Das Geheimnis
(Alpina 10/2015)
Zwei Stimmen. Ganze zwei Stimmen haben gefehlt,
und der Walliser Kantonsrat hätte eine höchst
bedenkliche Bestimmung angenommen: Jeder
Abgeordnete, welcher der Freimaurerei angehört, muss
seine Mitgliedschaft in einer Loge offenlegen. 55 zu
53 Stimmen: Beinahe hätten die Gegner der
Freimaurerei den Sieg davongetragen. Es ist eine
ordinäre Haltung, die Echo gefunden hat. Es ist eine
destruktive Haltung, die auf das Image des Kantons
Wallis abfärbt. Und es ist eine Haltung, die sich in
den Medien und sozialen Netzen niederschlägt,
geprägt von Dummheit und Hass.
Es erstaunt kaum: Die Schweizerische Volkspartei
SVP (die ihren Namen streng genommen nicht verdient)
steht hinter dem Ganzen. Zum vierten Mal seit 2003
nahm Blochers Partei einen entsprechenden Anlauf.
Sie folgt dabei Verschwörungsphantasien und legt
eine Ablehnung an den Tag, die von ihrer politischen
Identität zeugt. Traurig stimmt die Tatsache, dass
die Christlichdemokratische Volkspartei CVP diese
diskriminierende Aktion in einer ersten Phase
befürwortet hat. Gewiss hat der Antimasonismus auch
im Programm der katholisch ausgerichteten Partei
eine Rolle gespielt. Doch die Zeit der
Ketzerprozesse und Scheiterhaufen ist vorbei, und
man hätte sich eine grössere Gelassenheit vorstellen
können. Es mögen zum Zeitpunkt der Abstimmung
bestimmte Parlamentarier ihre Ansicht geändert
haben. Doch ist die Angst vor einem politischen,
medialen und rechtlichen Skandal wohl grösser
gewesen als der Wille, Ruhe in die Debatte zu
bringen.
Im November 2014 titelte das Magazin "Alpina" mit
der Rückkehr des Antimasonismus. Heute hat sich das
Phänomen in bedenklichem Ausmass verbreitet. Die
einzigen Mittel, dagegen zu wirken, sind wie im
Wallis eine objektive Berichterstattung und die
Mobilisierung jener Kreise, die guten Willens sind
im Namen des Fortschritts, der Toleranz und der
Gleichheit aller vor dem Gesetz.
Pierre-Alexandre Joye (Übersetzung T. M.)
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