Alpina 12/2005
Freimaurerei – eine moderne Idee heisst das Thema der Dezember-Nummer
unserer Zeitschrift. Das Thema gibt Anlass aus verschiedenen Blickwinkeln
die Zukunft unseres Bruderbundes zu beleuchten und darüber nachzudenken,
dass es für die 300-Jahr-Feier der ersten Grossloge (2017) nicht nur darum
geht, Feiern vorzubereiten, sondern sich ernsthaft Gedanken darüber zu
machen, wie sich die moderne Freimaurerei auch im 4. Jahrhundert ihres
Bestehens – in einem ganz andern Umfeld – behaupten kann. Wie können von ihr
neue Impulse ausgehen? Was hat sie dem modernen Menschen zu sagen? Und sind die Grundsätze, die
Alten Pflichten, die 1723 durch James Anderson festgeschrieben worden sind,
heute noch zeitgemäss? Alles Fragen, über die sich nachzudenken lohnt. Die
Freimaurerei ist eine Schule der Menschlichkeit. Sie stellt den Menschen in
den Mittelpunkt und setzt sich seit ihrer Gründung für Brüderlichkeit,
Menschenrechte und die Achtung vor der Würde aller Menschen ein.
Gerechtigkeit und Geistesfreiheit, das heisst Toleranz gegenüber
Andersdenkenden, auch in Glaubensfragen, sind Ideale der Freimaurerei. Für
das Ziel der Freimaurerei entscheidend ist der Weg, das stete Bemühen. Jeder
Mensch kann durch dieses Streben symbolisch zu einem Stein im Tempelbau der
Humanität werden. Dazu muss er an sich arbeiten, das heisst, den Rauen Stein
ein Leben lang behauen, um sich ins Mauerwerk dieses geistigen Tempels
einfügen zu können.
Wie erstrebt der Freimaurer diese Ideale? Jeder verpflichtet sich, seinen
Teil dazu beizutragen, dass sein Leben gegenüber seinen Mitmenschen einen
positiven Sinn gewinnt. Die Impulse erhält er in den Tempelfeiern,
Konferenzarbeiten und Diskussionen, bei denen ganz besondere Bedeutung auf
Brüderlichkeit, Toleranz und Offenheit gelegt wird. Das gesellige
Zusammensein nach den Arbeiten wird bei allem Ernst des Anliegens gepflegt
und sichert Freundschaft und Brüderlichkeit. Der Einzelne bekennt sich zur
Freimaurerei, weil sie den Menschen mündig und frei will, mitverantwortlich
für die Gesellschaft, Staat und Völkergemeinschaft. Aber auch, weil Toleranz
und Glaubensfreiheit die Voraussetzung für Demokratie und religiösen Frieden
sind. Er bekennt sich zum Freimaurerbund, weil Menschenwürde und
Menschenrechte hoch gehalten werden müssen und weil wir Freimaurer jedes
System ablehnen, die Andersdenkende unterdrückt. Und schliesslich bekennt er
sich dazu, weil die Freimaurerei vom Einzelnen das Bekenntnis zu den Idealen
der Humanität und die kritische Arbeit an sich selbst verlangt.
Die Freimaurerei stellt ihr Weltbild in Ritualen dar. Sie schafft
Erlebnisse, welche die Lebenspflichten des Menschen unter Menschen
vergegenwärtigen und ihm helfen, die ethischen Gebote zu befolgen. Die alte
Freimaurerei bleibt eine moderne Idee, solange es genügend Menschen gibt,
die das wollen und auch mit ihrem Tun bestätigen.
Alfred Messerli |