Thema
Wie gestalten wir unser Leben?
Bei der Spekulativen Freimaurerei ist die Architektur ein Bauwerk der Kraft und Schönheit. Durch die Operative, lernen wir, unsere Leidenschaften zu zügeln, denn die Freimaurerei will die ethische Gesinnung ihrer Mitglieder dem Bundeszweck dienstbar machen.
Gerhard Ruch – Osiris, Basel
Spekulative Freimaurerei ist im Gegensatz zur Operativen
(Werkmaurerei – welche eine aus den Steinmetzbruderschaften
entwickelte Form der geistigen Bauhütten ist – durch den
Eintritt von Nichtsteinmetzen, gegen Ende des 16.
Jahrhunderts in England entstanden. Bei der ersten
Bezeichnung spielen wir auf die Regeln der Architektur an,
durch welche ein Bauwerk Ansehen, Kraft und Schönheit
bekommt und durch welche ein richtiges Verhältnis und
richtige Übereinstimmung erzielt wird. Durch die letztere
lernen wir unsere Leidenschaften zügeln, winkelgerecht
handeln, unsere Zunge im Zaumhalten, Geheimnisse bewahren
und Menschenliebe üben, in der keine menschenverletzende
Handlung enthalten ist. Man liebt seine Feinde, indem man
ihnen vergibt und in Bescheidenheit in der Gesellschaft zu
leben versteht.
Die allgemeine Richtung im Denken und Fühlen ist nach
Kant nicht die theoretisch logische Beurteilung, sondern das
Motiv des Handels in ihrer Gesamtheit. Die ethische
Beurteilung eines Menschen richtet sich nach seiner
Gesinnung, nicht nach dem äusseren Erfolg seiner Taten. Die
Freimaurerei als Gesinnungsgemeinschaft will die ethische
Gesinnung ihrer Mitglieder dem Bundeszweck dienstbar machen.
Daher wird im Aufnahmeverfahren die aus den
Lebensäusserungen des Kandidaten zu erschliessende Gesinnung
einer besonderen Prüfung unterworfen, welche gestaltend, in
unser allgemeines Leben eingreift.
Der erste Schritt ins freimaurerische Leben, gestalten
wir mit der Arbeit am rauen Stein, welcher mit Eifer und
Beharrlichkeit bearbeitet wird. Die Bedeutung davon ist,
dass nicht das Wissen, sondern dein Wille dein Schicksal
bestimmt.
Bruder- und Menschenliebe sollen dich auf deinem
Lebenswegbegleiten. In Liebe zur Heimat, suchen wir die
Verbundenheit zu unserem Volk. Sinn geistiger Bedeutung ist
die Geistesfreiheit als grundsätzliche Aufgabe der
Freimaurerei. Sie ist vielen Grosslogenverfassungen
verankert. Das Bestehen von Gefahren für die persönliche und
geistige Freiheit als Folge des Auftretens gewisser
kirchlicher Gruppen ist nicht mehr Mutmassung, sondern es
sprechen bereits die Tatsachen eine deutliche Sprache. Der
Freimaurerbund ist kraft seines Zieles und Wesens
verpflichtet, dieser Erscheinung ernste Aufmerksamkeit zu
schenken. Organisierte Tätigkeit, diesem Übel zu wehren,
liegt aber nicht auf dem Weg des Bundes oder der Logen als
solcher. Sie ist jedoch Aufgabe der Bundesmitglieder, die
individuell oder in Gruppen und in Zusammenarbeit mit
gleichgesinnten Profanen vorzugehen haben. Den Mitgliedern
des Bundes wird empfohlen, für persönliche und geistige
Freiheit in den freigesinnten Kreisen und in der Presse
stets einzutreten.
Freimaurerei ist Kunst harmonischer Lebensgestaltung.
„Maurer ist jeder, der sein eigenes Leben ausbaut, damit er
zur Vollendung des Kunstwerkes beitragen könne“ (Lessing).
„Zum Besten der Menschheit kann niemand beitragen, der nicht
aus sich selbst macht, was aus ihm werden kann oder soll“
(Herder). In einem 1900 von der Grossloge von Hamburg,
Bayreuth und Frankfurt an ihre Tochterlogen erlassenen
Schreiben, in dem die Ziele des Freimaurerbundes
vortrefflich formuliert sind, heisst es: Die Freimaurerei
ist eine Kunst, die Kunst, das menschliche Leben harmonisch
zu gestalten und die Kunst, sich selbst in das richtige
Verhältnis zum Nebenmenschen zu setzen. Durch Duldung,
tätige Menschenliebe, Eifer und Beharrlichkeit, kann unser
Leben vernünftig gestaltet werden.
Unser Leben bezieht sich auf die eigene Weltanschauung,
die durch die Sehnsucht nach Harmonie, Einheit
hervorgebrachte Synthese der Erkenntnisse, Gedanken,
Vorstellungen eines Menschen über das ganze der Welt und
seine Stellung zu ihr, im Sinne des Lebens gestaltet werden
kann.
Weltanschauung ist immer subjektiv. Eine objektive
Weltanschauung ist unmöglich. Die Wissenschaft kann niemals
zu einer einheitlichen Weltanschauung führen, da das Ziel
einer solchen gerade die Überbrückung der Lücke der
Erfahrung ist. Der Streit der verschiedenen Weltanschauungen
in der Philosophiewird nie entschieden werden. Leichter als
die Philosophie kann die Religion eine Weltanschauung zu
bieten unternehmen, da sie gefühlsbetont ist und sich daher
über Widersprüche in der Erfahrung leicht hinwegsetzt.
Die Freimaurerei ist keine Weltanschauung im Sinne eines
Systems, sondern eine Einstellung, eine Methode des Denkens,
Fühlen und Wollens. Weltanschauung im Sinne der Freimaurerei
ist etwas ewig Werdendes und daher niemals endgültig
kodifizierbares. Eine wirkliche Weltanschauung kann nur
induktiv durch Zusammenfassung der Gefühls– und
Denkerfahrungen in eine Synthese münden, nicht aber durch
die gewaltsame Anwendung einer vorgefassten Einstellung auf
die gegebene Mannigfaltigkeit der Welt. Muss doch ein
solches Vorgehen wertvolle Teile des Seins vernachlässigen,
ja verfälschen.
Das Ziel der Freimaurerei ist aber eine allumfassende
Synthese. Sie stellt es ihren Gliedern frei, sich selbst
ihre Weltanschauung zu wählen, sofern diese der Forderung
der sittlichen Freiheit und dem Humanitätsideal nicht
widerspricht. Bei der Weltanschauung des Freimaurers kommt
es nicht darauf an, dass sie der Übereinstimmung Allem
entspricht, sondern dass sie ihren Träger innerlich
befriedigt und ihm die Antriebe zu jenen sittlichen
Grundsätzen gibt, die ihn zum Arbeiten am gemeinsamen
Bauwerk der Humanität befähigen. Daher wäre in den
entscheidenden Fragen, die an den Suchenden gestellt werden,
nicht nur vom Glauben, sondern auch von der Weltanschauung
zu sprechen, zumal für den Freimaurerbund in beiden Fällen
nur die sittlichen Ableitungen von Belang sein können.