Die Schönheit
(Alpina 5/2011)
Schönheit ist gerade in der Zeit der Zurschaustellung von effekthascherischen Äusserlichkeiten und seelenlosen Hüllen zu Lasten von stillerem Qualitativen eher ein zwiespältiger Begriff geworden. Erstens wird das Unmittelbare überbewertet und zweitens das Wirkliche überdeckt. Schönheit ist persönliche Wahrnehmung und wird daher je nach Stimmung und Situation unterschiedlich interpretiert. Wer Mozarts Requiem hört, hat einen ganz anderen Zugang, wenn er traurig ist, als wenn er glücklich oder gar hundemüde ist. Die Schönheit der Harmonie in den Klängen kann entzücken oder in eine Stimmung der Traurigkeit versetzen. Dies kann im Moment gewünscht sein und dadurch das Erlebnis verstärken oder ins Gegenteil kippen. Auch wird andernstags vielleicht ein Rockkonzert von AC/CDC als «schön» oder «nützlich» taxiert. Das selbe gilt auch für ein Auto, Schokolade und dergleichen mehr. Es ist alles eine Frage des Instrumentalwissens, jenes Wissens um all die Angebote und Möglichkeiten, die derzeit das ureigene Unwohlsein überwinden und zu Wohlgefallen führen kann. Somit stünden wir diametral zu den alten Griechen, die «Schönheit» als etwas Absolutes, etwas Göttliches betrachteten. Die Pytagoreer beispielsweise führten Schönheit auf «mindestens prinzipiell quantifizierbare Verhältnisse» wie zum Beispiel Symmetrie oder harmonische ‘Ordnung’ zurück (historisches Wörterbuch der Philosophie). So stand beispielsweise die Geometrie bei den Alten Griechen zuoberst im Ansehen–als Vertreterinder «guten Wissenschaft » und der «schönen und königlichen Künste». Eine andere, subjektivere Auffassung vertraten Epicharmos und die Sophistiker. Für sie war «Schönheit» nicht von Natur aus gegeben; nur bestimmte Umstände (z.B.Erlebnisse) würden darüber entscheiden, ob etwas «schön» oder «hässlich» sei. In der Freimaurerei kommt «Schönheit» jedoch nicht aus sich selbst heraus, ist also nicht Selbstzweck, sondern trohnt als Resultat eines Prozesses. Wir sagen: Schönheit ziere den Bau, den Weisheit und Stärke zuvor erstellt haben. Schönheit ist also die Endstufe – die Vervollkommnung eines Werkes. Dazu bedarf es der Liebe, Toleranz und der Brüderlichkeit. Aber andererseits: Erkennen wir im lauten, schrillen Alltag überhaupt noch das Tun–also jenes Werk, das der Liebe, der Tolereanz oder der Brüderlichkeit entsprungen ist?
Adrian Bayard
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