Alpina 8-9/2001
Die maurerische Vision des Menschen ist das Thema dieser Doppelnummer.
Wir haben das Glück, in Dieter A. Binder, dem Autor des Werkes "Die diskrete
Gesellschaft" und Bearbeiter und Neuherausgeber des Internationalen
Freimaurer Lexikons von Eugen Lennhoff und Oskar Posner, einen Kenner der
Freimaurerei als Autor gefunden zu haben. Er vergleicht die Freimaurerei mit
der Erziehung zum Gentleman und findet viele Parallelen und
Übereinstimmungen. Als Nichtfreimaurer zeichnet Dieter A. Binder ein
Idealbild des Freimaurers. Er hat diese Arbeit in der Loge Zur Brudertreue
in Aarau vorgetragen und dabei in der Einleitung festgestellt, dass er sich
vorkomme wie ein Vegetarier, der versuchen müsse, einem Kreis von Gourmets
die Vorzüge eines argentinischen T-Bone-Steaks schmackhaft zu machen.Die Verwirklichung von mehr
Menschlichkeit im Leben ist das Ziel der Freimaurerei. Dies fasst sie unter
dem Begriff der Humanität im weitesten Sinne zusammen. Deshalb gibt es für
Freimaurer keinen Unterschied der Rassen, Klassen, Religionen und Kulturen.
Für sie sind alle Menschen Geschöpfe eines Schöpfers. Alle Konflikte lassen
sich nach Meinung der Freimaurer austragen, ohne dass sie sich zerstörerisch
gegen den Menschen richten müssen, wenn nur ein ausreichendes Verhältnis des
Vertrauens geschaffen wird. Entsprechend einem ethischen Imperativ soll der
Mensch befähigt werden, ungeachtet aller Gegensätzlichkeiten sich mit der
Menschheit als Ganzem zu identifizieren. So versteht sich Freimaurerei als
angewandte Humanität, die nicht organisiert oder aufgezwungen, sondern aus
eigenem Entschluss im täglichen Leben praktiziert wird.
Der Freimaurer soll ein Einzelkämpfer für das Gute sein. Die Freimaurerei
betont, dass die Aufgabe der Persönlichkeitsfindung unter Verwirklichung
ihrer ethischen und humanitären Ziele am besten in der gegenseitigen Hilfe
innerhalb der Gemeinschaft möglich ist, weiter, dass Toleranz und Humanität
zwar im grossen Kreis gelehrt, im kleinen Kreis aber besser erlernt und
geübt werden kann. Die Freimaurerei ist deshalb eine Gesinnungs- und
Erziehungsgemeinschaft. Hier "erzieht" der Freimaurer sich selbst und wird
zugleich von seinen Brüdern "erzogen". Erst der Alltag, die tägliche Praxis
erweist, ob sich ein Freimaurer zur getreuen Erfüllung seiner Pflichten
gegenüber der Menschheit erzogen hat.
Verschiedene Logen haben das Thema der maurerischen Vision des Menschen
als Studienthema gewählt und meistens in Arbeitsgruppen besprochen und
erarbeitet. Wir drucken in der vorliegenden Nummer drei Arbeiten aus
verschiedenen Logen ab im Bewusstsein, dass das Thema damit nicht abgehakt
ist. Es muss täglich neu erarbeitet werden.
Alfred Messerli
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