Welche Gesellschaft wollen wir?
(Alpina 8-9/2010)
Die Frage, welche Gesellschaft wir wollen,
bildet den Startpunkt der nächsten drei
Ausgaben und hat zum Ziel, einige Grundgedanken zu erörtern.
Die Antworten darauf können
nur normativ sein, weil sie nicht von unseren
Wertvorstellungen loszulösen sind. Und
geradeweil wir uns oft und vertieft mit Werten
beschäftigen, stellt sich die unmittelbare Frage:
was wollen wir eigentlich? Wenn wir die Ist-
Analyse von unten nach oben durchdenken,
beobachten wir eine zunehmende Verantwortungslosigkeit
und eine grassierende Haltung
des sich unverbindlich Haltens. Private Treffen
werden stets unter Vorbehalt vereinbart oder
kurzfristig per SMS oder Telefonanruf bestätigt
oder abgeagt. Es könnte ja sein, dass sich noch
etwas besseres bietet. Diese opportunistische
Haltung verdanken wir den viel zuzahlreichen
Möglichkeiten. Es ist fraglich, ob diese viel
gepriesene Vielfalt tatsächlich ein Segen des
Fortschrittes ist. Diese Vielfalt fördert nämlich
auch das INDIVIDUELLE und kurzfristige Nutzendenken.
Sogar an den Universitäten wird
dieses kurzfristige, nichtmehr gesamtheitliche
Denken mit Partialmodellen gefördert.
Wir kaufen uns alles zusammen, weil wir es uns
leisten können - oder denken, es verdient zu
haben, dabei sind die Produkte nur so günstig,
weil sie vom anderen Ende des Globus kommen,
wo Menschen unter widrigsten Umständen
arbeiten (auch Kinder und Frauen) und
chemische Mittel noch eingesetzt werden
können, die bei uns schon längst verboten sind.
Wie das Titelbild zeigt, geht der Erde langsam
die Luft aus – und ihr Schicksal liegt in den
Händen der nächsten Generation. Aber auf
dieser Erde herrscht ein frappantes Ungleichgewicht:
auf der einen Seite Mangel und Hunger,
auf der anderen Seite, Überfluss, Hedonismus
und Gier. Aber genau diese junge Generation
hat sich inzwischen einen neuen
Leuchtturm auserkoren: das Fernsehen und die
Werbeindustrie. Dort wird gezeigt, was erstrebenwert
ist: Sieg des Einzelnen über das Kollektiv
(Superstar) sowie materieller Wohlstand,
der gleichzeitig auch noch prozend zur Schau
gestellt werden muss. Insofern müssen wir der
nachfolgenden Generation wieder Alternativen
aufzeigen; die Lust wecken, wieder aktiv
das Leben zu gestalten und eine neue Bescheidenheit
propagieren. Das ist derzeit wohl die
wichtigste Aufgabe beim Bau am Tempel der
Humanität, sonst regnet es durchs Dach.
Adrian Bayard
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