Was verstehen wir unter Scheitern?
(Alpina 2/2009)
Es gibt wenige Begriffe, die so negativ belastet
sind, wie das Wort «Scheitern». In einer
Leistungsgesellschaft wie der unseren wird
Erfolg gross geschrieben und der Misserfolg
tabuisiert. Wer versagt, hat keine Daseinsberechtigung.
Dabei ist wohl jeder schon einmal
gescheitert: in einem Vorhaben, in der Beziehung,
an sich selber – ja vielleicht sogar in der
Freimaurerei. Der gespaltene Kubus ist uns ein
Symbol dafür. Doch gehört nicht das Scheitern
zum Erfolg; ist also sozusagen komplementär?
«Wer wagt gewinnt», lehrt uns der Volksmund.
Überhaupt basiert jede Innovation (als Feuer
der Evolution) auf tatsächlichem oder möglichem
Scheitern. Der emeritierte Wirtschaftsprofessor
Walter Wittmann beschrieb jüngst
in seinem Buch «der Sicherheitswahn» die
Dominanz der Angst vor dem Versagen als
Kernübel der Wachstumsschwäche in der
Schweiz. Aus Angst zu scheitern, wird ein
Risiko erst gar nicht eingegangen und somit
auch auf die Chancen verzichtet. Auffallend ist
die Asymetrie unseres Schulnotensystems; es
gibt mehr ungenügende Noten als genügende
Noten. Die Angst vor dem Scheitern blockiert
uns, und diese Blockade bindet Ressourcen
respektive verhindert eine freie Entfaltung der
(persönlichen) Möglichkeiten. Zu nennen sei
hier die Prüfungsangst, die häufig auf diesen
exogenen Druck zurückzuführen ist. Zu scheitern
bedeutet andererseits: zu lernen – wenn
man dies zulässt. Es ist also integraler
Bestandteil des Verbesserns. Viele grossartige
Erfindungen waren erst durch ein vorgängiges
Scheitern möglich. Erfindungen wie Post-it
oder Cornflakes sind die besten Beispiele dafür.
Vollständig scheitern im Sinne von am Felsen
zerschellen, können Ideologien, weil sie zu
starr und geschlossen sind. Ideologien und
Theorien, die keinen Austausch, keine Erneurung
(mit Risiko des Scheiterns) zulassen, laufen
Gefahr, nach einer Zeit der relativen Dominanz,
unglaubwürdig und obsolet zu werden.
Ob die Freie Marktwirtschaft nun gescheitert
ist, hängt massgeblich davon ab, welche Lehren
und Anpassungen daraus gezogen werden.
Gut ist diese Situation allemal, denn eine
Gesundung der Relationen ist sehr vonnöten.
«Wer nur das macht, was er kann, bleibt
der, der er ist».
Dieser Satz, den ich kürzlich an einem Diavortrag
aufschnappte, zeigt mir die Doppelseitigkeit
von Fortschritt und Entwicklung. Etwas zu
wagen (d.h. das Risiko des Scheiterns eingehen)
bringt Fortschritt – Verbresserung. Etwas
nicht zu verändern, bringt jedoch andere wertvolle
Eigenschaften mit sich: Konstanz und
Verlässlichkeit.
Adrian Bayard
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