Thema
Sein oder Haben
Bei der Aufnahme eines Suchenden in den Bund der Freimaurer wird ihm nahegelegt, weniger nach vergänglichem irdischen Besitz zu streben, als mehr nach innerer Bereicherung. Mit dieser Auffassung steht die Freimaurerei nicht allein. Buddha lehrt, daß nicht nach Besitz streben dürfe, wer die höchste Stufe der menschlichenEntwicklung erreichen wolle.
H.H. – Am Rauhen Stein, Hamburg
Schon in der Antike hören wir von Solon: Der Mensch kann mit
wenigem glücklich sein und nur mit wenigem; zu großer
Besitz, sagt Solon, soll geteilt werden. Nicht Reichtum ist
uns wünschbar sondern Tugend, und sie erst macht das
gemeinsame Leben leicht.
Im Alten Testament ruft
Jesaja: "Wehe denen, die ein Haus an das andere ziehen und
einen Acker zumanderen bringen, bis kein Raum mehr sei, daß
sie allein das Land besitzen". Jesus sagt: "Was nützet es
dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst
aber ins ewige Verderben bringt?" Marx lehrt: "Luxus ist
genauso ein Laster wie Armut, und es Muß unser Ziel sein,
viel zu sein und nicht viel zu haben".
Es gibt offenbar zwei
grundlegend verschiedene Formen menschlichen Strebens,
nämlich das Streben nach dem "Sein" und das Streben nach dem
"Haben". Doch gibt es überhaupt eine Alternative zwischen
"Sein oder Haben"? "Haben" ist doch eine normale Funktion
unseres Lebens. Um leben und genießen zu können, müssen wir
Dinge haben. In einer Gesellschaft, in der "Haben" und "mehr
Haben wollen" ein hohes Ziel ist, scheint es, als bestehe
das eigentliche Wesen des Seins in Haben, so daß nichts ist,
wer nichts hat.
Aber hat nicht jeder etwas?
Seine Wohnung, sein Auto, seine Kleider, seinen
Fernsehapparat usw. Warum sollte also irdischer Besitz die
Entwicklung des Menschen behindern? Nun, es gibt wohl zwei
grundsätzliche Arten der Selbstorientierung und der
Orientierung auf die Welt hin, zwei verschiedene
Charakterstrukturen, deren jeweilige Vorrangigkeit die
Gesamtheit dessen bestimmt, was jemand denkt, fühlt und tut.
In der aufs "Haben" orientierten Existenz ist die Beziehung
zur Welt die des Besitzergreifens und Besitzens. Bei der auf
"Sein" hin orientierten Existenz müssen wir zwei Formen des
"Seins" unterscheiden. Die eine steht im Gegensatz zum
Schein – um die geht es hier nicht - und die andere im
Gegensatz zum "Haben". Meister Eckart sieht das "Sein" als
Leben, Aktivität, Erneuerung, Produktivität als Gegenteil
von "Haben", von Ich-Bindung und Egoismus. "Sein" im Sinne
Eckarts heißt aktiv sein im klassischen Sinn als produktiver
Ausdruck der dem Menschen eigenen Kräfte.
Schopenhauer schreibt unter
dem Titel "Was einer ist": "Daß dieses zu seinem Glücke
vielmehr beiträgt als was er hat, haben wir bereits im
allgemeinen erkannt. Immer kommt es darauf an, was einer sei
und demnach an sich selber habe. Demnach sind also die
subjektiven Güter wie ein edler Charakter, ein fähiger Kopf,
ein glückliches Temperament und ein heiterer Sinn die ersten
und wichtigsten, weshalb wir auf die Beförderung und
Erhaltung derselben vielmehr bedacht sein sollten, als auf
den Besitz äußerer Güter und äußerer Ehre."
In dem Buch von Erich Fromm
"Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft"
schreibt er über das Wesen des Habens. "Der Habenmodus der
Existenz leitet sich vom Charakter des Privateigentums ab.
In dieser Existenzform zählt einzig und allein die Aneignung
und mein uneingeschränktes Recht, das Erworbene zu behalten
bzw. produktiven Gebrauch davon zu machen“. Es ist die
Haltung", sagt er weiter, "die im Buddhismus als Gier, in
der jüdischen und christlichen Religion als Habsucht
bezeichnet wird". Der Satz "ich habe etwas" drückt die
Beziehung zwischen dem Subjekt "ich" und dem Objekt aus. Er
impliziert, daß sowohl Subjekt wie Objekt dauerhaft sind.
Aber sind sie es wirklich? Ich werde sterben, und auch das
Objekt ist nicht von Dauer. Die Aussage, etwas auf Dauer zu
besitzen, beruht auf der Illusion einer unvergänglichen,
unzerstörbaren Substanz.
Wenn ich alles zuhaben
scheine, habe ich in Wirklichkeit nichts, denn mein Haben,
Besitzen eines Objekts, ist nur ein flüchtiger Moment im
Lebensprozeß. Bleiben wir aber noch bei Fromm, der weiter
ausführt: In letzter Konsequenz drückt die Aussage - "ich
habe" - eine Definition meines Ichs durch meinen Besitz des
Objekts aus. Das Objekt bin nicht ich, sondern ich bin, was
ich habe. Mein Eigentum konstituiert mich und meine
Identität. Der Gedanke, der der Aussage "ich bin, weil ich
denke" zugrunde liegt, wird "ich bin, weil ich habe".
Es ist bezeichnend, daß uns
im Zusammenhang mit dem Haben-Modus erheblich mehr negative
Schlagwörter und Vokabeln einfallen als positive; zum
Beispiel Profitgier, Habsucht, Geiz, Raub, Raubmord, Neid,
Gewalt, Egoismus, Selbstsucht, Arroganz, Eitelkeit,
Übervorteilung, Betrug, Bestechung, Überheblichkeit usw.
Positive Vokabeln fallen mir auf Anhieb zum Haben-Modus
überhaupt nicht ein.
Fromm grenzt den Haben-Modus
allerdings ab vom sogenannten existenziellen Haben. Die
menschliche Existenz erfordert, daß wir bestimmte Dinge
haben müssen, um zu existieren, nämlich Wohnung, Kleidung,
Werkzeuge usw., die wir zur Befriedigung unserer
Grundbedürfnisse benötigen. Er meint, diese Form des Habens
steht nicht im Widerspruch zum Sein, wohl aber der
charakterbedingte Besitztrieb, den er vorher beschrieben
hat. Beide Tendenzen sind also offenbar im Menschen
vorhanden. Aus der Existenz dieser beiden gegensätzlichen
Anlagen, nämlich dem Besitzenwollen oder dem Seinwollen, zu
dem auch die Bereitschaft zu teilen und zu geben gerechnet
werden soll, ergibt sich, daß die Gesellschaftsstrukturen
und deren Werte und Normen darüber entscheiden, welche von
beiden dominant wird.
Fromm meint nun dazu:
"Infolge der vorherrschenden Mentalität der Selbstsucht
meinen die Machthaber unserer Gesellschaft (wer immer das
auch sein mag), man könne die Menschen nur durch materielle
Vorteile, daß heißt durch Belohnungen,
Eigentumserwerbsmöglichkeiten motivieren; und Appelle an
Solidarität und Gemeinnutz würden kein Gehör finden. Deshalb
erfolgen solche Aufrufe zu selten, und man läßt sich die
Chance entgehen, sich durch die positiven Ergebnisse eines
Besseren belehren zu lassen".
Nun, wer früher durch die DDR fuhr, dem begegneten solche
Aufrufe zur Solidarität und Gemeinnutz an jeder Straßenecke
sowie in Radio und Fernsehsendungen ununterbrochen. Und wie
sahen die Positiven Ergebnisse solcher Appelle aus? Sie sind
nicht besser zu beschreiben als durch Volkesstimme, nämlich
den politischen Witz.
Ein Staatsminister ist anonym auf einer Reise unterwegs,
um das Gaststättengewerbe zu kontrollieren. Er ist von allen
volkseigenen Betrieben wegen der unfreundlichen Bedienung,
der Uninteressiertheit am Kunden bitter enttäuscht. Endlich
wird er in einem LPG-Restaurant (zur Orientierung: LPG heißt
Landwirtschaftliche- Produktionsgenossenschaft, natürlich
auch volkseigen) erstklassig bedient. Alles ist sauber,
appetitlich und freundlich. Der Staatsminister gibt sich nun
zu erkennen und ergeht sich in Lobeshymnen über ein so
erstklassig geführtes LPG-Restaurant. Die Freude des
Ministers wird jedoch erheblich durch die Antwort des Wirtes
getrübt, der verlegen erklärt, LPG ist in diesem Fall die
Abkürzung für "Letzte Private Gaststätte".
Mir scheint dabei, daß sich Fromm in die Reihe der
Sozialutopisten einreiht, die im Besitzstreben und Eigentum
eine Ursache aller Übel sahen und von denen ich zwei
erwähnen möchte. Im Jahre 1516 erschien die Schrift des
englischen Kanzlers Thomas Morus: "Vom besten Zustand des
Staates oder von der neuen Insel Utopie". Die Menschen
werden erst durch Not böse gemacht. Wozu so hart strafen?
Mit dieser Frage hebt Morus an; sogleich macht er die
Umgebung für den einzeInen vorantwortlich. "Man setzt den
Galgen für Diebe fest, während man viel eher dafür sorgen
sollte, daß sie ihr Auskommen haben, damit nicht einer in
den harten Zwang gerät, erst stehlen, danach sterben zu
müssen". Dicht nebenan zeigt Morus die Welt, die den Armen
schuldig werden läßt und sich als Richter aufspielt: "Wie
groß ist doch die Zahl der Edelleute, die selber müßig wie
Drohnen vonanderer LeuteArbeit leben, die sie bis aufs Blut
schinden, obendrein aber scharen sie einen Schwarm von
Tagedieben und Trabanten um sich her". Und der Schluß des
ersten Teils der UTOPIA sagt unverholen: "Wo es noch
Privatbesitz gibt, wo alle Menschen alle Werte am Maßstab
des Geldes messen, da wird es kaum jemals möglich sein, eine
gerechte und glückliche Politik zu betreiben. ... Es kann
das Glück der Sterblichen überhaupt nicht begründet worden,
wenn nicht vorher das Eigentum aufgehoben ist."
Alle diese Worte legt Morus dem Weltreisenden in den
Mund, den er als Berichterstatter aus Utopia einführt und
der nun vom besten Staat her entsetzt auf den englischen
blickt. Der vorsichtige Kanzler nennt den Mann Raphael
Hythlodeus, d. h. Schaumredner. Zweifellos aber vertritt
Raphael des Morus radikale Auffassungen. Die Insel Utopia
nun, von der der Berichterstatter im zweiten Teil erzählt,
ist vor allem deshalb eine menschenwürdige, weil ihre
Bewohner so weitgehend von der Arbeitsfront befreit sind. 6
Stunden mäßige Mühe reichen aus, um alle notwendigen
Bedürfnisse zu befriedigen und auch genügend Vorrat für die
Annehmlichkeiten herzustellen. Interessant ist, daß die
Häuser alle 10 Jahre nach dem Los gewechselt werden, um
nicht einmal den Schein eines Privateigentums aufkommen zu
lassen.
Wenden wir uns nun einem anderen Sozialutopisten zu,
nämlich Fichte. Er vertritt in seiner Schrift "Der
geschlossene Handelsstaat" unter anderem die These, daß es
zwar ein Urrecht auf Eigentum gibt, aber nicht auf Sachen,
sondern nur eins auf Handlungen, derart, daß kein anderer
befugt sein solle, dieses Stück Boden zu bebauen. An Grund
und Boden gibt es schlechthin kein Eigentum, er gehört
niemand und dem Ackerbauern nur insofern, als er ihn bebaut.
Nachdem Fichte derart Besitz wie Eigentum aus dem
Sachenrecht in eine Art Erzeugungsrecht gebracht hat,
schreitet er zur sozialistischen Konsequenz fort: "Gerade
wegen des Urrechts auf Eigentum muß es jedem vom Staat
gegeben werden. Wenn einer nicht soviel hat, um leben zu
können, so hat er nicht, was er zu haben berechtigt ist. Im
Vernunftsstaat erhält er es. In der Teilung, welche vor der
Herrschaft der Vernunft durch Zufall und Gewalt gemacht ist,
hat es wohl nicht jeder erhalten, indem andere mehr an sich
zogen, als ihnen zukam." Aus dem Herzen haben die erwähnten
und viele andere Utopisten das Rechte gewünscht; aus dem
Kopf suchten sie die bessere Welt zu konstruieren und den
Willen zu dieser besseren Weit zu entzünden. Die
Wirklichkeit unseres Zeitalters hat sich wohl aber dem
Haben-Modus verschrieben, der als Antriebsmotor für eine
Gesellschaftsstruktur wirkt, in der sich deswegen besonders
stark auf das Sein konzentrieren kann und muß. Ichmöchte
meine Überlegungen mit einem kurzen Gedicht von Goethe
schließen, das mit "Eigentum" überschrieben ist und doch mit
unübertrefflicher Schlichtheit die Qualität des Seins
charakterisiert.
Eigentum
Ich weiß, daß mir nichts angehört als der Gedanke, der
ungestört aus meiner Seele will fließen, und jeder günstige
Augenblick den mich ein liebendes Geschick von Grund auf
läßt genießen.