Der Goldene Schnitt
(Alpina 11/2008)
Was ist Schönheit? Bei der menschlichen Gestalt
wissen wir: «Schönheit ist vergänglich» (Goethe,
Torquato Tasso); der Volksmund lehrt uns: «Schönheit
kommt von innen»; und von der Kunstgeschichte hören
wir: «Das Idealbild der menschlichen Schönheit ist
kein absolutes, sondern besteht aus der Beziehung
einzelner Teile zueinander, wie es auch der Goldene
Schnitt fordert».
Der
Goldene Schnitt (lat. sectio aurea) ist ein
bestimmtes Verhältnis zweier Zahlen oder Grössen:
Zwei Strecken A und B stehen im Verhältnis des
Goldenen Schnittes, wenn sich die grössere (A) zur
kleineren (B) verhält wie die Summe aus beiden zur
grösseren (A). Der Wert beträgt etwa 1,618. Die
erste genaue Beschreibung des Goldenen Schnittes
stammt von Euklid (um 300 v. Chr.). Das Pentagramm,
eines der ältesten magischen Symbole der
Kulturgeschichte, steht in einer besonders engen
Beziehung zum Goldenen Schnitt: zu jeder Strecke und
Teilstrecke im Pentagramm findet sich ein Partner,
der mit ihr im Verhältnis des Goldenen Schnitts
steht.
Der Goldene Schnitt ist aber nicht nur ein Mass
für Ästhetik, sondern auch für eine natürliche
Ordnung. In der Natur wachsen die Blütenblätter der
Rose spiralförmig nach dem Gesetz des Goldenen
Schnittes (siehe Titelbild); aber auch die
menschliche Gesellschaft, ob im Kleinen oder im
Grossen, lebt von Proportionen, vom Gleichgewicht,
welches die Harmonie zwischen allen Beteiligten
sicherstellt. Wird eine Kraft zu dominant – zu
masslos, zerstört sie das Gleichgewicht und damit
das ganze System. Die Frage sei nun deshalb erlaubt:
Befinden wir uns nicht genau jetzt in einem solchen
Abbruch jeglicher Proportionalität und
Gesetzmässigkeit?
Und denken wir überdies daran: zur Konstruktion
eines Goldenen Schnittes bedarf es eines Zirkels;
und genau dieser Zirkel, so lehrt uns das Buch des
Lehrlings, ordnet als Symbol der Menschen- und
Bruderliebe unser Gefühlsleben, unsere seelische
Einstellung zur Bruderschaft und zur Menschheit.
«Die eine Spitze des Zirkels ist fest im Herzen
verankert, während die andere die endlose Kreislinie
zieht und alle Menschen umschliesst und unsere
menschlichen Beziehungen ordnet und richtet».
Adrian Bayard
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