Das Wort
(Alpina 3/2015)

Das Wort – Werkzeug des freien Mannes? Gewiss. Wir leben in bewegten Zeiten, wo die grundlegenden Rechte gefährdet sind – durch Extremismus, den Schnüffelstaat, das Eindringen ökonomischer Interessen in die Privatsphäre, das Ausspionieren mit Mitteln der Informatik. Mehr denn je ist in Erinnerung zu rufen, dass die Freiheit der Meinungsäusserung vordringlich und unantastbar bleiben muss. Das gilt für jedermann, besonders aber für die Freimaurer.

Man muss nicht im Detail daran erinnern, dass das freie Wort ein zentrales Element in den freimaurerischen Arbeiten bildet. Ob für den Lehrling in seiner bereicherndsten Form, dem Schweigen, ob für den Meister auf seiner Suche nach dem verlorenen Wort: Es ist im Tempel allgegenwärtig, in seiner Schöpfungskraft ebenso wie in seiner rituellen Funktion. Nein, das Problem besteht heute in der Schwierigkeit, dieses Wort im Tohuwabohu der profanen Welt vernehmbar zu machen.

Vergessen wir nicht: Das Format des Freimaurers misst sich an seiner Fähigkeit, die Idee des freien Mannes ausserhalb des Tempels umzusetzen. Es genügt nicht, weise zu sprechen, um das Wort zur Wirkung zu bringen. Es genügt ebenso wenig, wahr zu sprechen. In einer Welt der Unvernunft ist der Gedanke illusorisch, jederzeit und zu jedem Gegenstand die Wahrheit des Worts siegen zu lassen. Was von uns verlangt wird, ist, angemessen zu reden. Wir müssen in der allgemeinen Disharmonie um Stimmigkeit bemüht sein und – in den Worten Nietzsches – unseren Diskurs den menschlichen, allzumenschlichen Bedingungen anpassen. Es ist nicht uns allen gegeben, Zarathustra zu sein. Bescheidener geht es darum, unser Wort auf jene auszurichten, denen es zugedacht ist: unsere brüderlichen Mitmenschen.

Pierre-Alexandre Joye (Übersetzung T. M.)

 

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