln und Gesetzmässigkeiten
stets am Fehlverhalten der Menschen zerbrechen.
Adrian Bayard – Humanitas in Libertate, St. Gallen
(Schweizer Freimaurer-Rundschau: November 2008)
Der Goldene Schnitt ist eine Messzahl für besonders
harmonische Verhältnisse. Die Zahl 1,618... ist eine
irrationale Zahl, das heisst, nicht durch einen Bruch mit
ganzen Zahlen genau ermittelbar. Es gibt rund 40 Arten, den
Goldenen Schnitt zu konstruieren und mehrere Methoden, die
Zahl annähernd zu bestimmen. Eine davon ist die sogenannte
Fibonacci- Zahlenfolge, die nach dem Entdecker Leonardus
Pisanus, filius Bonacii (Sohn des Bonaci) benannt wird.
Fibonacci–Zahlen sind durch eine unendliche Folge von Zahlen
definiert, in der sich jede Zahl aus der Summe der beiden
vorhergehenden Zahlen errechnet. Also: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8,
13, 21, 34, 55, 89, 144, usw. Wenn eine Zahl durch die
vorhergehende Zahl geteilt wird, resultiert (besonders bei
hohen Zahlen) die Zahl 1,618... – also das Verhältnis des
Goldenen Schnittes.
Die Fibonacci Zahlenreihe definiert ein festes
wiederkehrendes Muster, das in allen Bereichen des Lebens zu
finden ist. In der Natur zum Beispiel die spiralförmige
Anordnung der Blüten der Sonnenblume, in der Architektur zum
Beispiel die asymmetrische Anordnung des Turmes des Alten
Rathauses von Leipzig (siehe Bild) und nicht zuletzt auch in
der Wirtschaft.
Goldener Schnitt in der Finanzwirtschaft
Populär wurden die Fibonacci–Zahlen als Ralph Nelson
Elliott in seinem Werk «Natures Law» die
Fibonacci–Verhältnisse verwendete, um Gesetzmässigkeiten im
Bereich der menschlichen Psyche auf Aktientrends zu
übertragen. Die Fibonacci–Zahlen sind deshalb auch Grundlage
für die von ihm begründete «Elliott Wellen Theorie», eine
Beschreibung über das Verhalten von Finanzmärkten. Die
Theorie beruht auf Beobachtungen der US-Aktienmärkte, die 13
verschiedene Wellen isoliert, die sich in den Märkten
wiederholen. Er benannte, definierte und illustrierte diese
Wellen. Anschliessend beschrieb er wie die verschiedenen
Wellen in Zusammenhang standen und wiederum ähnliche
Strukturen oder Wellen auf einer höheren Ebene formten.
Die Grundstruktur, die Elliott beschrieb, besteht aus
«Impulswellen » (mit Zahlen gekennzeichnet) und
«Korrekturwellen» (mit Buchstaben gekennzeichnet). Der
Rhythmus dieses Auf und Ab steht gemäss Elliott in einem
ganz speziellen, wiederkehrenden und relativ konstanten
Verhältnis: dem Goldenen Schnitt und seinen
Umkehrverhältnissen.
Fibonacci Fanlines
Eine weitere einfache Methode, das Verfahren des Goldenen
Schnitts auf Kursentwicklungen anzuwenden, sind die
Fibonacci Fanlines. Hierzu werden zwei Extrempunkte in einem
Kursbild, sogenannte Charts (z.B. ein Tief und Hoch)
miteinander verbunden. Vom zweiten Punkt aus wird eine
Hilfslinie senkrecht nach unten gelotet. Auf dieser Geraden
werden nun 61,8%, 50% und 38,2% abgetragen. Nach oben wird
entsprechend eine Linien bei 161,8 gezogen. Durch die
ermittelten Punkte werden nun Linien, die mit dem Tiefpunkt
verbunden sind, gezogen. Diese Linien zeigen die zukünftigen
Widerstand- und Unterstützungszonen. Konkret angewandt,
würde dies heissen, dass man nach dem Tiefstpunkt von 2003
bei einem SMI-Index-Stand von ca. 3620 Punkten bis anfangs
2007 hätte investiert bleiben können und dann bei 9477
verkaufen sollen. Dieser Stand entspricht genau 161,8%
Zuwachs zum Tiefstpunkt – bei 9548 drehte der Markt in die
mittlerweile bekannte Abwärtsspirale. Haben wir es hier also
mit einer universellen Konstanten zu tun – mit einem
göttlichen Verhältnis, wie dies zum Beispiel die
französische Übersetzung von «Goldener Schnitt» – «la divine
proportion» – suggeriert? Mitnichten. Trotz der hohen
Trefferquote (ca. 70%) unterliegt diese Gesetzmässigkeiten
immerzu dem menschlichen Fehlverhalten wie Gier, Herdentrieb
und Angst. Würden wir uns wieder vermehrt auf die
Urdisziplin der menschlichen Erkenntnis – die Geometrie –
besinnen und würden wir wieder öfters Winkelmass und vor
allem Zirkel in die Hand nehmen anstatt den Computer, dann
hätten wir wieder etwas mehr Augenmass und Besonnenheit –
und das wäre heilsam für alle.