Dossier
Maurerisches Wort, maurerisches Schweigen
Die Freimaurerei ist auch eine Kunst des Worts. Ohne dieses wäre sie nicht denkbar – gerade in seiner gesprochenen Form. Um aber nicht zur Leerformel zu verkommen, muss das im Tempel geäusserte Wort verstanden sein: historisch, spirituell, persönlich. Zudem geht es darum, den Bezug zum Schweigen zu begreifen und das Wort in der profanen Welt umzusetzen. Das sind anspruchsvolle Aufgaben.
Die Tempelarbeit ist in der Sprache der Ästhetik ein
Gesamtkunstwerk. Wir erleben eine Vielfalt von
Ausdrucksformen. Zu hören sind die Worte des Rituals, Musik,
Rede und die Hammerschläge von Ost und West. Zu sehen sind
alle die Symbole und die rituelle Choreographie. Wir sitzen
und stehen in den Kolonnen. Wir geben das Zeichen und
vereinigen uns zur Batterie. Mitunter bewegen wir uns im
Sonnenlauf durch den Tempel, vollziehen die Reisen oder den
Lehrlingsschlag am rauen Stein. In jeder Arbeit bilden wir
die Bruderkette. Das Licht im Tempel ist einmal stärker,
einmal schwächer. Alles in allem eine enorme Verdichtung und
gegenseitige Verstärkung. Und das Wort ist aus all dem nicht
wegzudenken.
Sprache als zentrales Element
Die Sprache begegnet im Tempel auf mannigfaltige Weise.
Beispiele für die geschriebene Sprache sind das Johannes-
Evangelium auf dem Altar sowie die Buchstaben J und B auf
den Säulen und das G im Orient. Die gesprochene Sprache
findet sich etwa in den Dialogen zwischen Stuhlmeister und
Aufsehern oder im Credo. Sie begegnet in der Trias von
Zeichen, Wort und Griff. Und zur Tafelloge gehört der
pointierte Toast.
Der Unterschied zwischen dem esoterischen
Wort und den profanen Wörtern kommt zur Geltung.
Der Bruder muss ein «freier Mann» sein. Damit verbunden
ist die Redefreiheit – Privileg und Verpflichtung. Er hat
seine Worte zu verantworten. Er soll wissen, wann er zu
reden und wann er zu schweigen hat. Das Wort in der Bauhütte
verstärkt die Zusammengehörigkeit nach innen und die
Abgrenzung nach aussen. In einer gemeinsamen Sprache
gemeinsame Erfahrungen zu teilen schweisst zusammen. Der
Unterschied zwischen dem esoterischen Wort und den profanen
Wörtern kommt zur Geltung.
Das symbolische Wort
Die Brüder sollen die Symbole in ihrer historischen und
spirituellen Dimension verstehen. Hier greift die
Instruktion. Wichtig ist auch, dass der Bruder seinen
individuellen Zugang zur maurerischen Symbolik findet. Tut
er das, so wird ihn die Gleichförmigkeit der Arbeiten nie
langweilen. Hat man sich auf die Geschehnisse im Tempel
eingelassen, wird Entwicklung möglich. Das können kleine,
kaum wahrnehmbare Schritte sein, aber es sind welche.
Symbole und mit ihnen das symbolische Wort sprechenden
Verstand, das Gefühl bzw. die Seele und das Handeln an. Man
kann Pestalozzis Formel von Kopf, Herz und Hand anführen
oder die drei kleinen Lichter von Weisheit, Stärke und
Schönheit. Symbole sind in ihrer Bedeutung nie ganz
auszuloten. Das zeigt sich am ausgeprägtesten bei Hirams
«verlorenem Wort», in dem wohl der logos, das Wort am Anfang
der Schöpfung, zu vermuten ist. Was in den Symbolen
mitschwingt, können wir nicht immer benennen, aber wir
können es in der Form einer bestimmten Energie erleben.
Der Sinn der Verschwiegenheit
In einem Kalauer wird gefragt: «Wie viele Freimaurer
braucht es, um eine Glühbirne an die Decke zu schrauben? »
Die Antwort: «Das kann man nicht sagen; das ist geheim.»
Dieser Witz mag lustig sein. Doch er steht für eine terrible
simplification.
Einerseits hat die maurerische Verschwiegenheit eine
taktische Bewandtnis. Es geht um den Schutz vor Kräften, die
der Freimaurerei übelwollen. Das war nicht nur in
vergangenen Jahrhunderten angezeigt. Auch heute gibt es
Länder und Kreise, in denen man die Deckung besser nicht
aufgibt. Etwas komplizierter sind die Verhältnisse durch das
Internet geworden. Es ist erstaunlich, was man hier alles
über die Freimaurerei erfahren kann. Dabei hängt es nicht
vom Wahrheitsgehalt oder dem Respekt vor der Sache ab, ob
und in welcher Form etwas in Internet und social media
gelangt. Neben verlässlicher Information begegnet auch
Anderes – und das nicht wenig. Nach dem Müll in Meer und
Weltall nimmt auch der im weltweiten Netz zu.
Das Wort wird dabei auf die Goldwaage gelegt.
Das ist richtig so, denn es ist wertvoll.
Andererseits kann das Erlebnis der Tempelarbeit nie
Aussenstehenden vermittelt werden. Da hilft auch Google
nicht. Dadurch steht die maurerische Kultur in Kontrast zum
Outing, dem Ausplappern und Zerreden selbst der letzten
Tabus. Diese Unart führt zur Banalisierung der Welt. Folgt
man dem deutschen Autoren Gottfried Benn, so zeichnet sich
der Mensch durch «Krach schlagen und nicht zuhören» aus.
Schweigen hingegen hat eine spirituelle Seite. Zu Beginn der
Tempelarbeit fordert uns der Stuhlmeister auf, den Lärm des
Tages verklingen zu lassen. Diesen Lärm tragen wir in uns.
Wir müssen erst Raum und Stille in uns schaffen, um
aufnahmefähig zu werden, gerade für das Wort. Und das
bedeutet: Arbeit. Das Wort wird dabei auf die Goldwaage
gelegt. Das ist richtig so, denn es ist wertvoll.
Das Schweigen verstärkt das Wort. Es ist ein
Resonanzraum. Die Worte des Rituals bilden zudem einen
Speicher, auf den wir zurückgreifen können.
Spannungsfelder
Eine einfache Sache ist das maurerische Wort nicht. Wie
angesprochen hält man Traditionen am Leben, indem man ihre
historische und spirituelle Bedeutung erfasst und
gleichzeitig seinen individuellen Zugang zu ihnen findet.
Dies gilt es in Einklang zu bringen. Wir erfüllen zudem
unsere traditionsbezogene Aufgabe, wenn wir Vergangenheit
und Zukunft in unserer Gegenwart verbinden. Hier eine
Balance zu finden, wird z. B. in der sprachlichen
Überarbeitung von Ritualen zur anspruchsvollen Aufgabe. Wir
sollten uns der drei konzentrischen Kreise der Freimaurerei
bewusst sein: des Tempels, der Konferenz und der profanen
Welt. Ausgehend vom Tempel wandelt sich die Esoterik in eine
Exoterik. Mit dem Schwarzweiss des musivischen Pflasters
haben wir gelernt, im Alltag richtig zu unterscheiden. Und
gut zu wissen: Wie das Licht auch in der Finsternis
leuchtet, ist das maurerische Wort im Innern des Bruders
zugegen, im Lärm wie im Schweigen. T. M.