Dossier
Psychologie des Feindbilds
In einem Witz sagt jemand: «Ich habe etwas gegen Neger, Juden und Rassisten.» Die Pointe macht deutlich, dass es im Zusammenhang mit Feindbildern nicht immer logisch zu und her geht. Man glaubt sich aber im Besitz unumstösslicher Wahrheiten. Das Feindbild lebt vom Zirkelschluss: Man entnimmt der Welt jene Vorurteile, Klischees und negativen Muster, die man zuvor in sie hinein interpretiert hat, und ist erfreut, dass sich diese bestätigen. Auch die Freimaurerei bildet von alters her eine Projektionsfläche für alle möglichen Anfeindungen. Doch wie ist derlei möglich? Ein Blick auf die Propaganda- Industrie, Erkenntnisse der Sozialpsychologie und die Schwierigkeit, Feindbilder aus der Welt zu schaffen.
Thomas Müller
Propaganda ist wohl so alt wie die Menschheit. Caesars
Buch über den Gallischen Krieg war pure Public Relations in
eigener Sache – und eine Breitseite gegen seine
innenpolitischen Gegner. Napoleon liess auf seinem
Ägyptenfeldzug Zeitungspressen mitführen, um die Moral
seiner Truppen in die gewünschte Richtung zu lenken. Und im
Ersten Weltkrieg erlangte die auf der Krim eingeführte
Kriegsphotographie grosse Bedeutung: Sie ermöglichte es,
jenes Bild vom Geschehen herzustellen, das sich in den
Köpfen und Herzen in der Heimat etablieren sollte. Und nie
zu vergessen: Das Feindbild musste bis in die Details
ausgestaltet werden, es musste einfach und eingängig sein –
und selbsterklärend.
Im Zeitalter der Propaganda- Industrie
Die Wahrnehmung des Zielpublikums zu steuern verlangt
viel Know-how. Regierungen auf der ganzen Welt halten sich
entsprechend ihre Kommunikationsstäbe. Wenn nötig, holt man
sich diese hochbezahlten Spezialisten dort, wo sie bislang
gewirkt haben. 2001 wurde Charlotte Beers
US-Staatssekretärin für «Public Diplomacy» und «Public
Affairs». Zuvor war sie Produktemanagerin für «Uncle Ben’s
Rice» gewesen. Neu war sie Managerin der Feindbilder. «Rogue
states» (Schurkenstaaten) und gegnerische Personen z. B. aus
dem islamistischen Umfeld galt es deutlich, ja überdeutlich
darzustellen – und moralisch derart abzuwerten, dass ihre
Bekämpfung Sache jedes aufrechten Bürgers in der westlichen
Welt wurde. Das brachte Budgets ein und konzentrierte die
Kräfte einer z. T. unschlüssigen Staatenwelt.
Wir leben im Zeitalter der Wahrnehmungen. Es zählt nicht
mehr unbedingt, was tatsächlich der Fall ist, sondern wie
die Gegebenheiten betrachtet und interpretiert werden. Es
hat sich eine wahre Propaganda-Industrie etabliert – über
die modernen westlichen Demokratien hinaus bis zum
islamistischen IS, der trotz mittelalterlichen
Wertvorstellungen bewusst Public Relations betreibt. Das
kann bis zu den Aufnahmen von Enthauptungen gehen. Diese
wirken auf uns barbarisch. Für andere Leute auf unserer Erde
sind sie eine Bestätigung dafür, dass endlich etwas
unternommen wird, ja dass man gegenüber dem Westen das
Primat des Handelns für sich beanspruchen kann. Beide Seiten
bringen ihre jeweiligen Feindbilder in diese Situation
hinein und finden diese bestätigt.
Rezepte für ein Feindbild
Ein wirksames Feindbild herzustellen ist ein Stück weit
Handwerk. Gewisse Instrumente bewähren sich bis heute. Eines
besteht darin, der Gegenseite Gräuel anzulasten, sie zu
dämonisieren. Dazu gehört das Bombardement von Kirchen und
Kindergärten, das Töten von Frauen und Kindern, der Einsatz
von Giftgas gegen Zivilisten. Dieses Vorgehen hat einen
grossen Vorteil: Einen Gegner, der sich Derartiges
zuschulden kommen lässt, muss man nicht schonen. Im
Gegenteil, es gilt ihn mit allen Mitteln unschädlich zu
machen. Auf das Feindbild Freimaurer bezogen heisst das:
Wenn die Brüder schwarze Messen mit der Tötung von
Säuglingen durchführen, werden sie in moralisch
legitimierter Weise zum Freiwild.
Es gilt die Welt holzschnittartig wiederzugeben.
Ein weiteres Instrument sind die Übertreibung und die
Verallgemeinerung. Man soll Glaubensinhalte und
Handlungsweisen der anderen Seite so übertrieben wie möglich
darstellen. Und es gilt aus einzelnen Handlungen ein
umfassendes Handlungsmuster zu machen, aus dem Verhalten
einer Person jenes einer ganzen Gruppe. Wenn der Gründer und
Grossmeister der italienischen Loge «P 2» sich 1998 wegen
verbrecherischen Machenschaften vor Gericht verantworten
musste, konnte weltweit jeder einzelne Bruder, unabhängig
von seinem Verhalten, unter Generalverdacht geraten.
Zu den bewährten PR-Instrumenten für die Etablierung von
Feindbildern gehört auch das Polarisieren: hier die «goodies»,
dort die «baddies», hier Weiss, dort Schwarz, hier «wir»,
dort «die andern». Es gilt die Welt holzschnittartig
wiederzugeben. So besteht eine Unzahl von Stereotypen: im
islamischen Raum der Typus des Schweinefleisch essenden
westlichen «Kreuzfahrers» und in der westlichen Wahrnehmung
die Moschee als Brutstätte des Islamismus. Aus Halbwissen
und unausgegorenen Ressentiments wird Überzeugung, und aus
dieser kann Schlimmes hervorgehen. Gerade wir Freimaurer
sind oft mit Halbwissen konfrontiert und sehen uns mit
Schwarz- Weiss-Klischees konfrontiert, in denen wir auf der
dunklen Seite angesiedelt werden. Sekundiert werden solche
Urteile von den Medien. Mit dem Medientheoretiker Marhall
McLuhan muss man sagen: «Good news is no news.» Dass die
Freimaurer hinter vielen karitativen Werken stehen, eignet
sich nicht für die Medien. Diese verlangen den Skandal, und
der garantiert Auflage und Quoten.
Wohl der gefährlichste Weg, ein Feindbild zu konstruieren,
ist die Berufung auf höhere Werte. Papst Urban I. baute 1095
in seine Propagandarede für den Kreuzzug immer wieder die
Formel ein: «Gott will es.» Es ist beschämend, wie oft die
Religion in aggressive Verhaltensweisen umgelenkt worden ist
– und wird. Wer sich auf den Gott seiner jeweiligen
Glaubensrichtung beruft, kann sich so gut wie alles
erlauben. Er verhilft einer höheren Ordnung zur Gültigkeit.
Es geht um eine Pflicht. Die Ablehnung, ja Verfolgung von
Freimaurern in gewissen Ländern zeigt, in welch
erschrecklichem Ausmass das der Fall ist.
Wozu Feindbilder?
Das Phänomen «Feindbild» ist wohl nicht aus der Welt zu
schaffen. Dass es sich über alle Jahrhunderte derart
hartnäckig hält, muss seine Gründe haben. Die
Sozialpsychologie gibt hier Ansätze für eine Erklärung.
Die manichäische Trennung von Gut und Böse kennt
keine Grauwerte, sondern nur Schwarz und Weiss.
Der Mensch liebt Ordnung, Strukturiertheit und
Voraussagbarkeit. Damit hätte er es eigentlich schwer auf
dieser Welt, die streng genommen keines dieser Elemente zu
bieten hat. Es bedarf der selektiven Wahrnehmung. Sie
blendet alles aus, was dem Feindbild widerspräche. Zwar ist
es mit dem Verlust, der Verzerrung und der Einseitigkeit von
Information verbunden, doch es erleichtert vermeintlich das
Leben. Untrennbar mit Feindbildern verbunden sind moralische
Überzeugungen. Die manichäische Trennung von Gut und Böse
kennt keine Grauwerte, sondern nur Schwarz und Weiss. Das
vermittelt Stabilität, man muss also nicht alles
hinterfragen. Laut behauptet ist halb gewonnen. So kann
Krieg, der zweite der vier apokalyptischen Reiter in der
Offenbarung des Johannes, in etwas Gutes umgemünzt werden.
Man denke an die von Cicero, Augustinus und Thomas von Aquin
vertretene These des «gerechten Kriegs». Oder es kann mit
Samuel Huntington und Bassam Tibi davon ausgegangen werden,
dass ein «Krieg der Zivilisationen» unumgänglich sei.
Neben der selektiven Wahrnehmung und den moralischen
Überzeugungen spielt das Prinzip des Sündenbocks eine
wichtige Rolle. Gerade wenn es einer Menschengruppe an
innerem Zusammenhalt fehlt und die Verhältnisse als
bedrohlich empfunden werden, kann ein äusserer Feind hoch
willkommen sein. Die Abgrenzung nach aussen ermöglicht den
Schulterschluss nach innen. Ähnlich verhält es sich bei
einer einzelnen Person. Zerfällt ihr sozialer Rahmen, muss
sie in den Worten des Pychoanalytikers Arno Gruen «ihre
Persönlichkeitsstrukturen (…) durch Feindbilder
aufrechterhalten». In unserer Gesellschaft lösen sich viele
Identität stiftende Geschlechter-, Berufs- und
Partnerschaftsrollen auf. Der Reflex, auf einfache Ordnungen
zurückzugreifen, ist unübersehbar. Und wir erfahren es ja
selbst: Zu diesen Ordnungen zählen «bewährte» Feindbilder.
Die meisten Menschen könnten wohl erkennen, dass diese
Bilder sich nicht mit der Realität decken. So kann ein
Freimaurer als umgänglicher, toleranter Zeitgenosse erfahren
werden. Das passt aber nicht ins Konzept. Entsprechend
schnell werden Widersprüche im Feindbild verdrängt.
Was tun?
Feindbilder tendieren zur «self fulfilling prophecy». Sie
bestätigen selbst ihre Richtigkeit. Ein Beispiel hierfür
bietet eine Aktion der Nazis in Hamburg. Sie liessen das
Logengebäude Stein für Stein abtragen, um das
«freimaurerische Geheimnis» zu finden. Die Tatsache, dass
sie nichts fanden, konnte nur gegen die Brüder verwendet
werden: Ihr Geheimnis musste so raffiniert verborgen sein,
dass es sich nicht finden liess. Ähnliches gilt für das
Klischee der Weltverschwörung. Kann man diese nicht belegen,
so nur deshalb, weil sie noch verwerflicher vorgeht, als man
angenommen hat.Was sollten wir also tun? Sicher viel
kommunizieren und Transparenz schaffen, um Gerüchten
vorzubeugen. Diese sind eine Brutstätte für Feindbilder. Die
Grosslogen, die Logen tun das und sicher auch mancher
Bruder. Wie weit das zielführend ist, hängt gewiss von den
jeweiligen Ländern und Kulturen ab. Kommunizieren kann man
auch über sein Verhalten. Ein Bruder, der die maurerischen
Werte in seinem Alltag umsetzt, bewirkt vielleicht mehr, als
es tausend Wörter können. Doch man muss sich eingestehen:
Feindbilder halten sich deshalb so hartnäckig, weil sie
menschlichen Bedürfnissen entsprechen – und sehr, sehr
bequem sind. Ganz loswerden wir sie vermutlich nie.