Freude haben, Freude geben, Freude finden
(Alpina 1/2010)
Neulich war ich in einem Bahnhofbuffet
und wartete auf den Zug. Dabei wurde
ich plötzlich vom Patron auf meine Uhr
angesprochen. Sie gefiel ihm offensichtlich;
und so kamen wir ins Gespräch. Seine Leidenschaften
seien Uhren, Schuhe und Gürtel.
«Wenn die drei Dinge stimmen, dann ist
für mich alles in Ordnung», sinnierte der
Patron und meinte damit, dass er dann
glücklich sei und sich freue. Ich fragte mich,
wieviele Uhren er wohl hätte. Und wie er
die aktuelle Hochgeschätzte wohl
behandle, wenn er nach Monaten des Tragens
plötzlich auf eine andere, seltenere
oder ausgefallenere stossen würde. Er
würde wohl fortan die Neue als prima inter
pares erküren und ihr den schönsten Platz
einräumen. Materielles hat eben eine kurze
Wertschätzungszeit. Ein Geschenk zu
Weihnachten erfreut uns anders und nachhaltiger,
wenn ein persönliches Engagement
des Schenkenden dahinter steckt.
Eine Kinderzeichnung, entstanden in
Momenten der absoluten Vertiefung und
Hingabe, beseelt uns anders als eine neue
Uhr. Hinter dem Geschenk steht das Immaterielle,
eine Aura von persönlicher Widmung
und Liebe. Deshalb sind es eben doch
die kleinen Dinge des Lebens, die einem
Freude bereiten. Dafür brauchen wir aber
offene Sinne, und in einer materialisierten
Welt des Überflusses wird die Freude förmlich
verdrängt. Wohl deshalb gibt es so viele
unzufriedene Menschen in unserem Land.
Würde man wieder etwas mehr Mässigung
- etwas mehr Askese - betreiben, dann
wäre wohl die Aufnahmebereitschaft eine
ganz andere. Wir werden nicht unzufrieden
und freudlos durch die zahlreichen Schicksalsschläge,
die uns widerfahren, sondern
genau ihretwegen lernen wir die Kunst der
Freude! Wir lernen in solchen Fällen immer
wieder aufs Neue, dankbar zu sein; und
genau diese Dankbarkeit und Demut sind
die treibenden Faktoren für tief empfundene
Freude. Durch diese Attribute wird
Freude zur positiven Grundeinstellung und
nicht zum momentanen Glücksempfinden.
Freude zu schenken hingegen, ist wohl das
Höchste, was wir erleben können: es gibt
uns die Möglichkeit aktiv auf die Gemütslage
eines Mitmenschen einzuwirken und
damit zuzusehen, wie sich die Freude über
den ganzen Körper verbreitet. Es ist die
edelste Form des Teilens und gemeinsamen
Erlebens. Daran sollten wir arbeiten – nicht
nur an Weihnachten und zum Neujahr.
Adrian Bayard
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