Dossier
Maurerische Ausdauer: Die Achtung vor dem Gelübde
Die Frage der Ausdauer in der Loge ist wie ein Seeungeheuer: Man spricht immer wieder davon und wird es nicht los. Fast würde man glauben, dass es gar nicht existiert. Dennoch ist es nötig, von Zeit zu Zeit die Dinge richtigzustellen, weil die Anwesenheit bei den Arbeiten einen Bestandteil unseres feierlichen Gelübdes bildet.
Ausdauernd an den Versammlungen teilzunehmen, ist eine
Verpflichtung, die wir von allem Anfang an auf uns nehmen.
Sie steht nicht nur für unser Interesse an der Symbolik und
für unsere Freude, die Mitglieder der Bruderschaft
regelmässig zu treffen, sondern sie gehört untrennbar zum
Bild der Vervollkommnung, zu dem wir uns bekannt haben.
Seinen Brüdern zu fehlen, bedeutet in diesem Sinne, sich
selbst zu fehlen. Gewiss: Es ist selten, dass eine Bauhütte
auf die Dauer mehr als 90 % ihrer Mitglieder versammeln
kann. Die Gründe wurden an dieser Stelle bereits erwähnt;
sie liegen hauptsächlich beim Alter und bei der Gesundheit.
Wenn aber die Kolonnen allzu oft spärlich besetzt sind, darf
man sich trotzdem fragen, welches die wahren Gründe für das
Fernbleiben derjenigen sind, die noch im aktiven Leben
stehen. Die am häufigsten genannten Gründe stehen ohne
Zweifel im Zusammenhang mit den beruflichen Anforderungen.
Wir können täglich feststellen, dass uns diese zunehmend
beanspruchen, sei man nun selbständig erwerbend oder
angestellt. Das Arbeitstempo erhöht sich, von jedem wird
eine höhere Leistung verlangt, sogar in Bereichen, die bis
anhin von solchen Anforderungen verschont blieben. Wie kann
es da erstaunen, dass die Häufigkeit des Logenbesuchs
nachlässt? Wir leben in Verhältnissen, in denen der Einzelne
vor allem anderen seine materielle Existenz sichern muss.
Die Maschine wieder anwerfen
Wie sehr ein Freimaurer auch beansprucht sein mag, sollte
er doch in der Lage sein, die Zeitplanung entsprechend
seinen Prioritäten so zu gestalten, dass sich ein gutes
Gleichgewicht einstellt. Es geht darum, festzulegen, worauf
man am meisten Wert legt und sich in der Folge dann auch
entsprechend zu verhalten. Unsere hektische Welt, der Druck
des sozialen Umfelds, der Ehrgeiz können nicht systematisch
als Entschuldigungen für die Absenzen gelten. Es obliegt
jedem einzelnen, zu bestimmen, was er bevorzugen will, um
sich die beste Lebensqualität zu sichern. Die Loge will
nicht nur ein Refugium sein, in das man sich ein paar
Stunden pro Monat vor den täglichen Spannungen flüchtet. Sie
ist unter anderem ein Ort, wo man Weisheit erwirbt und
weiterentwickelt. Diese stellt sich aber nur langfristig
ein, erlaubt uns dann aber, grundlegende Entscheidungen
richtig zu treffen und das Beiwerk vom Wesentlichen zu
trennen.
Die Freimaurerei ist bei weitem nicht die einzige
Organisation, die mit einem Rückgang ihrer Bestände
konfrontiert ist. Sportliche, kulturelle, politische Vereine
sind mehr oder weniger in der selben Lage. Und was wollen
wir von den religiösen Gemeinschaften sagen, deren
Verantwortliche sich regelmässig über Desinteresse und
Abkehr beklagen? Es ist die Sache jedes Einzelnen, seine
Brüder wach zu halten, den Konformismus zu zerbrechen, kurz:
die Maschine immer wieder anzuwerfen.