Dossier
«Ein Mensch ist ein Tier,
das lacht»
Philosophie gilt als ein ernstes Unterfangen. Gleichwohl hat sie viel mit Humor zu tun.
Seit der Antike haben Denker über diesen Zusammenhang nachgedacht: von der Verbannung
des Humors aus Platos idealem Staat bis zur Selbstironie der Moderne. Hier
einige Aspekte einer spannenden Tradition – und Seitenblicke auf die Freimaurerei.
Das Wort Humor, lateinisch für Feuchtigkeit, verdankt
sich der antiken Säftelehre. Diese besagt,
dass das Temperament eines Menschen von der
Relation von gelber und schwarzer Galle, Schleim und
Blut abhängt. Stünden diese Elemente in einem ausgeglichenen
Verhältnis, so verliehen sie auch ein ausgeglichenes
und heiteres Naturell.
Humor und condition humaine
Eine altgriechische Formulierung besagt: Demokrit lacht,
und Heraklit weint. Es heisst von den beiden: «Demokrit
und Heraklit waren zwei Philosophen, von denen der erste,
da er das Los der Menschen nichtswürdig fand, sich
nie anders als mit spöttischem und lachendem Gesicht den
Leuten zeigte. Heraklit, der über eben dieses unser Los
Mitleid und Erbarmen fühlte, trug darüber ein beständig
verdüstertes Gesicht und mit Tränen erfüllte Augen.»
Etwas früher begegnet eine versöhnliche Sichtweise. In der
Tradition Homers verfallen die Götter zwar angesichts der
Menschen in nicht enden wollendes Gelächter. Es fehlt ihnen
auch nicht an Bosheit. Aber zugleich schwingt etwas
Versöhnliches mit. Die Grenzen zwischen den Bewohnern
des Olymp und jenen der Erde können sich verwischen.
Die Unsterblichen bekommen menschliche Züge, und der
Mensch bekommt Würde.
Ja, Plato will alle lachenden Helden und
Götter aus der Literatur verbannen.
Der Freimaurer handelt im Geist von Menschenwürde, Toleranz
und Wohlwollen. Das ist die konstruktivste Haltung angesichts
der condition humaine.
Eine subversive Kraft
Plato sieht hinter dem Humor Schadenfreude
und Böswilligkeit. Auch ruft
er zur Mässigung auf, wenn es um Lachen
und Weinen geht. Doch aufhorchen
lässt seine Staatsräson: In der idealen
Gesellschaft habe Humor nichts zu
suchen, da er schädlich – heute würde
man sagen subversiv – sei. Ja, Plato will
alle lachenden Helden und Götter aus
der Literatur verbannen.
Aristoteles fasst den Humor ebenfalls
als Unverschämtheit auf. Allerdings
äussert er sich auch konzilianter und
stellt fest, dass das Lachen weder Unrecht
noch Schmerz bereite. Was die
Mässigung betrifft, bleibt er auf der Linie
seines Lehrers Plato. Umberto Eco
hat ins Zentrum seines historischen
Romans «Der Name der Rose» ein fiktives
zweites Buch von Aristoteles‘ Poetik
gestellt. In dieser sei die Rede vom
Lachen als einer Kunst, sich aus Zwängen
zu befreien. Überraschende Wendungen,
ja Mord und Totschlag treiben
die Handlung voran.
Einem grossen Satiriker – und Freimaurer
– verdanken wir die Formulierung:
«Was darf Satire? Alles!» Kurt
Tucholsky (1890–1935) musste vor
den Nazis fliehen und starb im schwedischen
Exil.
Der Freimaurer darf die Welt kritisch hinterfragen,
aber ohne zum Zyniker zu werden.
Und er kann das Lachen als existentielle
Strategie verstehen.
Widersprüche aufzeigen
Wer kennt nicht die politischen
Witze, in denen das Leiden in einer
Diktatur ein Ventil findet? Wer
denkt nicht an die Verblendung von
Leuten, die wie die Attentäter auf
«Charlie» buchstäblich nicht mit sich
spassen lassen? Liberalität und Humor
gehören unauflösbar zueinander.
So hat Immanuel Kant dem Lachen
durchaus etwas abgewinnen können.
Er las nicht nur die grossen Satiriker.
Vielmehr formuliert er auch modern
anmutende Ideen über den Witz als
enttäuschte Erwartung und vertritt
als erster eine psychosomatische
Erklärung des Lachens. Zudem beweist
er in Schriften wie den «Träumen eines
Geistersehers» messerscharfe Ironie.
Seine Überzeugung: «Ein Mensch ist
ein Tier, das lacht.»
«Wer sich nicht selbst zum
besten haben kann, der
ist gewiss nicht von den
Besten.»
Das Auseinanderklaffen von Anspruch
und Realität als Quelle des Humors
begegnet dann bei Schopenhauer und
gilt in der sog. Theorie der Inkongruenz
bis heute. Humor kann auch
Überzeugungen aufdecken, deren
man sich nicht bewusst ist. Berühmt
ist eine Geschichte um den dänischen
Physiker Niels Bohr. Über der Tür
seines Landhauses hing ein Hufeisen.
Ein Freund, der ihn besuchte, fragte,
ob er wirklich an so etwas glaube. Bohr
sagte: «Natürlich nicht, mein Freund.
Aber ich habe mir sagen lassen, dass es
auch dann etwas nützt, wenn man nicht
daran glaubt.»
Die Lebensaufgabe des Freimaurers, die Arbeit am rauen
Stein, beruht auf dem Unterschied von Realität und Ideal.
Er reflektiert seine Haltung.
Von Katzen und Gruben
Die Philosophie hat Bezüge zum – mitunter unfreiwilligen
– Humor. Sie ist, so ein Witz, «wenn jemand in einem
dunklen Raum mit verbundenen Augen eine schwarze
Katze sucht, die gar nicht da ist.» Ihre Exponenten gelten
als kauzig und weltfremd. Allerdings können sie auch
Selbstironie üben. Nietzsche fordert diese in seiner «Fröhlichen
Wissenschaft» ausdrücklich ein: Es sei jeder Meister
auszulachen, «Der nicht sich selber ausgelacht». Und
Goethe schreibt: «Wer sich nicht selbst zum besten haben
kann, der ist gewiss nicht von den Besten.»
Manchmal kann der erste Eindruck auch täuschen. Platos
Bericht vom Philosophen und Mathematiker Thales und
der thrakischen Magd ist Legende geworden. Thales schaut
in die Sterne, fällt in eine Grube, und das Mädchen kann
sich vom Lachen kaum erholen. Der deutsche Philosoph
Hans Blumenberg hat der Geschichte zwei unerwartete
Pointen gegeben. Nach ihm galten die Thraker als die Einfaltspinsel
der Antike. Und Thales könnte auch seine astronomischen
Beobachtungen für Prognosen verwendet und
als erfolgreicher Ölmühlenbesitzer zu Geld gemacht haben.
Der Freimaurer ist fähig zur Selbstironie. Er lebt in den drei konzentrischen
Kreisen von Tempelarbeit, Konferenz und profaner
Welt. T. M.