Die Dankbarkeit
(Alpina 8-9/2011)

In tausenden von Familien spielt sich jeden Mittag das selbe Prozedere ab: das Kind erhält etwas Nachschlag und wird erwartungsvoll angeschaut – «und? – was sagt man?»,worauf unverzüglich, weil gebetsmühlenartig einstudiert und ähnlich dem Pawlow’schen Hund die gewünschte Reaktion abgerufen wird – «danke!». Wie viele Male haben wohl Eltern dieses «danke» den Kindern abgerungen? Für jedes Mal einen Euro, und die Schulden Griechenlands wären beglichen! Dankbarkeit ist eine moralische Verpflichtung für ein Geschenk, eine Gefälligkeit oder eine Wohltat. Das Wort «Dank» kommt vom althochdeutschen Wort «thanc» und ist das abgeleitete Substantiv von «zu denken». Mit dem Ausruf «Gott sei Dank!» bringen wir also zum Ausdruck, dass wir zum Beispiel für die Verschonung vor einem Unheil der höheren Macht gedenken. Aristoteles und Cicero bemerkten in ihren Abhandlungen, es verletze die Selbstachtung, sich durch Annahme von Wohltaten zur Dankbarkeit verpflichten zu lassen (www.de.wikipedia.com). Diese Ansicht teilen auch Menschen, die zu stolz sind, sich etwas schenken zu lassen, obwohl sie der Wohltat eigentlich bedürften. In manchen Kulturen ist man sogar erschreckt über Geschenke - wohl aus Angst, diese nicht angemessen erwidern zu können. Genau in diesen Punkt greift das absolut lesenswerte Buch «Die Gabe» von Marcel Mauss, einem Soziologen und Ethnologen und Neffe von Emile Durkheim. Mauss beschreibt darin unter anderem den Potlatch, ein periodisch wiederkehrendes Fest einzelner Indianerstämme, bei welchen der Gabentausch zum Wettbewerb um Grosszügigkeit und Verschwendung ausuferte. Es nahm dabei schon fast kriegerische Ausmasse an. Dies offenbahrt sich jedoch heute noch auch bei uns, wenn wir nach einem feinen Essen bei Freunden zum Abschied versprechen, uns dafür zu «revanchieren». Nach Bourdieu beinhaltet das Schenken immer die Berücksichtigung eventueller strategischer Vorteile. Wenn wir also jemandem etwas schenken, dann in Erwartung von Dankbarkeit. Diese erhebt den Schenkenden als Gönner–als edler Wohltäter. Dagegen spricht jedoch die altruisitsche Tat: zum Beispiel das Blutspenden. Dort kennen wir den Empfänger nicht und können auch keinen Dank erwarten. Sind wir auch bei anderen Dingen so? Und sagen wir auch «danke» für die kleinen Dinge?

Adrian Bayard 

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